"Terror" bei "Hart aber fair" "Mehrheit hat gegen das Grundgesetz gestimmt"
Nach dem interaktiven Film "Terror" glühten die Telefonleitungen, die Sozialen Medien - und natürlich auch die Köpfe bei "Hart aber fair".
Das Konzept des Fernsehabends:
Vor "Hart aber fair" lief zur besten Sendezeit der Spielfilm "Terror".
Er basiert auf dem gleichnamigen Theaterstück von Ferdinand von Schirach und handelt von dem fiktiven Luftwaffenpiloten Lars Koch, der eine Passagiermaschine abschießt, die von Terroristen entführt wurde.
Wie auch im Theater konnten die Zuschauer am Ende die Schöffen spielen und über die Schuld des Angeklagten richten. Im Anschluss diskutierten die Gäste bei Frank Plasberg das Ergebnis.
Das Urteil:
Die Entscheidung war in der Höhe überraschend: 87 Prozent plädierten für Freispruch. In der Schweiz und in Österreich war das Ergebnis ähnlich.
Im Theater entscheiden sich lediglich rund 60 Prozent für den Schuldspruch. Vor den Anschlägen von Paris waren es noch weniger.
Der Hintergrund:
Es ist ein Dilemma: Darf ein Bundeswehrpilot ein entführtes Flugzeug abschießen, 164 Menschen töten, um 70.000 in einem Fußballstadion zu retten? Nein, hat das Bundesverfassungsgericht 2006 geurteilt. Ein Abschuss mache die Menschen in der Maschine "zum Objekt nicht nur der Täter".
Somit würde ihnen die Menschenwürde genommen. Allerdings urteilte das Gericht explizit nicht zur Schuld des betroffenen Piloten. Hier setzt das Theaterstück an.
Die Gäste:
- Franz-Josef Jung (CDU, 2005 bis 2009 Bundesverteidigungsminister)
- Thomas Wassmann (Major a.D.; ehem. Kampfjet-Flieger der Bundeswehr; Vorsitzender des "Verbandes der Besatzungen strahlgetriebener Kampfflugzeuge der Bundeswehr e.V.")
- Gerhart Baum (Rechtsanwalt, FDP-Mitglied; ehem. Bundesinnenminister 1978-1982)
- Petra Bahr (Theologin; design. Regionalbischöfin in Hannover)
Der Frontverlauf:
Die Pole waren schnell klar: Baum war als einer der Kläger, die das Urteil des Bundesverfassungsgerichts erstritten hatten, für den Schuldspruch. Jung hielt kräftig dagegen. Er hatte die Debatte als Verteidigungsminister 2006 mit dem Kommentar geprägt, dass er unter Berufung auf einen "übergesetzlichen Notstand" das Flugzeug abschießen lassen würde. Seine Argumentation: Die Menschen im Stadion haben auch ein Lebensrecht.
Laut Baum könne man aber gar nicht wissen, ob nicht vielleicht in letzter Sekunde die Terroristen von den Passagieren überwältigt werden könnten. Baum zufolge könne man Menschenleben nicht gegeneinander abwägen. Die Mehrheit der Zuschauer habe also "gegen das Grundgesetz gestimmt". Laut Jung wägen aber auch Ärzte ab, wenn sie etwa den Tod eines Babys in Kauf nehmen, um die lebensbedrohte Mutter zu retten.
Zwischen den Fronten:
Die besonnene Petra Bahr. Sie sah "eine Schuldigkeit vor dem Gesetz und eine moralische Schuld". Also von beidem etwas. Der Film zeige Lars Koch allerdings als Helden, was die Entscheidung der Zuschauer beeinflusse.
Richterin zu spielen, nannte sie eine "Amtsanmaßung".
Wassmann findet, das Verfassungsgericht lasse "die Piloten im Stich".
Selbst würde der ehemalige Kampfjet-Pilot schießen. Der "Verband der Besatzungen strahlgetriebener Kampfflugzeuge der Bundeswehr" (den Verein gibt's wirklich), dem Wassmann vorsitzt, rät allerdings seinen Mitgliedern, einen solchen Befehl nicht auszuführen.
Die Meinungen der Zuschauer:
Waren diesmal allgegenwärtig - ein interaktiver Traum. Die Zuschauer durften nicht nur abstimmen. Zwölf von ihnen hatten im Vorfeld den Film gesehen und dokumentiert, wie sie währenddessen im Schnitt dreimal ihr Urteil änderten. Die Sozialen Medien quollen über. Und sogar ein Mann im Publikum rief eine Frage in die Runde - und bekam von Plasberg prompt das Mikrofon gereicht. Das Meinungsspektrum reichte von einem Lars Koch als "Held" bis hin zum "Massenmörder".
Was fehlte:
Anders als im Film war eine Frage kaum ein Thema im Talk: Warum wurde das Stadion nicht geräumt, was in der fiktiven Geschichte circa 15 Minuten gedauert hätte - wohl mehr als genug Zeit.
Was bleibt:
Der Streit um das Luftsicherheitsgesetz ist ein moralisches und rechtliches Dilemma. Deshalb bleibt vor allem die Erinnerung an einen unterhaltsamen Fernsehabend, der zum Nachdenken anregt - und die Gewissheit, dass solche gerne Grundsatzdebatten Zeit und Raum haben dürfen. Sie sind, gut aufbereitet, alles andere als langweilig!
Der größte Applaus:
Gebührt diesmal der ARD. Nicht nur für einen sehr unterhaltsamen Fernsehfilm. Sondern auch für eine Fülle von Hintergrundinformationen im Netz. Dort kann man nicht nur beide Versionen des Urteils sehen, sondern auch in kurzer Zeit viel über das Thema lernen.
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