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Juso-Chefin Jessica Rosenthal (SPD): "Nichts ist entscheidender als das"


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Juso-Chefin Jessica Rosenthal
"Nichts ist entscheidender als das"

  • Johannes Bebermeier
InterviewVon Johannes Bebermeier

Aktualisiert am 19.10.2021Lesedauer: 5 Min.
Jessica Rosenthal: Die Juso-Chefin sieht noch schwierige Koalitionsverhandlungen voraus.Vergrößern des Bildes
Jessica Rosenthal: Die Juso-Chefin sieht noch schwierige Koalitionsverhandlungen voraus. (Quelle: Thomas Trutschel/photothek.de/imago-images-bilder)

Die Ampelregierung kommt. Doch was sie verändern kann, wird erst jetzt in den Koalitionsverhandlungen konkret. Juso-Chefin Jessica Rosenthal sieht noch "viel Gesprächsbedarf".

t-online: Frau Rosenthal, für CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt stehen im Ampel-Sondierungspapier vor allem "Linksträumereien". Ist Ihnen als Juso-Chefin das Papier schon mal in Ihren Träumen begegnet?

Jessica Rosenthal: In meinen Träumen hätte das Sondierungspapier etwas anders ausgesehen. Nämlich so wie das SPD-Zukunftsprogramm. Ich würde der Union empfehlen, diese Rote-Socken-Kampagne einfach mal zu beenden. Das langweilt doch alle nur noch.

Wie ist denn Ihr Gesamteindruck vom Papier? Eher ein Albtraum für eine linke Jugendorganisation?

Na ja. In bestimmten Bereichen verdient das Sondierungspapier das Wort Aufbruch, etwa in der Gesellschaftspolitik. Da sind wir an der Union wirklich verzweifelt und als Land eigentlich viel weiter. Da weiterzukommen ist wirklich wichtig und freut mich sehr.

Ich erahne ein größeres Aber.

Ich verstehe einfach nicht, dass die FDP kleinere und mittlere Einkommen nicht entlasten will. Die Energiepreise steigen massiv, die Mieten an diversen Orten auch. Viele Menschen können das einfach nicht mehr bezahlen. Die SPD wollte gerade diese Menschen entlasten. Dass sich die FDP so dagegen sträubt, ist einfach hochgradig ungerechte Politik. Damit bin ich natürlich nicht zufrieden, wie könnte ich es auch sein.

Ihnen fehlt also vor allem eine Steuerreform?

Ja. Es war natürlich klar, dass das schwierig wird mit der FDP. Aber ich hätte mir gewünscht, dass sie ihre Position überdenkt. Wir werden zwar andernorts Umverteilung möglich machen: Der Mindestlohn von 12 Euro ist ein riesiger Erfolg. Auch die Kindergrundsicherung wird zu einer Entlastung führen. Das Grundproblem aber wird nicht gelöst, nämlich dass jede Schulter so viel tragen sollte, wie sie tragen kann.

SPD-Chef Norbert Walter-Borjans hat eine Erhöhung der Erbschaftsteuer nicht ausgeschlossen. Sollte sie kommen?

Ich würde mir das sehr wünschen. Es wäre ein Stück Gerechtigkeit. Sonderlich optimistisch bin ich aber nicht.

Jessica Rosenthal, 28 Jahre, ist Vorsitzende der Jungsozialisten, der Jusos. Im Januar 2021 löste sie Kevin Kühnert an der Spitze der SPD-Jugendorganisation ab. Sie ist Lehrerin für Deutsch und Geschichte in Bonn und bei dieser Wahl erstmals als Abgeordnete in den Bundestag eingezogen.

Ein weiteres wichtiges SPD-Projekt ist die Überwindung von Hartz IV. Die Ampel will ein Bürgergeld schaffen, allerdings bleiben viele Details unklar. Was klar drinsteht: An Mitwirkungspflichten soll festgehalten werden. Ist das genug?

Hinter dem Bürgergeld steht ja ein SPD-Konzept. Und genau das verstehe ich auch unter dem Sondierungsbeschluss. Das muss bedeuten: Es gibt ein gesichertes und sanktionsfreies Existenzminimum. Und die Regelsätze werden steigen. Das müssen wir anpacken und da haben wir ja auch das Verfassungsgericht an unserer Seite. Hartz IV zu überwinden darf keine hohle Phrase bleiben. Da sind wir als SPD in der Pflicht, sonst verspielen wir ganz viel Vertrauen.

Reichen die Pläne zum Bauen und Wohnen? Von einem Mietenmoratorium ist im Papier keine Rede.

Wir müssen viel mehr bauen, um den Wohnungsmangel zu beheben. Deshalb ist es richtig, dass unsere Pläne dafür im Papier stehen. Wir brauchen aber kurzfristig mehr. Wir müssen hart verhandeln, um ein Mietenmoratorium, quasi einen Mietendeckel, für angespannte Lagen hinzubekommen. Das wird im Papier nicht ausgeschlossen und das wünsche und erwarte ich mir, stellvertretend für Abertausende junge Menschen, die gerade nicht wissen, ob sie eine Wohnung in ihrer Ausbildungsstadt bezahlen können.

Sie haben den Mindestlohn von 12 Euro erwähnt. Es sollen aber auch die Verdienstgrenzen für Mini- und Midijobs raufgesetzt werden, was mehr prekäre Beschäftigung bedeuten könnte. War das der Kuhhandel, den man der FDP für den Mindestlohn anbieten musste?

Das weiß ich nicht. Ich kann es jedenfalls nicht nachvollziehen. Statt mehr Minijobs brauchen wir mehr Normalarbeitsverhältnisse. Auch hier müssen wir schauen, wie die wenigen Worte im Sondierungspapier jetzt unterfüttert werden. Eine Ausweitung der prekären Beschäftigung, das betrifft zum Beispiel auch ein Festhalten an sachgrundlosen Befristungen, ist mit uns Jusos jedenfalls nicht zu machen.

Im Sondierungspapier wird auch in einem Halbsatz die Gesetzliche Rentenversicherung revolutioniert: Es soll eine teilweise Kapitaldeckung kommen. Ist das nötig, um die Rente für Ihre Generation zu sichern?

Ich finde das schwierig. Es klingt erst mal sexy: Mal was mit Aktien machen, cool! Aber es ist eine Nebelkerze. Unser Rentensystem ist aus guten Gründen umlagefinanziert. Die vergangenen Jahrzehnte haben doch gezeigt, dass ein Kapitalmarkt zusammenbrechen kann. Es wäre gefährlich, wenn wir zu sehr in diese Richtung abdriften.

Aber wie wird die Rente sicher für Ihre Generation?

Durch eine gute Lohnpolitik! Und indem wir mehr Frauen in Arbeit bringen, und zwar nicht in den Niedriglohnsektor. Deshalb ist der Mindestlohn so wichtig. Wir müssen auch noch stärker zur Einwanderungsgesellschaft werden, um unseren massiven Fachkräftemangel zu beheben.

Wenn man das alles zusammennimmt: Hat die SPD als mit Abstand stärkste Partei hart genug verhandelt?

Die Verhandlungen waren von einem neuen Stil geprägt, was mich auch hoffen lässt auf einen neuen Politikstil. Nämlich auf Augenhöhe, sehr vertrauensvoll …

und intensiv und diskret, das haben wir auch schon gehört

Genau! Aber das sind ja nicht nur Floskeln. Die Diskretion habe ich als Juso-Vorsitzende auch zu spüren bekommen und fand sie genau richtig. Denn die drei unterschiedlichen Partner mussten sich erst mal finden.

Aber die Frage war: Hat sich die SPD als stärkste Kraft ausreichend durchgesetzt?

Für mich spielt keine Rolle, wer sich wo durchgesetzt hat. Das wäre ein Rückfall in altes Denken. Wichtig ist, welche Inhalte am Ende in einem Koalitionsvertrag stehen. Und da gibt es definitiv noch Gesprächsbedarf.

Und wie optimistisch sind Sie?

Leicht wird es nicht, das ist sicher.

Was sind für Sie die zwei Punkte, auf die Sie nicht verzichten wollen?

Die im Papier beschriebenen Investitionen müssen wirklich kommen: in Klimaschutz, in Infrastruktur, in Digitalisierung und vieles mehr. Nichts ist entscheidender als das. Und dafür muss die Finanzierung stehen. Da lasse ich mich nicht vertrösten mit allgemeinen Beteuerungen, dass man das schon irgendwie hinbekomme.

Und das zweite Projekt?

Es werden immer weniger Ausbildungsplätze angeboten, hinzu kommen extreme regionale Unterschiede im Angebot. Junge Menschen haben nicht mehr die Sicherheit, dass sie aus ihrem Leben alles machen können. Deshalb setzen wir uns seit Langem zusammen mit der Gewerkschaftsjugend für eine umlagefinanzierte Ausbildungsplatzgarantie ein. Das will ich im Koalitionsvertrag sehen.

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Sollten die SPD-Mitglieder am Ende über den Koalitionsvertrag abstimmen?

Ich halte das für sinnvoll. Es gibt zwar ein hohes Vertrauen in die Verhandlungsriege. Aber wir sind eine Mitgliederpartei, die Beteiligung großschreibt. Das steht uns einfach gut zu Gesicht.

Sie haben gesagt, die Jusos müssten bei Koalitionsverhandlungen mit am Tisch sitzen. Wie genau wollen Sie eingebunden sein?

Für mich ist wichtig, dass es nicht nur eine Scheinbeteiligung der Jusos gibt. Die Jusos sollten bei den Verhandlungen breit vertreten sein. Was das am Ende heißt, wird die Parteiführung entscheiden müssen. Ich kann ihr nur ans Herz legen, mit den Jusos zusammenzuarbeiten. Diese Augenhöhe war in der Vergangenheit sehr erfolgreich.

Muss sich die neue Stärke des linken Flügels auch im Kabinett widerspiegeln?

Mich ermüden diese Personaldebatten, die jetzt schon wieder geführt werden. Ich will jetzt erst mal, dass die richtigen Inhalte drinstehen. Dass es ein ausgewogenes Kabinett geben muss, ist klar. Aber das wissen auch alle.

Eine angemessene Repräsentation ist doch etwas, auf das die Jusos in der Partei zuletzt erfolgreich hingearbeitet haben. Das wäre doch auch für eine Regierung gut.

Ja, in jedem Fall. Aber es geht nicht um diesen oder jenen Posten für Jusos.

Sondern?

Es geht für uns um Politik, die Gerechtigkeit herstellt, die dafür sorgt, dass man unabhängig vom Glück der Geburt ein freies Leben führen kann und um die Umsetzung unseres Zukunftsprogramms. Und klar ist natürlich, dass das Kabinett paritätisch besetzt sein muss. Das ist eine harte Bedingung, von der ich nicht abrücken werde. Wir leben im 21. Jahrhundert. Diese Männernetzwerke, die sich gegenseitig stützen, sind nur noch schwer zu ertragen.

In der FDP finden einige die Parität gar nicht so toll.

Dann sollte sich die FDP in der Frage aufs 21. Jahrhundert einstellen.

Verwendete Quellen
  • Gespräch mit Jessica Rosenthal per Videotelefonie
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