Mehr als 150 Journalistinnen und Journalisten berichten rund um die Uhr für Sie über das Geschehen in Deutschland und der Welt.
Zum journalistischen Leitbild von t-online.Talk über Lockerungen Chefarzt: Omikron hat uns "der Himmel geschickt"
Chefarzt Voshaar fordert ein Ende der "obsessiven Angst" vor Corona – und freut sich fast über Omikron. t-online-Chef Florian Harms meint: Karl Lauterbach trägt Mitschuld am Vertrauensverlust der Regierung.
Und, in welchem Land leben Sie gerade? Allgemeine Impfpflicht einführen oder fast alle Einschränkungen aufheben – die Empfehlungen von Experten zur besten Strategie in der Pandemie gehen mitunter so weit auseinander, dass sie kaum vom selben Land zu sprechen scheinen. Das demonstrierten bei "Maischberger. Die Woche" am Mittwochabend die zwei eingeladenen Mediziner besonders gut.
Thomas Voshaar, Chefarzt der Klinik für Lungenheilkunde am Krankenhaus Bethanien Moers, warf der Politik vor, sich von einer "obsessiven Angst" vor dem Virus treiben zu lassen. Er drängte: "Wann wollen wir diesen Varianten, die uns ja eigentlich der Himmel geschickt hat, mehr Lauf lassen?" Omikron, eine gute Gabe von oben? Da wurde nicht nur Gastgeberin Sandra Maischberger hellhörig.
Die Gäste
- Janosch Dahmen (Bündnis 90/Die Grünen), Gesundheitspolitiker
- Thomas Voshaar, Lungenfacharzt
- Wolfgang Ischinger, Vorsitzender der Münchner Sicherheitskonferenz
- Florian Harms, Chefredakteur t-online
- Cerstin Gammelin, Journalistin, "Süddeutsche Zeitung"
- Gerhard Delling, ehemaliger ARD-Sportmoderator
"Das sind die falschen Worte angesichts so vieler Menschen, die krank werden", rügte Unfallchirurg Janosch Dahmen, der für die Grünen im Bundestag sitzt. Er war kurzfristig für den stark erkälteten Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) eingesprungen. Im Kampf gegen die Omikron-Welle befinde sich Deutschland "noch nicht mal in der Halbzeitpause", warnte Dahmen. Für Lockerungen oder selbst die Gespräche darüber sei es deshalb viel zu früh.
"Wir müssten Herrn Dahmen jetzt fragen, auf welchen Moment er eigentlich warten möchte", konterte Voshaar. Omikron sei wegen der hohen Ansteckung, aber des häufig milderen Krankheitsverlaufs "doch genau das, was wir brauchen, um schnell von der Pandemie in den epidemischen Zustand zu kommen".
Wir benötigen Ihre Einwilligung, um den von unserer Redaktion eingebundenen X-Inhalt anzuzeigen. Sie können diesen (und damit auch alle weiteren X-Inhalte auf t-online.de) mit einem Klick anzeigen lassen und auch wieder deaktivieren.
Mediziner: Intensivstationen nicht das Maß der Dinge
Voshaar warnte zwar auch davor, die Aufhebung sämtlicher Schutzmaßnahmen in Dänemark als Vorbild zu nehmen. "Wir sollten wirklich auf Fakten gucken und nicht einfach sagen: Guck mal, viele Länder machen das jetzt so, lass uns das auch machen." Aber der Mediziner stellte ein Hauptargument der Politik für die Einschränkungen von Freiheiten hierzulande infrage. Die Situation im Gesundheitssystem und insbesondere auf den Intensivstationen solle keinesfalls zum Maßstab aller Dinge erhoben werden: "Alles richtet sich in diesem Land danach, ob die Ärzte, Pflegerinnen und Pfleger gerade noch entspannt sind oder nicht."
Als Voshaar von der angeblich "obsessiven Angst" in Deutschland sprach, hatte er durchaus einen Verursacher im Blick. Er beschuldigte die Intensivmediziner-Vereinigung Divi, das Land mit regelmäßigen, aber unvollständigen Meldungen "in dieser Angst gefangen" zu halten. Dabei lägen auf den Intensivstationen mitnichten nur Schwerstkranke. Viele Kliniken würden selbst nur vergleichsweise leicht erkrankte Corona-Patienten aus Ermangelung von Quarantänebetten auf der Intensivstation isolieren.
Voshaar forderte die Bundesregierung auf, klare Ziele für den Weg aus den Corona-Maßnahmen zu benennen ("die Impfpflicht gehört nicht dazu") sowie die Verkürzung des Genenesenenstatus zu korrigieren: "Das muss auf der Stelle zurückgenommen werden, um das Vertrauen der Bevölkerung nicht noch mehr zu verlieren."
Wir benötigen Ihre Einwilligung, um den von unserer Redaktion eingebundenen X-Inhalt anzuzeigen. Sie können diesen (und damit auch alle weiteren X-Inhalte auf t-online.de) mit einem Klick anzeigen lassen und auch wieder deaktivieren.
"Das war bislang der größte Fehler. Der hängt ihm ganz schön nach", attestierte SZ-Journalistin Cerstin Gammelin Lauterbach. Die Kommunikation des Sozialdemokraten sei einfach nicht immer eindeutig, kritisierte auch Florian Harms, Chefredakteur von t-online.
"Das Corona-Management ist jetzt nicht besser als unter Merkel und Spahn. Und daran trägt natürlich auch Lauterbach eine Mitverantwortung", stellte Harms fest. Jüngstes Beispiel seien die Probleme bei der Umsetzung der Impfpflicht in Krankenhäusern oder Pflegeheimen. Hier sei die Bundesregierung umgehend zurückgerudert, weil Gesundheitsämter geklagt hätten, sie könnten das nicht kontrollieren. "Wir haben in Deutschland kein Erkenntnisproblem, sondern ein Umsetzungsproblem", kritisierte Harms. "Dann hat man doch als Bürger in diesem Land den Eindruck: Das funktioniert da oben gar nicht."
Der t-online-Chefredakteur rechnete nicht damit, dass die allgemeine Impfpflicht kommen wird. Das Thema werde zerredet und immer mehr Menschen fragten sich: "Muss das wirklich sein?"
Dahmen warb hingegen für die Impfpflicht ab 18 Jahren als Teil einer Gesamtstrategie, um eine Überlastung des Gesundheitssystems zu vermeiden, anstatt "irgendwelche Zielwerte zu adressieren", entgegnete er an die Adresse von Voshaar. Der Grünen-Politiker versicherte, dass die Bundesregierung zuvor auf der Einführung der Impfpflicht für bestimmte Berufsgruppen bestehen wird – "sonst verschwindet die Glaubwürdigkeit des Staates".
Wir benötigen Ihre Einwilligung, um den von unserer Redaktion eingebundenen X-Inhalt anzuzeigen. Sie können diesen (und damit auch alle weiteren X-Inhalte auf t-online.de) mit einem Klick anzeigen lassen und auch wieder deaktivieren.
Kritik an Gerhard Schröder
Wie es um die Glaubwürdigkeit von Altkanzler Gerhard Schröder (SPD) bestellt ist, darum ging es unter anderem im zweiten Teil von "Maischberger. Die Woche". Der drehte sich um die Krise in der Ukraine und die Olympischen Winterspiele in China. Der sonst so diplomatische Wolfgang Ischinger, Vorsitzender der Münchner Sicherheitskonferenz, kam um einen Seitenhieb auf seinen ehemaligen Chef einfach nicht herum. Der Altkanzler und Gazprom-Lobbyist hatte der Ukraine in seinem Podcast "Säbelrasseln" vorgeworfen.
"Ich bin nicht so ganz sicher, ob er das, was er da sagt, wirklich selber glaubt", meinte der ehemalige Staatssekretär im Auswärtigen Amt. Harms und Gammelin warfen sich vielsagende Blicke zu. Schröders "bezahlte Rollen" führen laut Ischinger zu einer Position, die von niemandem, den er kenne, in Berlin geteilt werde – "geschweige denn in Brüssel, geschweige denn in Washington oder Paris".
Ischinger wollte die viel kritisierte Lieferung von 5.000 deutschen Schutzhelmen in die Ukraine nicht so hoch hängen. Dennoch bleibe die Frage: "Ist dieser deutsche Sonderweg, sich bei Frage der Waffen ganz zurückzuhalten, wirklich hilfreich, wenn wir einen Krieg verhindern wollen?" Angesichts von mehr als 100.000 russischen Soldaten im Grenzgebiet zur Ukraine sprach Ischinger vom massivsten Aufmarsch seit Jahrzehnten. "Das geht nicht, da muss der Westen scharf reagieren", sagte Harms, stellte aber wie Ischinger infrage, ob Putin es tatsächlich auf einen bewaffneten Konflikt ankommen lassen wird.
Wir benötigen Ihre Einwilligung, um den von unserer Redaktion eingebundenen X-Inhalt anzuzeigen. Sie können diesen (und damit auch alle weiteren X-Inhalte auf t-online.de) mit einem Klick anzeigen lassen und auch wieder deaktivieren.
Zu einem geopolitischen Konflikt der anderen Art sind nach Ansicht Gammelins mittlerweile die Olympischen Spiele verkommen. "Es ist jetzt ein globales Armdrücken von Weltmächten", urteilte die SZ-Journalistin. Gerhard Delling, langjähriger "Sportschau"-Moderator, hätte sich zwar wegen der Pandemie eine Verschiebung gewünscht. Von Athleten einen Boykott zu fordern, gleichzeitig aber Geschäfte mit China zu machen, nannte er jedoch heuchlerisch.
Harms appellierte dafür, die umstrittene Großveranstaltung zu nutzen, sich endlich eingehender mit China auseinanderzusetzen. Die Volksrepublik sei mehr als eine totalitäre Diktatur. Wer diese Komplexität unterschätze, gerate schnell ins Hintertreffen – wenn das nicht schon längst geschehen ist. Beim Besuch einer Universität in Wuhan kurz vor Ausbruch der Covid-19-Krise war der Journalist erstaunt, dass die Studenten geschliffenes Deutsch sprachen: "Die wissen viel besser Bescheid über uns, als wir über sie und das sollten wir langsam mal anfangen zu ändern."
- "Maischberger. Die Woche" vom 2. Februar 2022