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Bundestagswahl | Ampelkoalition? Plötzlich redet FDP-Chef Lindner ganz anders


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Ampelbündnis
Dornige Chancen

  • Johannes Bebermeier
Von Johannes Bebermeier und Titus Blome

Aktualisiert am 07.09.2021Lesedauer: 6 Min.
Olaf Scholz, Christian Lindner, Annalena Baerbock: Können die drei zusammen arbeiten?Vergrößern des Bildes
Olaf Scholz, Christian Lindner, Annalena Baerbock: Können die drei zusammen arbeiten? (Quelle: Montage: t-online/imago-images-bilder)

Christian Lindner hat sich verspekuliert – und voll auf Armin Laschet gesetzt. Nun dreht der FDP-Chef bei und lehnt eine Koalition mit SPD und Grünen nicht mehr kategorisch ab. Aber würde die auch funktionieren?

Christian Lindner muss nicht lange überlegen, als er gefragt wird, was ihm gerade so alles missfällt am politischen Mitbewerber.

Es sei "die politisch-inhaltliche Orientierung" insgesamt, die ihn "nicht überzeugt", sagt der FDP-Chef am Sonntag im ARD-"Bericht aus Berlin". Zu Steuererhöhungen etwa habe es "ganz unterschiedliche Signale gegeben", kritisiert er: "Sie dürfen aber nicht erhöht werden." Ebenso bei der Schuldenbremse, an der herumgedoktert werden solle: "Sie sollte aber bestehen bleiben." Auch beim Klimaschutz mache er sich Sorgen, warum man nicht stärker auf Technologie setze statt auf Verbote.

Steuererhöhungen, Schuldenbremse, Verbote? Genau so hörten sich in diesem Wahlkampf bisher Christian Lindners Angriffe auf die Grünen und die SPD an. Am Sonntag aber, als Lindner mit weinroter Krawatte im ARD-Studio steht, kritisiert er nicht die Grünen und auch nicht die SPD.

Er attackiert die CDU. Also ausgerechnet seinen vielbeschworenen Wunschpartner.

Alles – nur kein Linksbündnis

Man kann getrost davon ausgehen, dass Lindner vor lauter Kritisieren nicht einfach die Parteien verwechselt hat. Vielmehr hat sich die politische Lage für ihn und seine FDP fundamental gewandelt – und er muss langsam darauf reagieren.

Noch vor einigen Wochen hatte Lindner den Unions-Kandidaten Armin Laschet als quasi-sicheren Kanzler und sich selbst als Finanzminister präsentiert. Inzwischen muss Lindner fürchten, dass SPD und Grüne zusammen bald so stark sein könnten, dass sie die FDP gar nicht mehr für eine Regierung brauchen. Für Lindner würde dann wieder gelten: Viel Lärm gemacht, nichts erreicht.

Also eröffnet er sich eine neue Machtoption und gibt derzeit Schritt für Schritt seinen Widerstand gegen eine Ampelkoalition mit SPD und Grünen auf. Der FDP sei in den vergangenen Wochen eine neue Bedeutung zugekommen, ließ er am Sonntag wissen. "Nämlich zu garantieren, dass Deutschland weiter aus der Mitte regiert wird." Übersetzt heißt das: Die FDP will das, was für sie ein Linksrutsch ist, verhindern. Und im Zweifel muss dafür eine Ampel her.

Doch kann eine solche Koalition überhaupt funktionieren? Menschlich wahrscheinlich eher problemlos, denn die Protagonisten sind alles Profi-Politiker. Aber es gibt da ja noch etwas, das im Wahlkampf vermeintlich immer zu kurz kommt, aber in einem Koalitionsvertrag stets das Wichtigste ist: die Inhalte. Wo also gibt es Schnittmengen – und wo nicht?

Cannabis und Wahl ab 16

Vielleicht sollte man, um sich dieser Frage zu nähern, zunächst einmal das tun, was derzeit Millionen Deutsche auch machen: den Wahl-O-Mat befragen. Wer die Antworten der drei Parteien dort vergleicht, stellt einige überraschende Überschneidungen fest: Das Wahlalter etwa wollen sowohl SPD und Grüne als auch die FDP auf 16 Jahre senken. Cannabis wollen ebenfalls alle entkriminalisieren.

Alle drei wollen dem Bund zudem mehr Kompetenzen in der Schulpolitik gewähren. Die Gesichtserkennungstechnologie auf öffentlichen Plätzen hingegen wollen sie verhindern.

Alles Projekte übrigens, bei denen die Union anderer Meinung ist. Aber eben auch alles Projekte, die für ein Bündnis aus SPD, Grünen und FDP allein wohl nicht ausreichen würden. Sie würden die großen Unterschiede in anderen Politikfeldern nicht aufwiegen.

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Die größten Unterschiede zwischen den drei potenziellen Partnern liegen ohne Zweifel in der Finanz- und Steuerpolitik. Im Wahlkampf, wo die Parteien alles tun, um sich voneinander abzusetzen, werden diese Unterschiede gerade mit Vorliebe herausgestellt. Und erscheinen damit fast unüberwindbar.

Die FDP will die Unternehmenssteuern senken, Grüne und SPD nicht. Die wiederum wollen einen höheren Spitzensteuersatz und eine Vermögensteuer, was die FDP auf keinen Fall möchte. Die Liberalen hingegen wollen den Solidaritätszuschlag auch für die oberen zehn Prozent abschaffen, was SPD und Grüne ablehnen.

Es ist also: schwierig. Doch Probleme, so hat es Lindner selbst einmal gesagt, sind auch nur dornige Chancen. Wie also kann es klappen?

Es gibt sie, die Kompromisslinien

Wer genauer hinschaut und mit Politikern spricht, der kann durchaus Kompromisslinien erkennen. Statt die Steuern zu erhöhen, will die FDP sie senken. Aber Lindner sprach zuletzt schon nur noch davon, dass die FDP in ein "Jahrzehnt der Entlastung eintreten" wolle. An übermäßig viel Spielraum angesichts der coronabedingt schwierigen Wirtschaftslage glaubt er wohl aktuell selbst nicht mehr.

Von SPD und Grünen ist zudem immer wieder zu hören, dass ja auch sie die Steuern senken wollten – und zwar für kleine und mittlere Einkommen. Das will die FDP durchaus auch – und könnte es nach Koalitionsverhandlungen als einen Erfolg verkaufen.

Zudem hatte SPD-Chef Norbert Walter-Borjans vor einigen Monaten in einem "Handelsblatt"-Interview skizziert, dass die SPD zwar den Spitzensteuersatz leicht erhöhen wolle – er im Gegenzug aber erst später greifen soll. Für viele Menschen würde das also ebenfalls eine Entlastung bedeuten. Sollte es überhaupt dazu kommen.

Die Vermögensteuer wiederum wäre für die FDP wohl etwas, das sie ihrer Klientel schwer schmackhaft machen könnte. Allerdings ist sie auch nicht gerade ein Herzensprojekt von einigen am eher rechten Flügel der SPD. Die Steuer käme ohnehin den Bundesländern zugute, könnte also nicht direkt zur Entlastung des Bundeshaushalts beitragen. Möglicherweise wäre sie also Verhandlungsmasse.

Beim Solidaritätszuschlag steht ohnehin ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts aus. Die FDP hatte selbst Klage eingereicht, weil sie die Abgabe für verfassungswidrig hält. Warum also nicht abwarten, wie das Urteil ausfällt – und das Ganze im Koalitionsvertrag aussparen?

Die gewaltigste Herausforderung

Statt sich im Klein-Klein zu verlieren, lohnt aber auch ein Blick auf das große Ganze und damit auf die gewaltigste Herausforderung jeder neuen Regierung: den Klimaschutz. Und dieser Blick zeigt: Alle drei Parteien setzen große Hoffnungen in die Industrie – und wollen sie mit viel Geld dabei unterstützen, klimaneutral zu werden.

SPD und Grüne setzen dabei mehr auf direkte Subventionen und Finanzspritzen, also mehr auf den Staat. Die FDP will den Unternehmen indirekt helfen, etwa durch geringere Unternehmenssteuern und verbesserte Abschreibungsregeln.

Der Weg ist also ein anderer, aber beim Ziel ist man sich sehr einig: Die Industrie braucht Geld für den gewaltigen Wandel hin zur klimaneutralen Produktion. Auch um mit diesem staatlichen Geld die viel umfangreicheren privaten Investitionen anzuregen.

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Und die nächste Regierung muss ihr dieses Geld verschaffen. Da ist man sich einig.

Woher kommt das Geld für Investitionen?

Die Grünen wollen das Geld unter anderem aufbringen, indem sie die Schuldenbremse um eine Investitionsregel ergänzen. So sollen Zukunftsinvestitionen in den Klimaschutz trotz des Spardrucks möglich bleiben.

Eine solche Reform ist jedoch ohnehin schwierig, weil es für sie eine Grundgesetzänderung und damit eine Zweidrittelmehrheit im Bundestag und Bundesrat bräuchte. Der SPD schwebt in ihrem Wahlprogramm stattdessen eine Art Investitionsfonds bei der KfW vor. Laut "Handelsblatt" gibt es in der SPD Überlegungen Einzelner, das Ganze zu einem staatlichen Transformationsfonds auszubauen, der Unternehmen billige Kredite verschafft.

Es könnte ein klassischer Kompromiss sein, mit dem alle leben können.

Als Christian Lindner mit seiner weinroten Krawatte im ARD-Studio steht, wird er irgendwann gefragt, was SPD und Grüne der FDP denn anbieten müssten für eine Ampel. Immerhin hatte er zuletzt im "Spiegel" bezweifelt, dass Olaf Scholz ihm ein "attraktives Angebot" machen könne.

Und diesmal wird Lindner sogar überraschend konkret. Steuererhöhungen wären natürlich nichts, sagt er. Das ist klar. Man müsse im Gegenteil nun "eine wirtschaftliche Erholung organisieren".

Und dann nennt er es, sein Ampelprojekt: "Unser Vorschlag ist, dass wir noch in diesem Jahr ein Super-Abschreibungsprogramm auf den Weg bringen." Dies soll ein steuerlicher Anreiz für Industrie und Familienbetriebe sein, in Klimaschutz und Digitalisierung zu investieren. Die bisherigen Möglichkeiten zur Abschreibung sollten dafür beschleunigt werden. "Das schafft Jobs, und hilft bei den großen Zielen Klimaschutz und Digitalisierung zugleich."

Und es könnte ein Teil eines Ampelpakets sein, mit dem der Wirtschaft unter die Arme gegriffen wird, so könnte man ergänzen. Und an die Stelle der Steuersenkung für Unternehmen treten.

Das überzeugendste Angebot für Christian Lindner jedoch könnte am Ende ein ganz einfaches sein: Er und seine FDP würden mitregieren. In der SPD bezweifelt mancher, dass er das nach den geplatzten Jamaika-Verhandlungen 2017 ernsthaft noch mal ablehnen kann. Frei nach dem Motto: Besser jetzt mal regieren, als schon wieder nicht.

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