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Ampelkoalition: Können die Grünen ihre großen Wahlversprechen halten?


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Gleichberechtigung
Können die Grünen ihre großen Versprechen halten?


Aktualisiert am 07.12.2021Lesedauer: 6 Min.
Anne Spiegel: Die neue Familienministerin von den Grünen hat sich viel vorgenommen.Vergrößern des Bildes
Anne Spiegel: Die neue Familienministerin von den Grünen hat sich viel vorgenommen. (Quelle: getty-images-bilder)
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Gewalt gegen Frauen, schlechtere Bezahlung, fehlende Gleichstellung – all das will die

Die Ampelparteien haben am heutigen Dienstag den Koalitionsvertrag unterschrieben. Darin sind einige Versprechen enthalten: Für Frauen soll in der kommenden Legislatur vieles verbessert werden. Dazu gehört etwa die Streichung des Paragrafen 219a im Strafgesetzbuch, der verhindert, dass Ärzte offen über Abtreibungen aufklären können. Zudem sollen Frauen in ihrer beruflichen Laufbahn gestärkt werden, auch eine gleiche Bezahlung von Männern und Frauen wird angestrebt.

Nominiert als künftige Bundesfrauenministerin ist Anne Spiegel von den Grünen. Sie steht klar hinter den Punkten des Vertrags. Ihr Ziel sei es, die Gleichstellungspolitik deutlich konkreter anzugehen und den Stillstand bei diesem Thema in vielen Bereichen zu beenden, bekräftigt sie auf Anfrage. "Für viele Frauen in Deutschland wird es spürbare Verbesserungen geben", sagt sie.

Aber wie sollen die Versprechen überhaupt umgesetzt werden und wie realistisch ist das? t-online mit dem Überblick:

Versprechen 1: Frauenhäuser verbessern und Gewalt an Frauen bekämpfen

Wichtig ist den Ampelparteien der Kampf gegen Gewalt an Frauen. "Wir werden eine ressortübergreifende politische Strategie gegen Gewalt entwickeln, die Gewaltprävention und die Rechte der Betroffenen in den Mittelpunkt stellt", heißt es im Koalitionsvertrag. Frauenhäuser sollen künftig mehr finanzielle Unterstützung erhalten.

Die grüne Bundestagsabgeordnete Ulle Schauws räumt ein, dass die bisherige Bundesregierung schon umfangreiche Programme dazu aufgesetzt hat. Fakt sei aber, dass "die Mittel kaum bei den Frauenhäusern und Beratungsstellen ankamen, weil das Antragsverfahren viel zu aufwendig und langwierig war", sagt Schauws t-online.

Die Parteien haben sich darauf verständigt, dass der Bund sich künftig an der Regelfinanzierung beteilige und einen bundeseinheitlichen Rechtsrahmen für eine verlässliche Finanzierung schaffe, auch um damit den bedarfsgerechten Ausbau der Frauenhäuser zu ermöglichen. Darüber hinaus solle der "Zugang zu Frauenhäusern verbessert werden, indem sie barriereärmer werden und Bedarfe vulnerabler Gruppen wie Frauen mit Behinderung oder geflüchteter Frauen sowie queerer Menschen besser berücksichtigt werden", sagt Schauws.

Versprechen 2: Medizinische Versorgung bei ungewollter Schwangerschaft verbessern

Im Falle einer ungewollten Schwangerschaft soll es ebenfalls Verbesserungen unter der designierten Ampelregierung geben. Ärztinnen und Ärzte sollen öffentliche Informationen über Schwangerschaftsabbrüche bereitstellen können, ohne eine Strafverfolgung befürchten zu müssen. "Daher streichen wir § 219a StGB", heißt es im Koalitionsvertrag.

"Die Situation bei ungewollter Schwangerschaft ist in vielen Regionen Deutschlands prekär", sagt die Grünen-Abgeordnete Ulle Schauws. Es gebe zunehmend weniger Ärztinnen und Ärzte, die Abbrüche durchführen und Frauen hätten zu wenig Entscheidungsfreiheit. Das widerspreche aber einer Gesundheitsversorgung, auf die sich alle verlassen können müssen. "Ich finde sehr wichtig, dass wir eine Kommission einsetzen werden, die neben Rechtsfragen im Bereich der Reproduktionsmedizin auch eine außerstrafgesetzliche Regelung des Schwangerschaftsabbruchs prüfen wird", bekräftigt die Abgeordnete.

Versprechen 3: Frauen sollen mehr in eine Erwerbstätigkeit gebracht werden

Eine höhere Erwerbsbeteiligung von Frauen wird angestrebt. Von den Erwerbstätigen in Deutschland waren im Jahr 2020 laut Statistischem Bundesamt etwa 79 Prozent Männer, hingegen nur etwa 72 Prozent Frauen. Dieser Wert soll angehoben werden, mehr Frauen sollen die Möglichkeit haben, einen Beruf auszuüben.

Ulle Schauws sagt: "Um mehr Frauen gewinnen zu können, braucht es vielfältige Arbeitsmodelle jenseits der starren Vollarbeitszeit. Hier ist die Weiterentwicklung der Brückenteilzeit ein wichtiges Instrument. Der quantitative und qualitative Ausbau der Kinderbetreuung sowie der Ganztagsangebote im schulischen Bereich sind weitere zentrale Schritte."

Friederike Beier ist Diplom-Sozialwissenschaftlerin an der FU Berlin und beschäftigt sich schon seit Jahren mit dem Thema der Gleichberechtigung zwischen Männern und Frauen. Sie findet den Punkt im Koalitionsvertrag über eine höhere Erwerbsbeteiligung bei Frauen besonders interessant. "Da scheint es mir mehr darum zu gehen, das weibliche Arbeitskräftepotenzial voll auszuschöpfen, anstatt Gleichstellung zu erreichen", sagte sie t-online.

Damit meine sie vor allem die Finanzierung der Renten und zum anderen die Punkte zur Reduzierung des Fachkräftemangels, wie etwa in der Pflege. Fast alle Frauen, insbesondere die mit familiären Verpflichtungen, würden allerdings bereits jetzt mehr als Vollzeit arbeiten, weil sie es seien, die sich größtenteils um die Familie kümmern. "Nur leider ist der Hauptteil der Arbeit, die Frauen leisten, weder bezahlt noch anerkannt", sagt sie. Dennoch müsse sie ja getan werden.

Beier schlägt deshalb vor: "Eine Erhöhung der Erwerbsarbeit von Frauen kann also nur durch einen Ausbau von qualitativ hochwertigen Kinderbetreuungs- und Alten- und Krankenpflegeangeboten erreicht werden." Doch bei der Betreuung gibt es derzeit eben auch noch Schwächen. Kitaplätze sollen zwar laut Koalitionsvertrag durch ein Investitionsprogramm ausgebaut werden, aber dabei fehlt immer noch das Personal für die Kitas.

"So lange soziale, pädagogische und pflegerische Berufe, die allesamt weiblich konnotiert sind, so schlecht bezahlt werden, prekär und durch Überlastung gekennzeichnet sind, wird sich daran nichts ändern", schätzt die Expertin ein. Eine wirkliche Gleichstellungspolitik müsse daher die Anerkennung und Bezahlung dieser Berufe in den Vordergrund stellen. "Dadurch würden Frauen besser verdienen, wären ökonomisch abgesicherter und müssten weniger Sorgearbeit unbezahlt zu Hause verrichten."

Versprechen 4: Der "Gender Pay Gap" soll abgebaut werden

Der sogenannte "Gender Pay Gap" soll transparent sein. Unter "Gender Pay Gap" versteht man die Differenz des durchschnittlichen Brutto-Stundenlohns zwischen Frauen und Männern. Frauen verdienten für ihre Arbeitsleistung im Jahr 2020 laut Statistischem Bundesamt durchschnittlich 18 Prozent weniger pro Stunde als Männer. SPD, Grüne und FDP wollen die Lücke schließen und streben paritätisch und divers besetzte Jurys und Gremien sowie Amtszeitbegrenzungen an.

"Um den Gender Pay Gap endlich abzuschmelzen ist ein ganzes Bündel an Maßnahmen notwendig", sagt die Grünen-Abgeordnete Schauws dazu. Es brauche gleiche Bezahlung für gleiche Arbeit, aber es brauche auch bessere strukturelle Rahmenbedingungen für die Vereinbarkeit von Beruf und Familie. So sollen die Anreize für Männer erhöht werden, sich um die Kinder zu kümmern, indem etwa die Partnermonate ausgeweitet oder junge Väter einfacher vom Job freigestellt werden können. Der Pflegeberuf, in dem immer noch verstärkt Frauen arbeiten, soll strukturell aufgewertet und besser bezahlt werden.

Friederike Beier sagt jedoch: "Leider bleibt der Koalitionsvertrag bei der Frage, wie der Gender Pay Gap zu schließen sei, sehr unkonkret." Um mehr Gleichstellung bei der Bezahlung sowie der Kinderpflege zu erreichen, betont Beier vor allem zwei Aspekte: "Zum einen müsste die Arbeitszeit bei vollem Lohnausgleich reduziert werden, wie feministische Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler es schon lange fordern. Das würde auch dazu führen, dass Männer mehr Zeit für Care-Arbeit haben. Das wird aber im Koalitionsvertrag abgelehnt beziehungsweise der Acht-Stunden-Tag wird weiter festgeschrieben."

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Zum anderen müsse das Ehegattensplitting endlich abgeschafft werden, das dazu führe, dass es sich für verheiratete Frauen finanziell nicht lohne mehr oder in besser bezahlten Jobs zu arbeiten. "Frauen haben derzeit zu 90 Prozent die steuerlich schlechtere Klasse V, während Männer durch die Steuerklasse III finanziell begünstigt werden. Daher lohnt es sich für Familien sogar finanziell, wenn Frauen weniger oder gar nicht arbeiten. Dadurch wird der Gender Pay Gap durch die Regierungspolitik aufrechterhalten und sogar verstärkt", so Beier.

Versprechen 5: Änderung beim Aufenthaltsrecht für Opfer häuslicher Gewalt

Die neue Bundesregierung will eine präzisere Regelung für Opfer häuslicher Gewalt schaffen, vor allem für diejenigen, die nur ein abgeleitetes Aufenthaltsrecht besitzen. Auch Opfer von Menschenhandel sollen ein Aufenthaltsrecht unabhängig von ihrer Bereitschaft erhalten, gegen den Täter auszusagen.

"Die letzte Bundesregierung hat an ihrem Vorbehalt bezüglich Artikel 59 der Istanbul-Konvention festgehalten, der ein unabhängiges Aufenthaltsrecht von gewaltbetroffenen Frauen fordert", erklärt Ulle Schauws. Im schlimmsten Fall habe das bedeutet, dass Frauen, die Gewalt durch ihre Partner erfahren hatten, zusammen mit ihnen abgeschoben wurden. "So etwas darf nicht passieren." Opfer von Gewalt müssen eigenständigen Schutz bekommen. Deutschland müsse innerhalb der EU eine Vorreiterrolle bei der Umsetzung der Istanbul-Konvention haben. Das sei aber noch ein weiter Weg.

Artikel 59 der Istanbul-Konvention: Darin ist festgelegt, dass sich die Vertragsstaaten verpflichten, sicherzustellen, dass gewaltbetroffene Frauen, deren Aufenthaltsstatus von dem Aufenthaltsstatus ihres Ehemanns oder Partners abhängt, im Fall der Auflösung der Ehe oder Beziehung bei besonders schwierigen Umständen auf Antrag einen eigenständigen Aufenthaltstitel unabhängig von der Dauer der Ehe oder Beziehung erhalten können. Die Bundesregierung hat Vorbehalte zu diesem Artikel.

Noch viele unkonkrete Punkte

Die Sozialwissenschaftlerin Friederike Beier fordert: "Erst wenn Arbeiten allgemein familienfreundlicher wird, Arbeitszeiten allgemein reduziert werden und Sorge für andere als wichtige Aufgabe für alle Menschen anerkannt wird, wird sich an der ungerechten Aufteilung der Sorgearbeit langfristig was ändern." Das sei eine sinnvolle und gewinnbringende Aufgabe für eine neue Bundesregierung.

Die Ampelparteien zeigen einen neuen Weg auf und bekräftigen im Koalitionsvertrag die Bedeutung von Frauen und Männern als gleichberechtigte Bürgerinnen und Bürger dieses Landes. Doch viele Punkte sind noch zu unkonkret, wie etwa die ungleiche Bezahlung von Frauen und Männern oder die bessere Verteilung der Care-Arbeit. Vielfältige Arbeitsmodelle reichen daher nicht aus, um mehr Frauen in die Erwerbstätigkeit zu bringen, zumal sie auch weiterhin einen großen Anteil an Haushalt und Kinderbetreuung übernehmen. Die neue Koalition wird sich an Verbesserungen in all diesen Bereichen messen lassen müssen.

Verwendete Quellen
  • Koalitionsvertrag der Ampelparteien
  • Mit Material der Nachrichtenagentur dpa
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