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Antisemitismus bei "Lanz & Precht": Michael Blume will vom ZDF Konsequenzen


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Experte zerlegt "Lanz & Precht"
"Unterirdisch, das Judentum so runterzumachen"

InterviewVon Martin Küper

17.10.2023Lesedauer: 5 Min.
urn:newsml:dpa.com:20090101:231015-99-571319Vergrößern des Bildes
Autor Richard David Precht (l.) und ZDF-Moderator Markus Lanz: "Habe mich so geärgert, dass ich nicht einschlafen konnte." (Quelle: Christian Charisius/dpa)
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In ihrem Podcast haben Markus Lanz und Richard David Precht judenfeindliche Klischees verbreitet. Forscher Michael Blume fordert vom ZDF Konsequenzen.

Angeeckt sind Markus Lanz und Richard David Precht schon früher. Anfang des Jahres verspotteten sie junge Leute als "gefühlige Hafermilchgesellschaft" und "Guavendicksaft-Truppe" – und mussten dafür viel Kritik einstecken. Auch in ihrem Podcast "Lanz & Precht" äußern sich der ZDF-Moderator und der Bestsellerautor gerne provokant. Doch nach antisemitischen Äußerungen in der jüngsten Folge der Sendung mehren sich die Forderungen nach Konsequenzen.

Der Religions- und Politikwissenschaftler Michael Blume ist Antisemitismusbeauftragter des Landes Baden-Württemberg. Er hat die Äußerungen von Precht und Lanz in seinem Blog bereits als judenfeindliche Klischees entlarvt. t-online hat mit Blume über den Umgang des ZDF mit der Kritik an der Sendung gesprochen und darüber, wie seine jüdischen Freunde auf die Entgleisungen reagieren. Mehr zum Inhalt der umstrittenen Folge von "Lanz & Precht" lesen Sie hier.

Sie haben die antisemitischen Äußerungen von Richard David Precht sehr eindrücklich zerpflückt. Was hat Sie an der Folge von "Lanz & Precht" am meisten gestört?

Michael Blume: Ich fand es einfach unterirdisch, das Judentum und den Staat Israel wenige Tage nach dem Terroranschlag der Hamas so runterzumachen. Es muss doch endlich normal werden, dass beim öffentlich-rechtlichen Fernsehen irgendjemand mal die Fakten checkt. Ich habe mir die ganze Folge spätabends angehört und mich so geärgert, dass ich nicht mehr einschlafen konnte. Ich dachte, warum sollen immer Jüdinnen und Juden so krasse Fehlinformationen über ihren Glauben klarstellen müssen?

Wie kann es sein, dass ein gebildeter Mann wie Richard David Precht so platte Lügen über Juden verbreitet?

Wenn uns ein Thema emotional sehr belastet und uns auch selbst infrage stellt, dann schieben wir dieses Thema unbewusst gerne von uns weg. Der psychologische Fachbegriff dafür heißt Externalisierung oder Abspaltung. Niemand setzt sich gerne mit Terror, Klimakrise oder Zukunftsangst auseinander. Wenn man dann nicht aufpasst, gerät man in eine Täter-Opfer-Umkehr und greift diejenigen an, die die schlechten Nachrichten überbringen und nicht die eigentlich Schuldigen.

Auch ZDF-Moderator Markus Lanz ist wegen der Podcast-Folge in die Kritik geraten.

Besonders krass fand ich, als Lanz dem Judentum vorwarf, es würde Menschen "fast als Geiseln" nehmen – und das, während sich noch Hunderte jüdische Menschen in der Geiselhaft der Hamas befinden! Da zeigt sich sehr deutlich, dass auch Menschen, die meinen, sie stehen darüber, von der Psychologie der Abspaltung betroffen sind. Auf einer emotionalen Ebene kann ich zwar nachvollziehen, was in ihm vorgeht; aber ich erwarte von einem Menschen, der beruflich in den Medien arbeitet, einfach mehr Medienethik. Wir alle haben eine Verantwortung, und die kann auch darin bestehen, mal eine Äußerung nicht zu senden oder jemandem ins Wort zu fallen, zum Beispiel, wenn der Herr Precht mal wieder schwurbelt.

Was würden Sie Markus Lanz raten?

Auch ich bin ein alternder, weißer Mann mit drei Kindern, auch bei uns zu Hause wird immer mehr Hafermilch getrunken und auch mir geht manche Entwicklung gefühlt zu schnell oder in die falsche Richtung. Das gibt mir aber nicht das Recht, über junge Leute oder religiöse Minderheiten herzuziehen und andere Menschen mit meinem Halbwissen zu belästigen. Lanz hat noch die Chance, aus diesem Riesenfehler zu lernen und es besser zu machen, aber wenn er auf diesem Kurs bleiben würde, hätte ich schon die Befürchtung, dass es mit dem Vertrauen in das ZDF deutlich abwärts ginge.

Hat die Reaktion des ZDF auf die Kritik an der Sendung Sie überzeugt?

Das ZDF hat ja erstmal die Kritik bedauert, also, dass die Sendung zu Kritik geführt hat, und nicht die Aussagen selbst. Ich hoffe, dass das ZDF und auch Lanz und Precht die Chance ergreifen, über sich selber und die eigenen Qualitätsstandards nachzudenken. "Lanz & Precht" hat eine riesige Reichweite und wird aus Gebühren finanziert. Da kann man in so einer Krise auch Expertinnen und Experten einladen, die sich in dem Bereich auskennen, statt Halbwissen zu verbreiten. Das ist eine Lehre, die man beim ZDF ziehen sollte.

Wie haben Ihre jüdischen Freunde auf die Sendung reagiert?

Viele jüdische Freunde sind verzweifelt, dass ausgerechnet in dieser Situation wieder große deutsche Medien auf das Judentum losgehen. Man kann sich kaum vorstellen, wie so etwas das Sicherheitsgefühl von Menschen beeinträchtigt, die eigentlich gedacht haben, sie sind hier in Sicherheit und von Freunden umgeben. Der Terror bedroht Juden ja nicht nur in Israel, sondern weltweit. Und genau das will die Hamas erreichen, sie will unsere freiheitlichen Gesellschaften spalten und die Juden isolieren. Und da hätte ich mir von öffentlich-rechtlichen Medien mehr Professionalität erwartet. Das ist halt kein kleiner Podcast, sondern den machen zwei der reichweitenstärksten Männer in Deutschland.

Was lösen dann erst die Bilder von Hamas-freundlichen Kundgebungen aus, bei denen auch antisemitische Parolen zu hören sind?

Mir fällt die Kinnlade runter, wenn jetzt zum Beispiel eine ehemalige Sprecherin von "Fridays for Future" mitten in Berlin den Vorsitzenden des Zentralrats der Juden in Deutschland, Josef Schuster, beschuldigt, er würde Pogrome gegen Muslime auslösen. Ich kenne Josef Schuster persönlich, er setzt sich sehr ein für den Dialog zwischen Juden und Muslimen. Wenn so etwas in der deutschen Hauptstadt geäußert wird von Menschen mit großer digitaler Reichweite, dann sollte auch der Allerletzte merken, dass Antisemitismus eine Bedrohung ist, der wir uns stellen müssen. Ich hatte schon 2017 in meinem Buch "Islam in der Krise" fast flehentlich gewarnt: Bei einem kleinen Teil der Muslime ist der Hass auf Juden nicht verschwunden, sondern hat nur geschlummert.

Wie kann es sein, dass schon so kurz nach den furchtbaren Massakern der Hamas mit mindestens 1.400 Todesopfern wieder antisemitische Reflexe zu sehen sind?

Die Nazis haben ihren Massenmord an den Juden noch vor der Öffentlichkeit versteckt. Der sogenannte Islamische Staat und die Hamas verüben ihre Verbrechen dagegen vor aller Augen, weil sie wissen, dass die Allgemeinheit das nach kurzer Zeit gar nicht mehr interessiert. Die Hamas zwingt Israel zum Einmarsch nach Gaza und setzt darauf, dass die Bilder davon Israel als vermeintlichen Täter dastehen lassen. Diese Propagandastrategie baut darauf, dass Menschen nur kurzfristig denken, in schnellen Bildern, und dass man den Antisemitismus in uns leicht abrufen kann. Und leider sehen wir, dass sie mit dieser Strategie immer noch Erfolg haben.

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Ist es naiv zu glauben, dass wir den Antisemitismus in uns überwinden können?

Niemand bereitet uns darauf vor, wie neue Medien das Leben beschleunigen. Das war schon so mit dem Buchdruck und später mit den elektronischen Medien. Darauf reagieren wir mit Widerwillen, der sogenannten Reaktanz, zumal viele dieser Veränderungen tatsächlich negativ sind. "Enge der Zeit ist die Wurzel des Bösen", lehrte der Holocaust-Überlebende und Philosoph Hans Blumenberg. Wir müssen damit umgehen lernen und wir haben dafür nicht mehr 200 Jahre Zeit wie beim Buchdruck oder zwei Generationen wie bei den elektronischen Medien. Das alles passiert jetzt innerhalb weniger Monate und Jahre. Ich sehe aber auch, dass sich immer mehr Menschen mit Antisemitismus beschäftigen, die zugeben, dass sie da nicht genug wissen. Selbstbildung ist hart, aber ich gebe die Hoffnung nicht auf, dass am Ende immer wieder die Aufklärung gewinnt.

Herr Blume, vielen Dank für das Gespräch!

Verwendete Quellen
  • Telefonat mit Michael Blume am 17. Oktober 2023
  • scilogs.spektrum.de: Faktencheck Lanz & Precht 110: Über Israel, den Gazastreifen und orthodoxe Juden
  • verschwoerungsfragen.podigee.io
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