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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Analyse zur CSU nach der Bayern-Wahl Aber wenigstens nicht mit den Kommunisten
Die CSU erlebt eine historische Niederlage. Sie verliert, was sie immer ausgemacht hat. Aber am Abend will sie davon nichts wissen. Es fehlt jemand, der den Aufstand anführen könnte.
Etwa eine Stunde nach den ersten Prognosen stehen im Münchner Landtag zwei CSU-Anhänger an einem Stehtisch und sprechen bei Currywurst und Kartoffelsalat darüber, was sie eben erlebt haben. Nur 35,5 Prozent habe die CSU bekommen, so lautete die erste Prognose, deutlich mehr als zehn Prozent Verlust. Kurz: Eine Katastrophe.
Er habe gehört, sagt einer der Männer, in einem Landkreis sei die Kandidatin der Grünen gewählt worden: "Eine türkische Kommunistin. Sowas wählen die Leut' heute."
Dann aber, nach einem weiteren Bissen Currywurst: "Immerhin können wir mit den Freien Wählern regieren, das ist das Entscheidende."
In kürzester Zeit hatte es die CSU geschafft, sich nach dem Wahlergebnis zu schütteln, zu sortieren, und sich auf eine Sprachregelung zu einigen, die wenige Minuten später schon am Currywursttisch angelangt ist.
Es sieht so aus, als sei die CSU wild entschlossen zu ignorieren, was ihr widerfahren ist. Regieren, und mit den Freien Wählern, das zählt! Alles nicht so schlimm, nur nicht mehr aus der Ruhe bringen lassen.
Söder gibt die neue Deutung vor
Schon kurz nach Veröffentlichung der ersten Prognosen tritt Markus Söder auf die Bühne im Saal im Münchner Landtag, in dem sehr viele Journalisten und einige CSUler auf die Ergebnisse warteten. "Wir haben zum Teil ein schmerzhaftes Ergebnis erzielt", sagt Söder. Aber dann wendet er schnell. Die CSU, sagt er, habe auch den klaren Regierungsauftrag erhalten.
In einer Partei, die bis vor Kurzem noch an 60 Prozent, wenigstens aber die absolute Mehrheit gewöhnt war, und in der ein Ministerpräsident und ein Parteichef zurücktraten, weil sie nur 43 Prozent geholt hatten, in einer solchen Partei ist ein Regierungsauftrag eigentlich kein Grund, zu jubeln. Diesmal muss das anders sein, einen anderen Grund zu jubeln gibt es nicht.
Man werde regieren, das ist die einzig gute Nachricht für die CSU.
Die drei Mächtigen haben sich verrannt
Nicht alle sind damit glücklich. Kurz nach Söders Rede steht Barbara Stamm neben der Bühne. Die 73-Jährige ist Landtagspräsidentin, in Bayern und der CSU beliebter als fast alle anderen, und jetzt: nicht gut gelaunt. Sie geht zu diesem Zeitpunkt davon aus, dass ihre Karriere vorbei ist, weil das CSU-Ergebnis so schlecht ist, dass nur Direktkandidaten einziehen, niemand von der Landesliste.
"Ich habe seit einem Dreivierteljahr wiederholt intern gesagt, dass wir rechts nicht so viel gewinnen können", sagt sie. Der Wählerwille sei nicht zu kritisieren, "da muss man bei sich anfangen. Da hätte man allerdings früher anfangen sollen". Sie habe nur deshalb nicht öffentlich gemahnt, weil Streit der Partei schade.
Die Botschaft ist eindeutig. Die Spitze hat es verbockt. Hat sich verrannt. Hat guten Rat ignoriert. Hat das Ergebnis zu verantworten. Horst Seehofer, der Parteichef. Markus Söder, der Spitzenkandidat. Alexander Dobrindt, der Landesgruppenchef im Bundestag.
Seehofer spricht zum halbleeren Saal
Einige Minuten später hallen Rufe durch den Raum: "Seehofer kommt!" Der Saal, eine halbe Stunde zuvor noch berstend voll und tropisch heiß, ist zu diesem Zeitpunkt halb leer. Ein paar wenige klatschen pflichtschuldig. Der Parteichef, über den es seit Monaten heißt, er werde nach einem schlechten Wahlergebnis nicht Parteichef bleiben können, sagt: Es gelte jetzt zu regieren und eine Koalition zu bilden.
Es ist offensichtlich, dass er keine Jubelstürme in der CSU mehr auslösen kann. Für seine Partei ist er Geschichte.
Aber offenbar ist der Frust auch nicht so groß, dass schnell etwas passieren muss.
Keiner, der den Aufstand anführt
Am Abend erklären öffentlich und im Vertrauen alle, dass an diesem Abend keine Entscheidungen über die Zukunft Seehofers getroffen werden. Söder, der historische Wahlverlierer, sagt, er wolle erneut Ministerpräsident werden, wenn die Partei und die Fraktion es wolle. Fraktionschef Thomas Kreuzer sagt, das wolle er.
Über Ilse Aigner heißt es am Abend, sie wolle Landtagspräsidentin werden, wenn Stamm wirklich nicht mehr in den Landtag kommt. Alexander Dobrindt hat zu wenig Rückhalt in der Partei. Manfred Weber ist zu weit in Brüssel. Alle wissen, dass es personelle Konsequenzen geben muss.
Doch da scheint weit und breit niemand zu sein, der einen erfolgreichen Aufstand wagen könnte, also deutet sich an, dass der Aufstand einfach ausbleiben wird.
Söder wird jetzt sagen, er habe durch ruhige letzte Wahlkampfwochen noch etwas herausholen können. Die Wähler wollten keinen Streit, sie wollten souveräne, vernünftige Politik. Ihm kommt zu Gute, dass die CSU durch die schlechten Umfragen schon vorbereitet war auf das, was da kommen würde.
Und immerhin, nachdem so viel von Schwarz-Grün die Rede war, reicht es wohl für eine Koalition mit den Freien Wählern. Auch das ist Balsam auf der konservativen Seele.
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Schulze, die neue Reizfigur
Als kurz nach den ersten Hochrechnungen im Fernsehen die Grünen-Spitzenkandidatin Katharina Schulze zu sehen ist, die breit strahlend ihren Anhängern zuruft, was für ein toller Erfolg das Ergebnis sei, da hebt ein Murmeln im CSU-Saal an: Die, oh je, allein die Stimme schon, wenn ich die schon seh! Schulze ist für viele in der CSU die neue Claudia Roth: eine Reizfigur, zu laut, zu lachend, zu emotional. Zu grün.
Bis vor Kurzem hing die CSU noch an der absoluten Mehrheit. Sie sah sich als Staatspartei, als Ausnahmeerscheinung. Daraus ergab sich ihr Selbstvertrauen, auch in Berlin.
An diesem Abend hat sie beschlossen, dass es genügt, dass das Ergebnis besser war als in den schlimmsten Befürchtungen und dass sie immer noch regieren darf. So schnell ist in jüngerer Vergangenheit in Deutschland selten eine Partei in sich zusammengefallen. So stoisch hat selten eine Partei ein Desaster wegmoderiert.
- Eigene Recherchen