Deutscher Kunststar Eine unfassbare Schönheit
Die subjektive Sicht des Autors auf das Thema. Niemand muss diese Meinung übernehmen, aber sie kann zum Nachdenken anregen.
Was Meinungen von Nachrichten unterscheidet.Deutschland ist im Caspar-David-Friedrich-Fieber. Der Romantiker konnte nicht nur gut malen, er wird auch seit jeher von vielen Seiten vereinnahmt – ein Patentrezept für Erfolg.
In diesem Jahr wandert Caspar David Friedrich knapp 500 Kilometer durch Deutschland. Anlässlich des 250. Geburtstages des Malers zeigen Museen in Hamburg, Berlin und Dresden große "Jubiläumsausstellungen". Der höchste Mann im Staate, Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier, ist Schirmherr der Schauen.
Doch damit nicht genug: Hinzu kommen kleinere Ausstellungen, unter anderem in Friedrichs Geburtsstadt Greifswald. Seit zehn Wochen steht ein Sachbuch über den deutschen Maler auf der "Spiegel"-Bestsellerliste, aktuell thront es auf Rang eins. Außerdem gibt es unzählige Fanartikel, eine Webseite für den Maler, die über alle Veranstaltungen informiert, und und und.
So viel Ehre für einen Maler der Romantik, der bald 184 Jahre tot ist: Die Deutschen lieben Friedrich, der Landschaftsmaler ist der Lieblingsmaler vieler Menschen hierzulande. Doch warum? Was verkörpert Caspar David Friedrich, dass es die Deutschen so anzieht? Eine Spurensuche.
Beginnen wir bei den Bildern. Sie haben eine unfassbar melancholische Schönheit. Die komplette Wirkung entfalten Friedrichs Gemälde erst beim Betrachten der Leinwand im Museum. Friedrichs größte Stärke ist sein Pinselstrich.
Das Spiel von Licht und Schatten, die meist dunkel gehaltenen Bilder, die niemals monoton, niemals trist sind. Florian Illies, der Autor des Bestsellers "Zauber der Stille", sagte in einem Podcast der "Zeit" dazu, Friedrich habe eine "eigene Sprache" erfunden, die sich dennoch jedem erschließe: "Er malt die Sehnsucht. Das ist weltweit verständlich. Das ist das zeitloseste Gefühl."
Manche seiner Bilder sind Ikonen geworden, allen voran "Der Wanderer über dem Nebelmeer", die "Kreidefelsen von Rügen", "Zwei Männer in Betrachtung des Mondes," der "Tetschener Altar". Vielen Deutschen sind die Gemälde geläufig, sofort flackern sie vor ihrem inneren Auge auf. Welcher deutsche Maler hat schon eine ähnliche Wirkung?
Friedrichs Verkaufsschlager: Ein Mann (seltener eine Frau) steht dem Betrachter mit dem Rücken zugewandt (weil er wohl nicht so gut Gesichter malen konnte) vor einer wunderschönen Natur in der Dämmerung. "Beobachtete Einsamkeit" nennt Friedrich-Experte und Kunsthistoriker Johannes Grave das im Deutschlandfunk. Ein Gefühl, das offenbar viele Menschen teilen.
"Es sind hochgradige Stimmungsbilder", sagt Grave. "Wir können gar nicht genau sagen, ob es eine Abend- oder Morgendämmerung ist." Das lädt ein zum genauen Betrachten, zum Verweilen, zum Rätseln. Und zum Bewundern. Friedrichs Gemälde bebildern die – nachgesagte – Schwermut der Deutschen.
Dazu kommt: Friedrich hat Deutschland gemalt, genauer gesagt Ostdeutschland. Der gebürtige Greifswalder hat Westdeutschland nie länger besucht, seine Inspiration zog er aus ostdeutschen Landschaften.
In Dresden hat er mehr als 40 Jahre seines Lebens verbracht, hier ist er gestorben. Friedrich ist nie nach Italien gereist, obwohl das Land an der Adria für viele seiner Zeitgenossen ein Sehnsuchtsort war. Beispielsweise zog es seine Zeitgenossen, etwa den Schriftsteller Johann Wolfgang Goethe und den Maler Carl Gustav Carus, nach Italien.
Friedrich blieb in Deutschland, er malte Deutschland. Er malte die Seele der Deutschen. Er malte sich in die Herzen der Deutschen. Er ist Friedrich, der Große. Friedrich, der große Maler.
Viele seiner bekanntesten Bilder lassen sich mit deutschen Nationalparks – und damit auch Urlaubsorten – verbinden: die Kreidefelsen auf Rügen, der heutige Nationalpark Jasmund. "Der Wanderer über dem Nebelmeer" zeigt eine Szenerie im sächsischen Elbsandsteingebirge.
Für die Regionen lassen sich Friedrichs Bilder gut vermarkten: In der Sächsischen Schweiz gibt es einen Wanderweg, benannt nach ihm. An den Rügener Kreidefelsen lässt es sich zu dem bekannten Ausblick wandern, den sein Gemälde zeigen soll. Auch den Strand auf dem Gemälde "Der Mönch am Meer" gibt es – am Göhrener Südstrand auf Rügen. Im Land der Wanderer verhilft das zu Berühmtheit.
Die berühmten Landschaften Friedrichs sind übrigens nicht originalgetreu nachgemalt. "Es wirkt, als male er die Natur", sagt Florian Illies im "Zeit"-Podcast. "Aber eigentlich sitzt er im Atelier und erfindet die Natur." Illies nennt ihn einen "Bild-Erfinder". Friedrich habe in seiner Karriere immer wieder mit Versatzstücken von Naturaufnahmen gearbeitet, die er irgendwo einmal gesehen hat. Er studierte die Natur zwar sehr genau, malte sie aber nur im Atelier.
Dadurch entstehen idealisierte Naturlandschaften Deutschlands, die sich gut politisch aufladen lassen. Friedrich war aber auch politisch: Er war gegen Napoleons Besatzung, gegen die Karlsbader Beschlüsse von 1819, mit denen liberale Bewegungen im Deutschen Bund bekämpft werden sollten. Doch erst die Nazis haben versucht, Friedrichs Gemälde einer perfekten Landschaft zu vereinnahmen. Für sie war er ein Maler der "nordisch-männlichen Romantik". Dennoch zählte er nie zu Hitlers Lieblingsmalern, dem die süddeutschen und Wiener Künstler näher lagen.
Eine Zeit lang fiel Friedrich wegen der Vereinnahmung durch die Nazis in unverschuldete Ungnade. 1995 fragte der "Spiegel" den Schweizer Museumsdirektor Christoph Vitali in einem Interview gar: "Ist Caspar David Friedrich schuld am Holocaust?" Dessen so kurze wie berechtigte Antwort: "Schwachsinn."
Auch die DDR huldigte Friedrich. Als Ostdeutscher, der das spätere Gebiet der DDR nie länger verlassen hat, verehrten ihn die Sozialisten als "Nationalheiligen", wie Illies im "Zeit"-Podcast sagt. Zum 200. Geburtstag feierte die DDR Friedrich mit einer Münze und Sonderbriefmarke.
"Jede Zeit und jedes System kann versuchen, sich Friedrich so zurechtzubiegen, wie es ihr passt", schreibt Illies in seinem Buch. "Seiner Kunst ist das völlig egal. Sie wird auch unsere Liebe zu ihr unbeschadet überstehen."
Sogar die Umweltbewegung sieht in Friedrichs Gemälden eine Natur, die es so nicht (mehr) gibt – und auch nie gab. Grüne Wälder statt nadellose Tannen, Eismassen statt Regen im Winter, Männer, die Natur betrachten und offensichtlich wertschätzen – aber gleichzeitig in die Natur eingreifen. Das Verhältnis von Mensch und Natur war schon zu Friedrichs Zeiten aktuell, und ist es heute um so mehr.
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Die "Letzte Generation" hat eine Abwandlung des "Wanderers über dem Nebelmeer" angefertigt. Statt in den Nebel schaut der "Wanderer im Feuermeer" in apokalyptische Flammen. Bei einer Protestaktion in der Hamburger Kunsthalle verstreuten die Aktivisten Staub aus Waldbränden, den sie 2022 nach dem großen Feuer im Elbsandsteingebirge gesammelt hatten. "Ihr schaut euch die schönen Landschaften an, die die großen Künstler malten. Während genau diese vor euren Augen brennen", schrieb eine der Aktivistinnen dazu auf der Internetplattform X (vormals Twitter).
Landschaften verändern sich. Auch die Kreidefelsen auf Rügen, die Friedrich malte, gibt es durch Erosion und Abbrüche heute so nicht mehr. Doch auf seinen Gemälden bleiben sie in Erinnerung, brennen sich ins kollektive Gedächtnis.
Jeder kann in Friedrichs Bildern sehen und deuten, was er oder sie mag. Das macht die Gemälde zum Bezugspunkt von Millionen Deutschen – und zur perfekten Projektionsfläche.
- Eigene Beobachtungen
- cdfriedrich.de: "Jubiläumsausstellungen"
- zeit.de: "Podcast 'Augen zu': Caspar David Friedrich – eher so der romantische Typ"
- Florian Illies: "Zauber der Stille (Fischer Verlag)
- deutschlandfunk.de: "Seine Bildkompositionen 'sind eigentlich provokant'"
- tagesspiegel.de: "Das unselige Erbe der Nazi-Zeit"
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