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Was Meinungen von Nachrichten unterscheidet.FDP-Außenpolitiker Lambsdorff Unsere Diplomatie ist nicht voll leistungsfähig
Deutschland müsste in der Welt eine größere Rolle spielen – aber kann das nicht. Auch weil die Bundesregierung nicht einmal ihre Hausaufgaben macht.
In München treffen sich Politiker, Militärs und Analysten zur jährlichen Sicherheitskonferenz. Immer wieder werden dort Reden gehalten, die über Jahre die Weltpolitik beeinflussen. Das Treffen gilt in Deutschland auch als Ausweis der deutschen weltpolitischen Bedeutung.
Aber ist Deutschland eigentlich wirklich fähig und willens, international eine größere Rolle zu spielen? Bislang nicht, meint der FDP-Außenpolitiker Alexander Graf Lambsdorff, und macht Vorschläge, was die Regierung anders machen könnte.
coremedia:///cap/blob/content/85258878#dataAlexander Graf Lambsdorff, geboren 1966, ist stellvertretender Fraktionsvorsitzender der FDP im Bundestag. Von 2004 bis 2017 saß er im Europaparlament, dessen Vizepräsident er auch war. Er ist einer der profiliertesten Außenpolitiker seiner Partei. (Foto: imago/APress)
"Ein mächtiges Deutschland macht mir weniger Angst als ein möglicherweise untätiges". Dieser Satz stammt vom ehemaligen polnischen Außenminister Radek Sikorski. In einer Zeit, in der Großmachtkonflikte und Geopolitik zurück auf der Tagesordnung sind, erwarten unsere Partner, dass Deutschland international mehr Verantwortung übernimmt.
Zwei Fragen stellen sich in diesem Zusammenhang: Ist das wirklich notwendig und wenn ja, wäre unser Land in der Lage, einer solchen Verantwortung gerecht zu werden?
Die Antwort auf die erste Frage liegt auf der Hand: Ja. Derzeit kann man zuschauen, wie die liberale Weltordnung Schaden nimmt. Amerika fremdelt mit seiner Rolle als Ordnungsmacht, die transatlantischen Beziehungen sind unter Druck. China ist im Kreis der Großmächte aufgetaucht. Der Brexit steht vor der Tür. In mehreren Mitgliedstaaten der EU sind nationalistische Parteien im Aufwind. Mit der russischen Verletzung des INF-Vertrages und dem amerikanischen Rückzug aus dem Vertrag droht einem tragenden Pfeiler der nuklearen Rüstungskontrolle das Aus. Der aktuelle Bericht der Münchner Sicherheitskonferenz wirft deshalb zu Recht die Frage auf, wie die Puzzleteile der internationalen Ordnung wieder neu zusammengesetzt werden können. Darf Deutschland dabei abseits stehen? Nur, wenn wir unser Land zum Objekt der Politik anderer machen wollen. Wenn wir unser Schicksal nicht anderen überlassen wollen, müssen wir international Verantwortung übernehmen.
Aber können wir das überhaupt? Die Antwort auf diese zweite Frage ist ernüchternd: Die große Koalition ist außen- und sicherheitspolitisch nicht strategiefähig. Das hat die aktuelle Diskussion über Nord Stream 2 beispielhaft gezeigt, als Deutschland sogar von Frankreich düpiert wurde. Außenminister Heiko Maas hat sich um die Rettung des INF-Vertrags erst gekümmert, als es schon fünf vor zwölf war. Seine Vorgänger Sigmar Gabriel und Frank-Walter Steinmeier haben den Konflikt um den INF-Vertrag ganz ignoriert. Die Brexit-Vorbereitungen hat Maas schleifen lassen.
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Und Maas hat noch nicht einmal seine Hausaufgaben gemacht: Nach wie vor herrscht im Auswärtigen Amt chronische Mangelwirtschaft. Zahlreiche Stellen können nicht besetzt werden, unsere Diplomatie ist nicht voll leistungsfähig.
Auf der Münchner Sicherheitskonferenz 2014 sagte der damalige Außenminister Frank-Walter Steinmeier, Deutschland müsse sich "außen- und sicherheitspolitisch früher, entschiedener und substanzieller" einbringen. Das war zwar richtig, aber um diese Verantwortung mit Leben zu füllen, hätte ein strategisches und abgestimmtes Vorgehen der Bundesregierung in allen Feldern der internationalen Politik entwickelt werden müssen. Doch eine internationale Gesamtstrategie fehlt bis heute. Das "Weißbuch zur Sicherheitspolitik und zur Zukunft der Bundeswehr" von 2016 erfüllt diesen Zweck eindeutig nicht, denn es kann das ganze Spektrum außen- und entwicklungspolitischer Instrumente nicht voll erfassen.
Es braucht ein regelmäßiges Grünbuch
Für eine erfolgreiche Außen-, Sicherheits- und Entwicklungspolitik müssen alle Instrumente und Ressourcen vernetzt, gebündelt und in Abstimmung mit Deutschlands Partnern eingesetzt werden. Dafür braucht Deutschland eine Außen-, Sicherheits- und Entwicklungspolitik aus einem Guss, um Beliebigkeit entgegenzuwirken. Deutschland braucht endlich eine klare internationale Strategie. Nur so kann Deutschland Transparenz, Zuverlässigkeit und Berechenbarkeit erzeugen.
Unsere Werte, Ziele und Interessen für Deutschlands internationales Engagement müssen regelmäßig ausformuliert werden: Die Bundesregierung sollte dem Bundestag und der Öffentlichkeit ein Grünbuch vorlegen, immer ein Jahr nach Beginn jeder Legislaturperiode. Eine solche übergeordnete Strategie für internationales Handeln müsste unter Federführung des Auswärtigen Amtes zusammen mit dem Verteidigungs- und dem Entwicklungsministerium formuliert werden – unter aktiver Beteiligung aller anderen Ministerien, die im internationalen Kontext tätig sind. Mittlerweile haben viele Bundesministerien eigene, in den internationalen Raum zielende Strategien und Initiativen, die in eine übergreifende Strategie eingebunden und an ihr ausgerichtet werden müssen.
Deutschland kann nicht wie die Schweiz sein
Die internationale Lage ist ernst, Deutschland ist ganz anders gefordert als noch vor wenigen Jahren. Ein regelmäßig erarbeitetes Grünbuch würde die Bundesregierung insgesamt strategiefähiger machen. Die Bundesregierung müsste ihre Kompetenzen ausbauen, strategisch vorauszuschauen, zu steuern und zu evaluieren. Wichtige Debatten über Außen-, Sicherheits- und Entwicklungspolitik müssen mit der Öffentlichkeit geführt werden, Experten und fachlich Interessierte müssen an Strategieprozessen beteiligt werden.
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Mehr Verantwortung bedeutet mehr Debatte, es bedeutet, schwierige Situationen rechtzeitig in den Blick zu nehmen. Die Öffentlichkeit muss sich bewusst machen, dass Deutschland keine große Schweiz sein kann, sondern einen wichtigen Beitrag zu Frieden und Stabilität leisten muss.
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