Martin Schulz ganz privat "Der Alkohol hätte mich getötet"
Martin Schulz spricht auf der schummrig beleuchteten Bühne im Berliner Maxim-Gorki-Theater. Ein ungewöhnliches Ambiente für den SPD-Kanzlerkandidaten, der derzeit schwierige Wochen im Bundestagswahlkampf durchlebt. Die Themen an diesem Abend sind eher unkonventionell: Es geht nur am Rande um Politik und vor allem um den Privatmenschen.
Nun ist Schulz eigentlich nicht dafür bekannt, bereitwillig über sein Privatleben zu plaudern. Der Vater zweier erwachsener Kinder schirmt seine Familie konsequent ab. Die biografischen Episoden, die der SPD-Politiker in seine Reden einstreut, sind sorgfältig ausgewählt: Der von einer Knieverletzung durchkreuzte Traum einer Fußballkarriere, die anschließende Alkoholsucht und Arbeitslosigkeit, die zweite Chance als selbstständiger Buchhändler und dann als Politiker.
Beim "Brigitte"-Gespräch lässt Schulz die Zuhörer ungewöhnlich nah an sich heran. Lange spricht der 61-Jährige über die Beziehung zu seiner Ehefrau Inge und auch über die Kanzlerin. "Gibt es was, wo sie sagen, das kann man wirklich von ihr lernen?", fragt eine Redakteurin den SPD-Kanzlerkandidaten über Angela Merkel. "Ja. Nerven behalten", antwortet Martin Schulz. Die Zuhörer im Maxim-Gorki-Theater lachen und applaudieren. Sie alle wissen, dass Merkel in Umfragen um Längen vor Schulz liegt.
Politische Kinder
Die beiden "Brigitte"-Journalistinnen wollen vor allem etwas über den Menschen Schulz erfahren und befragen ihn zu seiner Familie. Er diskutiere sehr viel mit seinen Kindern, einem 30 Jahre alten Sohn und eine 27-Jährige Tochter, berichtet der Kanzlerkandidat bereitwillig. "Beide sehr selbstbewusste und sehr kritische Personen, auch der Politik gegenüber." Seine Tochter sei Mitglied der SPD, sein Sohn nicht.
"Wie Söhne halt so mit Vätern umgehen", sagt Schulz in einer Mischung aus Leiden und Ironie und erläutert: "Ich glaube, der hält mich manchmal für ein bisschen gaga." Weil er Politiker sei. Kritik gibt es aber auch von seiner Tochter: "Meine Tochter findet, ich bin in der SPD ein strammer Rechter, das sei völlig falsch."
Die Journalistinnen wollen auch etwas über Frau Schulz erfahren. "Unsere Ehe war eine Liebesheirat. Ich habe meine Frau am 16. Mai 1985 kennengelernt, wir sind am 21. Mai 1985 zusammengezogen. Wir haben am 25. November 1985 geheiratet." Viele seiner Freunde hätten ihn damals gewarnt, "Sag mal, hast du sie noch alle?"
Ehefrau als Stütze
"Ich würde sagen, ich liebe meine Frau heute fast noch mehr als damals", sagt Schulz. Die Beziehung sei in all den Jahren intensiver geworden. Er schweigt kurz. Dann: "Was soll ich sagen, es ist halt so." Beide hätten alle Höhen und Tiefen durchlebt, ein Politikerleben sei nicht einfach. "Meine Frau ist die Person, die dann, wenn es mir ganz schlecht geht, dann, wenn ich nicht mehr kann, wenn ich auch keinen Bock mehr habe, wenn mir die Welt auf die Nerven geht und ich am liebsten die Brocken hinschmeißen würde, sagt, was man einem Typen wie mir dann sagen muss."
Zugleich betont Schulz, dass er seine Familie weitestgehend aus dem politischen Leben heraushalten wolle. Dieses Versprechen habe er seiner Frau bereits gegeben, als er mit Anfang 30 für das Bürgermeisteramt in Würselen kandidiert habe. Seine Frau sei als Landschaftsarchitektin "sehr erfolgreich" und habe ihr eigenes berufliches Leben verwirklichen wollen.
Kampf gegen die Sucht
Schulz spricht auch über sein Elternhaus. Sein Vater, ein Polizeibeamter, stammte aus einer sozialdemokratisch geprägten Bergarbeiterfamilie. Seine Mutter hatte ihre Wurzeln im katholisch-konservativen Milieu und war Gründungsmitglied der örtlichen CDU. "Ich bin das Kind einer politischen Mischehe", sagt der SPD-Chef. Gemeinsam sei seinen Eltern die Ablehnung des Nationalsozialismus gewesen. "Das ist in meinen Genen."
Zur Sprache kommt im Maxim-Gorki-Theater auch die wohl größte persönliche Krise in Schulz' bisherigem Leben - sein alkoholbedingter Absturz als junger Mann. Die Fragen dazu nervten ihn nicht, lässt er wissen. "Das ist ein Teil meines Lebens." Mit seinem Bekenntnis zu den früheren Alkoholproblemen könne er als öffentliche Persönlichkeit "anderen Menschen Mut machen".
Schulz erzählt, er sei stolz darauf, dass er seine Sucht aus eigener Kraft in den Griff bekommen habe. "Der Alkohol hätte mich wohl getötet." Geholfen habe ihm damals eine Psychotherapie, in der er den tieferen Ursachen der Sucht nachgegangen sei. "Das hat mein Leben nachhaltig verändert."
Bekennender Fußball-Fan
Schulz bekennt sich auch als Fußball-Fan: "Als der Fußballprofi Osako das 2:0 für den 1. FC Köln geschossen hat und den FC damit in die Europa-League gebracht hat, da bin ich durchs Wohnzimmer gehüpft." Sein Sohn habe dann gesagt: "Setzt dich mal wieder hin, du bist doch der Kanzlerkandidat, benimm dich mal hier."
Schulz gesteht: "Fan des 1. FC Köln sein, ist so eine Art Seelenzustand und den habe ich seit meinen frühesten Kindheitstagen." Der Kandidat verrät auch, dass Rinderrouladen nach dem Rezept seiner Schwiegermutter sein Lieblingsessen seien, er es genieße im Garten seiner Frau zu sitzen und Urlaube in der Bretagne liebe.
Wenn die Rede auf Politik kommt, schaltet der Kanzlerkandidat in den Wahlkampf-Modus um. So wirbt er etwa um das SPD-Rentenkonzept oder seine Vision für die Zukunft der Europäischen Union. Er bekräftigt, am 25. Juni werde er eine programmatische Rede halten. "Und dann werden wir klar machen, wofür ich stehe."
Für dem US-Präsidenten Donald Trump findet er scharfe Worte: Wenn er angerempelt würde, wie es Trump bei einem Fototermin mit jemand anderem gemacht habe, dann würde er dem US-Staatsoberhaupt sagen: "Du bist ein ausgemachter Flegel."
"Es ist vollbracht"
Der Kanzlerkandidat berichtet, er würde gern einen Roman über den Kaiser Karl V schreiben. Er sei eine der interessantesten weltgeschichtlichen Figuren, antwortet Schulz. Vor allem aber habe der damals mächtigste Mann der Welt 1555 aus freien Stücken auf seine Krone verzichtet. "Ich rätsele bis heute noch, warum das so ist." Karl V sei einer der ganz wenigen sehr mächtigen Männer, "der zurücktritt und sagt, 'ich will die Macht nicht mehr'."
Auf die Frage, was das Handeln des Kaisers ihn so beschäftige, antwortet Schulz: "Karl V ist nach meiner Einschätzung eine Persönlichkeit, die ein Leben lang von der Macht fasziniert war und sie zugleich immer als Last empfunden hat." Später wird der Kanzlerkandidat gefragt, was er wohl am Abend des Wahlsonntages am 24. September notieren werde. Schulz antwortet: "Es ist vollbracht."