Die subjektive Sicht des Autors auf das Thema. Niemand muss diese Meinung übernehmen, aber sie kann zum Nachdenken anregen.
Was Meinungen von Nachrichten unterscheidet.Deutsche Politik Geltungssucht und Gier zerstören Vertrautheit
Der Streit zwischen CSU und CDU hat viele entsetzt. Auch Katharina Hacker. Die preisgekrönte Schriftstellerin kritisiert Egoismus und rohe Witze und fordert eine andere politische Kultur.
Katharina Hacker ist eine der bekanntesten deutschen Schriftstellerinnen. Für "Die Habenichtse" hat sie im Jahr 2006 den Deutschen Buchpreis für den besten deutschsprachigen Roman gewonnen.
Gerade hat sie eine Petition an den Bundestag gerichtet, in der sie sich "gegen die Verwahrlosung der politischen Kultur" wendet. In der kurzen Begründung schreibt sie, "die Verwahrlosung politischer Debatte, wie sie in den Verhandlungen zwischen CSU und CDU in den letzten Wochen zu Tage trat, erschüttert uns."
In einem Gastbeitrag für t-online.de führt sie aus, warum sie der Streit und die Heftigkeit der Auseinandersetzung so aufgewühlt haben.
Von Katharina Hacker
Zu den Dingen, die mein Leben verändert haben, zählt der Satz einer Freundin: Es gibt keinen Grund, jemandem etwas Nettes nicht zu sagen. Er leuchtete mir sofort ein. Seit ich Kinder habe, ist mir aufgefallen, dass eigentlich kaum jemand von Natur aus nett ist, kaum ein Erwachsener, selbst Kinder nur selten. Nett, ist im Grimmschen Wörterbuch notiert, heißt auch: klar, zugewandt, fein.
Wie die meisten bin auch ich von Natur aus nicht nett, aber ich finde es erstrebenswert, nett zu sein. Mehr noch, mir scheint, es gehöre sich so, spätestens ab einem gewissen Alter, meinetwegen ab fünfzig. Also gebe ich mir Mühe. Das fällt mir nicht leicht. Aber muss ich mich auch anstrengen, so ist das Leben doch heiterer seither. Schöner.
Allerdings fallen mir Gier und Geltungssucht noch schmerzlicher auf, seit ich mich um Freundlichkeit bemühe. Widerwärtig fand ich solche Neigungen schon immer, aber ich kann sie heute kaum mehr ertragen, weil sie so offenkundig zerstörerisch sind. Für die, die gierig und geltungssüchtig sind. Und erst recht für die, die darunter zu leiden haben.
Ein anderer Satz, der mein Leben bestimmt, stammt von Goethe. Er schrieb über das Frankfurt seiner Kindheit: Man fühlte sich geborgen, indem man mit dem Allgemeinen vertraut war.
Die Gesellschaft garantiert Geborgenheit
Der Satz ist so klug, weil er zwei Sachen verbindet, die man von allein nicht leicht zusammenbringt. Das Allgemeine und die Geborgenheit. Das Allgemeine wird oft für zu groß, für fremd, für kalt gehalten. Anders als das Nahe und Konkrete, die Nachbarschaft, die Familie.
Das Allgemeine ist aber, wenn man damit vertraut ist, überhaupt der Garant für Geborgenheit. Wenn man mit dem Allgemeinen vertraut ist und in Vertrauen auf ein Gemeinwesen, geht man selbstverständlich furchtlos auf die Straße, rechnet nicht jederzeit mit Angriffen und Überfällen. So, wie wir es jeden Tag tun.
Das Allgemeine, das ist die Gesellschaft von Bürgern. Unsere Gesellschaft, wie sie sich in ihren Bauten, Gewohnheiten, Institutionen, Umgangsformen zeigt, getragen und belebt von uns.
Politiker haben die Macht, Vertrautheit zu zerstören
Die gewählten Politiker sind dafür besonders verantwortlich. Sie sind dafür verantwortlich, Regeln zu prüfen, zu etablieren, zu hinterfragen und selber zu leben. Sie sind dafür verantwortlich, Wichtiges von Unwichtigem zu unterscheiden. Sie haben aber auch die Macht, Vertrautheit zu zerstören. Durch Geltungssucht und Gier zerstören sie die Vertrautheit.
Vertraut zu sein ist dabei nicht mit Zustimmung zu verwechseln. Man kann sich über den Weg trauen, miteinander vertraut sein, und zugleich in keiner Sache übereinstimmen.
Vielleicht ist, weil es um so viel geht, im Moment sogar Dissens unvermeidlich. Zwischen uns Bürgern und in jedem einzelnen von uns. Wer nicht zu viele Menschen aus anderen Ländern auf der Straße sehen möchte, muss sie sich vorstellen in kriegszerstörten Häusern, in beklemmender Armut. Gern möchte ich mein Leben weiterleben wie immer, und doch weiß ich, es ist nicht denkbar, ohne dass andere den Preis zahlen.
Krasse Entscheidungen in unserem Namen
Aber darüber nachzudenken, den Dissens ehrlich auszutragen, ist kaum möglich, wenn die Form nicht gewahrt wird, wenn wie eine Schmierschicht Grobheit, rohe Witze und egoistische Aufgebrachtheit über den Debatten liegen.
Die Überstimmten müssen sich in einer Demokratie gewürdigt fühlen, es muss klar sein, dass die anderen nicht ohne Rücksicht und aus reinem Kalkül eigene Interessen durchzudrücken versuchen. Überstimmt zu sein ist eines, düpiert und geringgeachtet zu werden ein anderes.
Wir dürfen nicht dulden, dass der Umgang innerhalb der demokratischen Institutionen vergröbert, weil das verschleiert, wie krass die Entscheidungen sind, die in unserem Namen getroffen werden sollen. Vor lauter Missbehagen über den Ton, in dem in den letzten Wochen verhandelt wurde, fasst man kaum noch, worum es im Streit eigentlich gehen sollte:
Es sollte um Menschen gehen, die in Not sind, außerhalb und innerhalb der Grenzen. Um Menschen, die Sorgen haben, ihr vertrautes Leben aufgeben zu müssen und die oft mutig versuchen, eine Lebensmöglichkeit für sich und ihre Familie zu finden.
Katharina Hacker, 51, wurde in Frankfurt am Main geboren. Sie studierte Philosophie, Geschichte und Judaistik und lebte viele Jahre in Israel. Ihr erstes Buch "Tel Aviv. Eine Stadterzählung" erschien 1997. Für die "Habenichtse" bekam sie den Deutschen Buchpreis. Der Roman wurde vor zwei Jahren verfilmt. Zuletzt erschien von ihr "Skip" im Fischer Verlag. Hacker lebt in Berlin.
- Autorinnenprofil auf der Website des Fischer-Verlags
- Petition auf "OpenPetition"