Drei Thesen zur Bayern-Wahl Diese Wahl war eine Abrechnung
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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Die absolute Mehrheit der CSU ist dahin, die SPD bricht ein und die Grünen jubeln. Was sagen die Ergebnisse zur Bayern-Wahl aus? Drei Thesen.
Die Wahl war eine Abrechnung – mit München und Berlin.
Für beide Parteien der großen Koalition hätte es kaum schlechter laufen können. Die CSU hat das zweitschlechteste Ergebnis ihrer Geschichte eingefahren, die SPD ihre Prozente halbiert. Dagegen haben alle Oppositionsparteien zugelegt, die Grünen fast zweistellig. Das zeigt: Die Fehler der Bundesregierung sind nicht vergessen.
Seit dem Flüchtlingskrach innerhalb der Union im Sommer sind die Umfragewerte der CSU kontinuierlich gesunken. Der von Innenminister Horst Seehofer vom Zaun gebrochene Flüchtlingsstreit nebst Rücktritt vom Rücktritt hat die Wähler genervt. Sein stures Festhalten an Verfassungsschutzpräsident Maaßen mit anschließender Beförderung desselben hat Deutschland entsetzt. Auch CDU und SPD gaben in der Affäre ein desaströses Bild ab, das Ausmaß an verlorenem Vertrauen ist immens. Dass die SPD-Spitzenkandidatin Natascha Kohnen sich von den Entscheidungen ihrer Parteispitze distanzierte, half nichts.
Die jüngst und nur eine Woche nach dem von der Bundesregierung verkündeten Diesel-Kompromiss erlassenen Fahrverbote für Berlin dürften die Zweifel in die Kompetenz der großen Koalition noch verstärkt haben. SPD-Parteichefin Andrea Nahles hat bereits Mitverantwortung für das schlechte Ergebnis übernommen, die Gegner der Groko in ihrer Partei fühlen sich bestätigt. Schon jetzt hat der ehemalige Münchener Oberbürgermeister Christian Ude (SPD) "grundlegende Konsequenzen" für seine Partei gefordert. Die SPD befinde sich im freien Fall. Es müsse deshalb alles auf den Prüfstand.
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Doch die Bundespolitik allein kann zumindest das Ergebnis der CSU nicht erklären. "Horst Seehofer als Sündenbock wäre viel zu schlicht", sagte der ehemalige Bundestagsabgeordnete Wolfgang Bosbach t-online.de. Das schlechte Abschneiden der CSU habe viele Gründe, auch parteiinterne. Tatsächlich agierte Ministerpräsident Markus Söder unglücklich, sein Kreuzerlass sorgte für Spott, der Widerstand gegen sein Polizeiaufgabengesetz trieb Zehntausende auf die Straße. Im Flüchtlingsstreit mit der CDU gab er erst den Scharfmacher, dann den sanftmütigen Landesvater. Die zwischenzeitlichen Ausflüge in den Populismus könnten seiner Partei mehr geschadet als genutzt haben, das zeigt das starke Abschneiden der Grünen. Die Wähler wollen lieber mit guter Politik überzeugt werden. Und die sehen sie nicht mehr bei den Parteien der großen Koalition.
Die kommende Woche wird zeigen, welche Konsequenzen, auch personeller Art, Union und SPD ziehen. Klar ist: In Hessen könnte es ihnen ähnlich ergehen. Der ohnehin schon geschwächten Bundesregierung stehen schwierige Wochen bevor.
Ein-Parteien-Regierungen gehören der Vergangenheit an.
Für die Christsozialen ist das Ergebnis eine historische Niederlage. Nur einmal in ihrer Geschichte schnitten sie schlechter ab, und das ist fast 70 Jahre her. Dass Bayern wirtschaftlich gut da steht, das Land die niedrigste Arbeitslosigkeit und nach Hamburg die höchste Kaufkraft in Deutschland hat – der CSU nutzte das nichts. Und das obwohl sie maßgeblich dafür verantwortlich ist: Seit 1966 regierte sie das Land alleine, sieht man es von der schwarz-gelben Koalition von 2009 bis 2013 ab.
Doch die Zeit der Ein-Parteien-Regierungen ist vorbei. Die Gesellschaft wird pluralistischer, die Volksparteien erodieren. Für eine Partei allein wird es schwer, die absolute Mehrheit der Stimmen auf sich zu vereinen. In Bayern gibt es allein drei Parteien, die sich im konservativen Spektrum einordnen, zwei davon haben deutlich hinzugewonnen. Auch die FDP – wenngleich noch nicht klar ist, ob sie den Einzug schafft – hat zugelegt, die Grünen sind sogar zweitstärkste Kraft geworden. Wer nicht zufrieden mit der Arbeit einer Regierung ist, wählt sie ab, statt aus jahrzehntelanger Treue zu ihr zu halten, dafür spricht auch die um fast zehn Prozent gestiegene Wahlbeteiligung. Zu glauben, dass das für Bayern und die CSU nicht gilt, wäre naiv gewesen.
Für die CSU bedeutet das nun, dass sie sich um einen Koalitionspartner bemühen muss. Vier Wochen hat sie dafür Zeit, spätestens dann muss nach bayerischer Landesverfassung ein Ministerpräsident gewählt werden. Rechnerisch möglich wäre eine Koalition mit den Freien Wählern oder den Grünen. "Die Wählerinnen und Wähler wollen Grüne in einer Regierung gestalten sehen", sagt der bayerische Bundestagsabgeordnete Dieter Janecek t-online.de. "Natürlich werden wir etwaige Gespräche sehr ernsthaft führen, im Ergebnis muss immer eine proeuropäische Politik stehen, die für klare Fortschritte bei Klimaschutz und mehr soziale Gerechtigkeit steht." Dennoch ist eine Koalition mit den Freien Wählern aus CSU-Sicht wahrscheinlicher. Markus Söder hat bereits seine Präferenz für ein "bürgerliches Bündnis" zum Ausdruck gebracht.
Wie auch immer es ausgeht: Die CSU wird sich an Koalitionsverhandlungen gewöhnen müssen. Es ist unwahrscheinlich, dass die absolute Mehrheit in absehbarer Zeit wieder in Reichweite kommt.
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Die Grünen sind auf dem Weg zur westdeutschen Volkspartei.
Landesweit zweitstärkste Kraft und in acht bayerischen Großstädten sogar stärkste Kraft. Die Grünen haben offenbar auf die richtigen Themen gesetzt – ironischerweise jene, die Kernthemen der CSU sind: Sie machten „Frei und sicher in Bayern leben“ zum Wahlkampf-Schwerpunkt, positionierten sich gegen das Polizeiaufgabengesetz und plädierten gleichzeitig für eine bessere Ausstattung der Polizei. Außerdem bedienten sie den Begriff Heimat, verbanden das jedoch weniger mit Lederhose sondern eher mit dem Kampf gegen Flächenversiegelung und der Stärkung des ländlichen Raums. Damit brachen sie die einstige Gewissheit Landwirt gleich CSU-Wähler auf. Und im städtischen Raum hatten sie es ohnehin schon immer leichter.
Hinzu kommt: Seit dem Flüchtlingskrach innerhalb der Union ist die Partei deutschlandweit im Aufwind. Die letzten bundesweiten Umfragen sehen sie bei durchschnittlich 18 Prozent, in nahezu allen westdeutschen Bundesländern sind die Grünen zweistellig. Keine andere Partei tritt so nachdrücklich für eine offene Gesellschaft ein; für Wähler, die von der Kälte und Härte der Flüchtlingsdiskussion abgeschreckt waren, fast die einzige Alternative. Interessant: Laut Wählerwanderung haben die Grünen fast gleich viele Stimmen von der CSU wie von der SPD abgezogen. Mit dem jung-dynamischen Führungsduo an der Parteispitze, das den Generationenwechsel vorgelebt hat, nach dem sich andere Parteien bloß sehnen, und das Realo-Politik mit linkem Einschlag macht, könnten die Grünen zur neuen starken Partei der gesellschaftlichen Mitte werden. Und ganz eventuell sogar Koalitionspartner im vielleicht konservativsten Land Deutschlands.
- Eigene Beobachtungen
- Hochrechnungen laut ARD
- Reuters
- dpa
- Umfragen auf wahlrecht.de