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Zum journalistischen Leitbild von t-online.SPD-General Lars Klingbeil "Die Union ist einfach kaputt"
Für die SPD läuft es nicht in den Umfragen, vom Kanzleramt ist sie weit entfernt. Wie die Partei die Lage bis zur Bundestagswahl im Herbst noch drehen will, erklärt Generalsekretär Lars Klingbeil im Interview.
Herr Klingbeil, alle sprechen über Annalena Baerbock und Armin Laschet. Wer interessiert sich eigentlich noch für die SPD?
Sehr viele Menschen. Wenn man den ganzen Hype um die Grünen und das unterhaltsame Chaos bei der Union mal ausblendet und nur aufs Politische schaut, sieht man: Die SPD hat mit Olaf Scholz und dem Zukunftsprogramm eine Idee davon, wie es nach Corona in Deutschland weitergehen soll. Das werden wir auch auf unserem Parteitag am Sonntag zeigen. Es gibt in unserem Land ganz viel Platz für soziale Politik.
Viel Platz gab es allerdings auch schon vor den Nominierungen der Spitzenkandidaten von Grünen und Union. Aufwärts ging es für die SPD trotzdem nicht, sie liegt in Umfragen wie festbetoniert um die 15 Prozent.
Wir waren monatelang im Schattenboxen, weil wir nicht wussten, wer auf der anderen Seite steht. Jetzt gibt es Klarheit. Olaf Scholz, Armin Laschet und Annalena Baerbock sind auf dem Platz und müssen sich an der Frage messen lassen: Wer kann Kanzler und hat die besten Ideen? Das Rennen geht jetzt erst los.
Das klingt für uns nach den Durchhalteparolen, die in den vergangenen Bundestagswahlkämpfen von Ihren Vorgängern ebenfalls verbreitet wurden.
Wir starten jetzt mit der Aufholjagd. Die SPD ist motiviert, da braucht es keine Durchhalteparolen.
Sondern?
Wir haben eine komplett neue Lage, weil nach 16 Jahren die Bundeskanzlerin abtritt. Die Menschen werden sich bis zum September ganz genau überlegen, wer nach Angela Merkel im Kanzleramt sitzen soll. In einer schwierigen Lage für Deutschland und die Welt. Olaf Scholz ist der erfahrenste Kandidat, und wir haben in unserem Zukunftsprogramm die besten Antworten für Familien, für eine klimaneutrale Wirtschaft, die neue Arbeitsplätze schafft, für neuen Wohlstand in den 2020er und 30er Jahren und für eine gerechte Gesellschaft.
Haben die Leute nach fast anderthalb Jahren Pandemie im Sommer überhaupt Lust, sich mit Ihren Antworten auseinanderzusetzen?
Erst mal freuen wir uns alle auf einen besseren Sommer, das ist klar. Aber die Frage, wer nach Angela Merkel die Führung des Landes übernimmt, wird die Menschen umtreiben. Nicht jetzt, aber im August und September, wenn es im Wahlkampf zur Zuspitzung kommt. Die Menschen werden sich dann fragen, wem sie am ehesten zutrauen, den Job erfolgreich zu machen.
"Wer kann es? Der Scholz!" – das ist Ihre größte Hoffnung im Wahlkampf?
Die jüngsten Landtagswahlen haben doch gezeigt, wie viel sich in kurzer Zeit drehen kann. In Rheinland-Pfalz ist uns eine Aufholjagd gelungen, in Niedersachsen, Brandenburg und Hamburg ebenfalls.
Und das ist ernsthaft auf den Bund übertragbar?
Die vergangenen Monate waren schwierig für uns. Aber das liegt auch daran, dass wir in einer dramatischen Lage für dieses Land Verantwortung getragen haben. Und das Chaos, das Unionsminister wie Jens Spahn etwa beim Impfen angerichtet haben, hat uns mit runtergezogen.
Noch mal: Die strategische Lage der SPD im Bund ist doch anders als etwa in Rheinland-Pfalz oder Hamburg. Dort stellte die SPD den Regierungschef und stritt mit der Union oder den Grünen um den ersten Platz. Im Bund ist es für Sie doch eher wie in Baden-Württemberg: Das Rennen machen Grüne und Union zwischen sich aus, die SPD kann nur zuschauen.
Ich lasse mir keinen Zweikampf zwischen Union und Grünen einreden.
Wir wollen Ihnen ja auch nichts einreden, sondern mit Ihnen diskutieren.
Es gibt drei Personen, die sich ums Kanzleramt bemühen und eine Chance haben. Abgerechnet wird am Wahltag. Die Grünen können gerne jetzt schon überlegen, welche Möbel sie ins Kanzleramt stellen. Aber bis September müssen sie auch inhaltlich was liefern, das wird nicht einfach. Und Armin Laschet hat es in wenigen Wochen geschafft, die Union von knapp 40 auf 24 Prozent zu bringen...
...Sie meinen: Dafür hat die SPD immerhin mehrere Vorsitzende gebraucht?
In so kurzer Zeit haben wir das in der Tat nicht hinbekommen. Im Ernst: Es ist noch alles drin für die SPD, gerade in einer Zeit, in der die Pandemie hoffentlich bald nicht mehr alle anderen politischen Zukunftsfragen überlagern wird.
Damit die SPD am Wahltag vorn liegt, müsste es allerdings eine Massenbewegung für Olaf Scholz geben. Die ist doch nirgendwo in Sicht.
Niemand stellt infrage, dass Olaf Scholz regieren kann. Deshalb hat er in Umfragen auch bessere Werte als Armin Laschet.
Allerdings im Moment schlechtere als Annalena Baerbock.
Das mag sein. Aber es gibt im Fall von Frau Baerbock gerade auch einen echten Hype. Das wird sich noch relativieren.
Ist Annalena Baerbock der Martin Schulz des Wahlkampfes 2021?
Ich weiß nicht, was Sie meinen.
Natürlich, natürlich. Wir gehen jetzt einfach mal davon aus, dass Sie für Ihren Wahlkampf damit kalkulieren, dass der Baerbock-Boom bald vorbei ist.
Ich bin ja auch einige Jahre in der Politik dabei – und habe immer wieder dieses Messias-Phänomen erlebt: mal Christian Lindner, mal Martin Schulz, mal Friedrich Merz, mal Robert Habeck. Immer gab es diese Projektion auf eine Person, die der ganz große Hoffnungsträger ist. Doch am Ende wurde noch jeder an der Realität gemessen. Und meistens ging das nicht besonders gut aus.
Und auf welchen Realitätscheck für Annalena Baerbock setzen Sie?
Sie wird sich in den nächsten Monaten zu sehr vielen Themen positionieren müssen. Und nicht alle Interviews für sie werden so wohlwollend sein wie das kürzlich auf Pro Sieben.
Nur als Vorwarnung: Wir werden am Ende nicht aufstehen und Ihnen applaudieren.
Dann bin ich beruhigt.
Auf die Fehler der anderen zu setzen, dürfte aber nicht reichen. Hat die SPD den Wahlkampfstart verpasst? Der rheinland-pfälzische SPD-Chef Roger Lewentz wirft Ihnen das vor.
Nein. Es geht jetzt los und dafür haben wir den Wahlkampf sehr gewissenhaft vorbereitet. Ich habe als Generalsekretär eine umfassende Fehleranalyse der vergangenen Wahlkämpfe gemacht...
...die was ergeben hat?
Zum Beispiel, dass die SPD geschlossen in einen Wahlkampf gehen muss. Das ist uns gelungen. Dieses Mal haben wir uns früher als alle anderen hinter unserem Kandidaten und unserem Regierungsprogramm versammelt. Jetzt geht es für uns um Sichtbarkeit.
Kann Olaf Scholz beim Thema Sichtbarkeit etwas von Gerhard Schröder lernen? Muss er vielleicht mal am Zaun des Kanzleramts rütteln?
Gerhard Schröder war der richtige Kanzler zu seiner Zeit. Heute funktioniert Politik anders.
Markus Söder hat aber durchaus etwas Schrödereskes.
Der ist aber nicht mal Kanzlerkandidat geworden.
Wer weiß, vielleicht wird er es ja noch.
So viel Chaos traue selbst ich der Union nicht zu. Ausgerechnet gegen Armin Laschet zu verlieren, qualifiziert Markus Söder jetzt auch nicht unbedingt für Größeres.
Welche Fehler seiner drei Kanzlerkandidaten-Vorgänger Frank-Walter Steinmeier, Peer Steinbrück und Martin Schulz darf Olaf Scholz denn nicht wiederholen?
Zunächst einmal sind wir nicht in den Wahlkampf hineingestolpert, wie es bei den von Ihnen genannten Beispielen der Fall war. Für alle drei gab es keine vorbereitete Kampagne, alle drei waren nicht am Regierungsprogramm beteiligt, alle drei konnten nicht auf die Geschlossenheit bauen, auf die Olaf Scholz sich jetzt verlassen kann. Wir haben es für und mit Olaf Scholz von Grund auf anders gemacht. Das wichtigste ist aber, dass man nicht panisch wird und ständig die Strategie ändert wie in vielen vergangenen Wahlkämpfen. Wir haben einen Plan und den verfolgen wir.
Muss die SPD nicht deutlicher machen, was Sie mit der Union nicht durchsetzen kann, also anders machen würde?
Man gewinnt Wahlen 2021 nicht nur mit Kritik am Gegner, sondern dadurch, dass man selbst sagt, wofür man steht und was man vorhat. Olaf Scholz wird auf dem Parteitag am Sonntag beschreiben, wie er das nächste Jahrzehnt gestalten will: Mit einem starken Sozialstaat, der die Menschen durch die anstehende Transformation bringt, die viel Neues mit sich bringen wird: andere Jobs, eine klimaneutrale Wirtschaft, ein modernes Mobilitätssystem, ein Update fürs Gesundheitssystem, große Schritte bei der Digitalisierung und vieles mehr.
Das wollen doch aber Union und Grüne auch alles. Was bekommt man denn nur mit der SPD?
Respekt für jede und jeden. Und den starken Sozialstaat.
Aber Armin Laschet ist doch nicht gegen den Sozialstaat.
Naja, Armin Laschet hat mit Friedrich Merz jemanden in sein Team geholt, der gerade erst darüber philosophiert hat, ob man nicht den Mindestlohn schreddern sollte. Um Merz herum gibt es einen starken Flügel, der den Sozialstaat angreift. Dagegen kann sich Laschet erkennbar nicht durchsetzen.
Mit den Grünen gibt es aber schon viele Überschneidungen, oder?
Das stimmt. Deshalb bin ich auch optimistisch, dass es in der nächsten Regierung einen rot-grünen Nukleus geben wird. Aber ich möchte, dass die SPD vorne liegt und den Kanzler stellt.
Danach sieht es derzeit nicht aus. Wie wollen Sie die Grünen denn überholen?
Indem wir sie inhaltlich stellen.
Und wie?
Wir werden thematisieren, dass es bei der Partei einen großen Unterschied gibt zwischen dem, was sie ankündigt, und dem, was sie macht. Da brauchen Sie sich nur die jüngsten Koalitionsverträge in Rheinland-Pfalz und Baden-Württemberg angucken. Letzterer ist beim Klimaschutz eine Nullnummer. Malu Dreyer hat mit der Ampel in Mainz mehr fürs Klima herausgeholt als die Grünen in der Koalition mit der CDU in Stuttgart.
Gerade beim Klimaschutz dürfte es allerdings schwierig werden, die Grünen zu stellen. Sie haben da laut Umfragen einen ziemlichen Kompetenzvorsprung.
Das ist auch ok. Die Grünen machen Klimaschutz, wir machen Klimaschutz und sorgen dafür, dass alle dabei mitkommen, auch diejenigen mit weniger Geld als das Grünen-Klientel hat. Und da gibt es noch viele andere Themen.
Zum Beispiel?
Auf Bundesebene reden die Grünen viel über den sozialen Wohnungsbau, in all den Ländern, in denen sie mitregieren, sind sie allerdings die Bremser. Im Bund fordern sie eine humane Flüchtlingspolitik, in Baden-Württemberg werden Kinder aus der Kita oder Schule abgeschoben. Im Bund wollen sie den Baustopp für Autobahnen, in Hessen treiben sie ihn voran. Genauso fragwürdig ist, dass sich die Grünen im Bundestag bei vielen wichtigen Abstimmungen enthalten haben, zuletzt bei der Bundesnotbremse. Dabei regieren sie in elf Ländern mit und bestimmen dort auch die Corona-Politik.
Nun ja, auf Bundesebene sind die Grünen in der Opposition.
Und da hat man keine Haltung? Wer dieses Land führen will, der kann sich nicht überall aus der Verantwortung mogeln.
Wir glauben allerdings, dass nicht nur die Grünen, sondern auch die Union für Sie ein Problem darstellt.
Inwiefern?
Die Politik hat in der Pandemie nicht immer das beste Bild abgegeben. Darunter haben zuletzt vor allem CDU und CSU gelitten. Wenn es wieder besser läuft – etwa, weil alle geimpft sind – profitiert davon wahrscheinlich vor allem die Union. So wie eigentlich immer.
Bei der Union ist doch zuletzt immer deutlicher geworden, dass niemand das Vakuum füllen kann, das Angela Merkel hinterlässt. Die Union ist einfach kaputt.
Puh. Jetzt sind Sie aber schon voll im Wahlkampfmodus.
Wieso? Nehmen Sie die Minister von CDU und CSU im Kabinett, die völlig unfähig sind. Was haben Anja Karliczek, Peter Altmaier und Andreas Scheuer denn hinbekommen? Nicht viel. Und dann ist da noch der Maskenskandal, der zeigt, dass die Partei ihren moralischen Kompass verloren hat. Und nun ist auch wieder die Abgrenzung nach rechts in Frage gestellt. Armin Laschet konnte die Nominierung von Hans-Georg Maaßen nicht verhindern und er beschönigt es jetzt im Nachhinein noch. Für Armin Laschet sind die Schuhe schon als Parteivorsitzender zu groß, wie soll das nur als Kanzlerkandidat werden?
Apropos große Schuhe: Gibt es eigentlich für Olaf Scholz eine andere halbwegs realistische Möglichkeit Kanzler zu werden als in einer Ampelkoalition?
Ich glaube fest daran, dass er Kanzler werden kann, wenn die SPD geschlossen und kämpferisch in die nächsten Wochen geht. Dafür ist der Parteitag am Sonntag ein wichtiges Aufbruchssignal.
Und jetzt bitte die Antwort auf die Frage.
Ich rede gern über eine starke SPD – nicht über Koalitionen.
Wie stark wird die SPD denn am 26. September?
Wir werden ein gutes Ergebnis erzielen. Der nächste Bundeskanzler kann von einer Partei gestellt werden, die auf 25 Prozent kommt.
So viele Prozente braucht es nicht: Wenn die SPD 20 Prozent bekommt, die Grünen 19 und die FDP 10, reicht es doch auch.
Das widerspricht ja nicht meiner Aussage, dass man es mit 25 Prozent schaffen kann.
Also lautet das Wahlziel 25 Prozent?
Nein, es heißt: So stark werden wie möglich.
- Gespräch mit Lars Klingbeil in Berlin