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Ex-Kanzleramtsminister Hombach | "Erst das Volk, dann die Partei", habe ich lange nicht mehr gehört


Interview
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Ex-Kanzleramtsminister Hombach
"Erst das Volk, dann die Partei", habe ich lange nicht mehr gehört

  • David Ruch
InterviewVon David Ruch

Aktualisiert am 05.10.2018Lesedauer: 9 Min.
Bodo Hombach: War 1998 kurzzeitig Wirtschaftsminister in NRW, dann Kanzleramtsminister bei Gerhard Schröder.Vergrößern des Bildes
Bodo Hombach: War 1998 kurzzeitig Wirtschaftsminister in NRW, dann Kanzleramtsminister bei Gerhard Schröder. (Quelle: biky/imago-images-bilder)

Warum schwindet das Vertrauen in die etablierte Politik? Und was kann diesen Trend womöglich wenden? Darüber spricht Ex-Kanzleramtsminister Bodo Hombach im Interview.

"Auf uns hört ja keiner" – Dieser Vorwurf ist immer wieder zu hören, wenn in Deutschland Menschen über ihre politische Führung diskutieren. Stimmt diese Anklage? Ist der Politik derart die Bodenhaftung abhanden gekommen? Warum ging über Jahre Glaubwürdigkeit verloren? Und wie kann sie zurückgewonnen werden? Fragen an den früheren Kanzleramtsminister und SPD-Politiker Bodo Hombach, der den politischen Betrieb in der Hauptstadt wie in Brüssel und in Düsseldorf aus nächster Nähe kennt.

Herr Hombach, in der Causa Maaßen konnte man einmal mehr beobachten, dass dem politischen Spitzenpersonal die Orientierung und das Gespür für die Stimmung im Land abhanden gekommen scheint. Was läuft da verkehrt?

Bodo Hombach: Es verbreitet sich ein Politikertypus, der sich die Frage 'Wie geht’s mir heute?' erst nach dem Lesen der Zeitung oder der Netzmeldungen beantwortet. Der als Kompass für das, was er für richtig oder falsch hält, die Meinungsumfrage oder einen vermeintlichen Mittelwert aus der veröffentlichten Meinung heranzieht. Da tummelt man sich aber eher in den berühmten Meinungsblasen als in den Lebensrealitäten der Bürgerinnen und Bürger.

Das ist ein harsches Urteil. Und es berührt unmittelbar die Frage der Glaubwürdigkeit in der Politik. Die wird heute oft infrage gestellt. Warum?

Das wird sie schon länger. Vom Glaubwürdigkeitsverlust der Parteien, Institutionen, Politik im Allgemeinen reden wir seit vielen Jahren. Neu ist die Debatte über Glaubwürdigkeitsverlust von Medien. Das ist ein globales Phänomen. Der Zeitgeist ist auf der Suche nach neuem Halt, neuer Orientierung, neuen Standpunkten und Standorten in der Gesellschaft. Wer an nichts und niemanden mehr glaubt, ist nicht im Zustand liberaler geistiger Unabhängigkeit. Er ist verunsichert. Alte Gewissheiten und Regeln sind zerstoben, neue kaum aufgebaut. Wir erleben einen erbitterten Kampf darum, wer akzeptierte Wahrheiten liefert. Also Wahrheiten, von denen die Mehrheit sagt, dass deckt sich mit meiner Lebenserfahrung. Es ist scheußlich, dass die Überbringer solcher Wahrheit gegenwärtig weltweit bei Vereinfachern von rechts und links vermutet und gesucht werden. Die Ränder und Flügel des politischen Spektrums profitieren von selbstbezogener Sattheit der mittlerweile Etablierten, selbst wenn das Revolutionäre von gestern sind.

Was machen die etablierte Politik und die Medien falsch?

Zu viele Akteure in Politik und Medien sind von einem Denken und einer Sprache in den Kategorien Gut und Böse, Freund und Feind infiziert. Im Netz steigern sich Debatten häufig bis zur Hysterie. Zu oft geht es dabei schlicht um das Erhaschen von Aufmerksamkeit und Klickzahlen. Wer glaubt, dass 'klare Kante zeigen', im Sinne des derben Wortes oder von Untergriffen wie beim Catchen die gewünschte Volksnähe sei, der irrt. Es ist noch genug Alltagsklugheit im Volk um zu wissen: Jedes Ding hat zwei oder sogar noch mehr Seiten.

Wie sähe denn ein Gegenentwurf aus?

Noch sagen den Meinungsforschern bis zu 80 Prozent der Menschen im Land, sie fühlten sich als Mitte. Für mich sind das Menschen, die nicht das Entweder-oder, sondern das Sowohl-als-auch als lebensnah anerkennen.
Abwägende Vernunft ist in der Wahrnehmung der Leute nicht gleichbedeutend mit Zaudern und Zögern. Kluge Urteilsbildung lässt sich vermitteln und begründen. Die erwartet man von seiner politischen Führung. Eine schnelle, einfache Antwort kann Emotionen wecken, nachhaltiger ist es, wenn Überzeugung sich im Kopf verfestigt. Man möchte dem Nachbarn gern sagen können, warum man denkt, was man denkt. Deshalb ist diese argumentationsarme Zeit ein Problem.

Bodo Hombach, 66, war Wirtschaftsminister in NRW. Er machte Wahlkampf für Johannes Rau, Nelson Mandela und Gerhard Schröder, dem er 1998 ins Bundeskanzleramt folgte. Hombach war Geschäftsführer der Preussag Handel und ab 2002 zehn Jahre lang bei der WAZ-Mediengruppe. Er ist Honorarprofessor für Politik und Kommunikation an der Hochschule Bonn-Rhein-Sieg.

Sie beschreiben eine Polarisierung in den Debatten. Was hat dazu geführt?

Ein Missverständnis. Da ist der Glaube, im politischen Meinungskampf sei gefordert, was gerade populär ist. Zum anderen wird Konsensbildung, die oft schwierig aber eine Kernnotwendigkeit in der Demokratie ist, in den Medien oft als fauler Kompromiss dargestellt. In unserer Talkshow-Kultur ist niemand gefragt, der im Laufe der Sendung sagt: 'Dieses Argument hat mich überzeugt. Ich ändere meinen Standpunkt.' Sprech-Shows sind nicht dazu da, uns die politische Kunst und Notwendigkeit der Konsensbildung näher zu bringen. Das sind eher verbale Gladiatorenkämpfe. Da gibt es Sieger und Verlierer. Die Sprech-Show soll unterhaltsam und gern auch spektakulär sein. Konstruktive Politik muss aber Interessen verknüpfen, zusammenführen und zusammenhalten – versöhnen statt spalten eben.

Was vermissen Sie denn beim aktuellen politischen Personal?

Selbstkritik kommt zu kurz. Man neigt dazu, den Splitter im Auge anderer zu sehen und nicht den Balken vor der eigenen Haustür. Harsche Analyse und Kritik richten sich nur gegen den Gegner. Die Politik befragt sich kaum mehr selbst : 'Was nütze ich den Menschen und was nütze ich der Gesellschaft, wofür mache ich Politik, wofür stehe ich?' Der Satz, der früher bei Gerhard Schröder und bei Johannes Rau üblich war 'Erst das Volk, dann die Partei', den habe ich lange nicht mehr gehört.

Sie haben mit beiden, mit Schröder und Rau, eng zusammengearbeitet. Was war bei Schröder anders, als Sie es für den Politikbetrieb heute beschreiben?

Gerhard Schröder hat immer großen Wert auf Erdung gelegt. Er hat Authentizität und Volksnähe gezeigt, er war verstehbar für die Menschen mit seinen Stärken und Schwächen. Das lag auch daran, wie er mit seiner Biografie umging und wie die ihn geprägt hat. Das war nichts, was ihn entfremdete, sondern im Gegenteil Verständnis und Nähe auslöste.

Wie schlug sich diese Haltung in seiner Politik nieder?

Er akzeptierte sehr wohl den Rat von Beamtenrunden und Experten aus der Wissenschaft. Aber ihm war immer sehr wichtig, wie das und ob das von den Menschen verstanden wird. Bei ihm hatten Aufklärungsarbeit, das Ringen um die Köpfe und die Deutungshoheit einen unverzichtbar hohen Stellenwert. In der heutigen Zeit der Argumentationsarmut kommt das Begründen von Entscheidungen und Maßnahmen schmerzhaft zu kurz. Sein 'Basta' stand nicht am Anfang der Debatte, es sollte sie zusammenbinden.

Dennoch haftet ihm heute oft das Image vom Gazprom-Gerd an. Zu Unrecht?

Jedenfalls passt es nicht zu dem Gerhard Schröder, den ich kennen und schätzen gelernt habe zu der Zeit, als er Politik gemacht hat. Er stand inhaltlich für den Brückenschlag zwischen Wirtschaftskompetenz und sozialer Verantwortung und auch persönlich. Er war dicht an den Leuten, aber er konnte auch mit den Bossen der Wirtschaft. Mir fallen da Bilder am Rande eines Fußballspiels ein, vielleicht bei Hannover 96, wie er sich mit dem Parkwächter oder dem Chauffeur genauso über die Frage, ob die Currywurst nun gut oder schlecht war, unterhielt, wie mit dem Vorstandvorsitzenden von VW. Er hatte in der einen Richtung keine Berührungsängste und in die andere Richtung keine Arroganz.

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Was hat sich seither in der Politik verändert?

Politiker wie Schröder oder auch Wolfgang Clement haben die Erfahrung gemacht, dass das, was sie als richtige Politik erachtet haben, vom Wähler schnell mit Machtverlust abgestraft werden kann. Reformpolitik wurde in ganz Europa schon vom Wähler abgestraft. Kann man in einer Demokratie notwendige Reformen durchsetzen? Das fragen sich gerade Frankreich-Beobachter. Bei uns ist eine Politikergeneration erwachsen, die sich dem Risiko nicht aussetzen will. Sie sagt: Wir lassen die Finger von einer Politik, von der wir nicht von Anfang an wissen, dass die gute Presse gleich mitgeliefert wird und die gut in den Umfragen ankommt.

Sie meinen, es gibt eine Scheu, Risiken einzugehen?

An diesem Punkt beginnt politische Überzeugungsarbeit Aufklärungskunst zu werden. Es gilt Mehrheiten für etwas zu gewinnen, was richtig ist, aber nicht immer populär. Sich nicht nach den aktuellen Umfragen zu richten. Sich zu fragen, was ist langfristig notwendig, um vorhersehbare Risiken abzubauen. Das scheint leider auch in Medien keine Klickzahlen zu bringen. Tagesaktuelle Fragen dominieren die Debatten und das als Kollektiv-Erlebnis.

Sie kennen die Politik auf der Landesebene, aber auch in Berlin und Brüssel. Wo ist Entfremdung größer?

Das hängt von den Akteuren und deren Persönlichkeit ab. Es entfremden sich weniger Systeme, es sind Menschen. Natürlich gibt es in Brüssel den 'Apparat', der – so habe ich es erlebt – das eigene Ethos entwickelt hat, sich unabhängig von der Politik dem zu widmen, was er gerade für richtig hielt. Das Parlament hat sich seither ein wenig Gestaltungsmacht zurückerobert, aber noch lange nicht genug.

Was braucht es, um das zu ändern?

Es braucht Politiker, die immer wieder hinterfragen, was sie tun und warum sie es tun, und was das für die Menschen bedeutet. Wichtig ist, dass die Gruppe wächst, die zu dieser Selbstreflexion in der Lage ist, die sich davon befreit, sich immer nur mit Parteiinteressen und der eigenen Karriere zu beschäftigen.

Und dieser Gegensatz ist auf Landesebene kleiner?

Landespolitik ist dichter dran. Aber auch dort gibt es Fehlentwicklungen. Es tut mir leid, das sagen zu müssen, aber sieben Jahre rot-grüne Landesregierung in NRW waren zu selten davon geprägt, dass Themen, die den Menschen unter den Nägeln brannten, ganz oben auf der Agenda standen.

Was meinen Sie konkret?

Nehmen sie zum Beispiel das Thema Sicherheit, die Irritationen nach Köln und wie darauf reagiert wurde. Der jetzige Innenminister war mehrfach persönlich bei Razzien in so genannten No-Go-Areas. Das sind symbolische Taten. Und dennoch geben sie den Menschen zu verstehen, dass sie verstanden werden. Sein Vorgänger hatte die Dienststellen noch angewiesen, nicht von No-Go-Areas zu sprechen.

Sie haben Wahlkampf für Johannes Rau gemacht. Was war bei ihm anders?

Johannes Rau war die Konsensbildung an sich. Nicht durch Zufall bekam er bei einer Landtagswahl mehr als 52 Prozent. Bei ihm waren die Leute sicher, der beschäftigt sich mit den Themen, die uns unter den Nägeln brennen, der hört uns zu.

Wie gelang Rau das?

Auch durch seine Sprache. Er hat nicht in Schwarz-Weiß gedacht und erst recht nicht in Schwarz-Weiß geredet. Bei ihm war Überzeugungsarbeit tatsächlich Überzeugungskunst. Er konnte Kompliziertes in Metaphern, in Gleichnissen vermitteln. Manchmal hat er die Bibel zitiert, manchmal einen Witz erzählt. Er wurde verstanden. Ihm war wichtig, Sachen so zu erläutern, dass jeder sie seinem Nachbarn über den Gartenzaun selber erklären konnte.

Und das kann heute niemand mehr?

Nehmen Sie ein Interview mit einem Politiker im Fernsehen. Und fragen Sie anschließend jemanden, was der gesagt hat. Dann bleibt vielleicht der Hinweis, er war überzeugend, er war gut, freundlich oder das Gegenteil. Aber inhaltlich wiederholen kann das doch keiner. Der typische Politsprech ist nicht volkstümlich.

Was kann gegen Entfremdung helfen?

Lebenserfahrung und vergleichbare Sozialisation etwa. Eines ist zu diagnostizieren: Die Sozialauswahl der politischen Akteure ist von vornherein homogener geworden. In meiner Zeit gab es im Parlament bei den entscheidenden Akteuren das ganze Spektrum an sozialem Status und Herkünften, unterschiedliche Berufsmuster. Durchaus gab es schon damals viele Lehrer im Parlament, aber dennoch ein hohes Maß an Pluralität.

Woran liegt es, dass das heute anders ist?

Demokratische Parteien müssen auf der Suche sein, wie man ein breiteres Spektrum der Gesellschaft abbilden kann. Das ist ja auch Grundgesetzauftrag. Die Parteien haben die Willensbildung des Volkes zu spiegeln. Der meistgehörte Satz im Kneipengespräch ist heute: 'Auf uns hört ja keiner.' In der Schule wird Demokratie mit Volksherrschaft übersetzt. Realität ist, dass Demokraten vor Volksbegehren zu oft Angst haben müssen. Für mich ist klar: Alle sogenannten gesellschaftlichen Eliten, die politischen vorneweg, dürfen sich nicht noch weiter abkapseln. Sie dürfen ihre Realität nicht mit der Lebensrealität in unserer Gesellschaft verwechseln. Politische Repräsentanten müssen geradezu realitätssüchtig sein. Medien hätten dabei eine Schlüsselrolle. Die müssen die Leute da abholen, wo sie sind und nicht da, wo man sie gerne hätte.

Haben Sie im Laufe Ihrer politischen Karriere bei sich selbst so etwas wie Entfremdung beobachtet?

Ich war mehr Arbeitszeit in der Wirtschaft tätig, war Geschäftsführer eines großen Handelshauses, zehn Jahre Geschäftsführer eines Verlages, habe aber auch politische Stationen in Land und Bund und Europa erlebt. Mein Entschluss, in die Politik zu gehen, war geprägt von tiefer Überzeugung, etwas für die Gesellschaft zu tun. Ich hatte eine echte, idealistische Grundüberzeugung. Als mir das im Zuge der politischen Kämpfe und Intrigen verloren ging, habe ich im gleichen Moment die Lust an aktiver Parteipolitik verloren.

Sie sind gewechselt, andere machen das nicht?

Politiker sollten Alternativen im Leben haben. Problematisch sind Personen, die alternativlos Politiker sind, für die es die materielle und soziale Existenz bedeutet.

Sie haben sich in den 80er Jahren in Mülheim ein sehr großes Haus gebaut, dessen Kosten ausuferten. War das nicht auch ein Zeichen von Abgehobenheit?

Das mir das in jungen Jahren finanziell über den Kopf gewachsen war, war Resultat von Unerfahrenheit und Fehlplanung des befreundeten Architekten. Insofern nein. Ich musste wegen der Hypotheken sparsam leben. Ein Zeichen von Abgehobenheit war das sicher nicht. Bezahlt habe ich jeden Pfennig. Bis zum Bundesgerichtshof wurde – leider erst recht spät – festgehalten: Vorwürfe, man habe mir was geschenkt, sind weder korrekt noch zulässig. Dennoch haben mich solche Vorwürfe natürlich beleidigt und mir den Weg aus der aktiven Politik leichter gemacht.

Herr Hombach, vielen Dank für das Gespräch.

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