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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Wahlanalyse bei "Illner" "Die sind eben brandgefährlich": Weil fordert Abschiebungen
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Zeitweise stand am Wahlabend die CDU vor der Frage, mit den Grünen koalieren. So richtig enthusiastisch zeigte sich bei "Maybrit Illner" am Wahlabend keiner darüber – die CDU am allerwenigsten.
CDU-Generalsekretär Carsten Linnemann hielt sich die Option einer Koalition mit den Grünen am Wahlabend bei "Maybrit Illner" offen – sollte es rechnerisch nicht anders gehen. Der Grünen-Politiker Felix Banaszak stellte trotz einer verlorenen Wahl indes Bedingungen. Erst weit nach Ende der Sendung stand fest: Das BSW und die FDP ziehen nicht in den Bundestag ein, Union und SPD haben eine Mehrheit.
Die Gäste
- Carsten Linnemann (CDU), Generalsekretär
- Stephan Weil (SPD), Ministerpräsident Niedersachsen
- Felix Banaszak (B‘90/Die Grünen), Parteivorsitzender
- Robin Alexander, stellvertretender Chefredakteur "Die Welt"
- Eva Quadbeck, Chefredakteurin "RedaktionsNetzwerk Deutschland" (RND)
Die CDU befindet sich am Abend der Bundestagswahl trotz ihres Wahlsiegs in keiner leichten Position. Hätte das Bündnis Sahra Wagenknecht nämlich den Einzug ins Parlament geschafft (was zum Zeitpunkt der Sendung nicht klar war), wäre mehr als eine Große Koalition notwendig – und die Grünen de facto die einzige Option für einen Juniorpartner neben der SPD.
Quadbeck: "Ein glanzloser Sieg"
Begeistert schien an diesem Abend kein Vertreter der anwesenden Parteien (die AfD fehlte in der Talkrunde) zu sein – auch nicht der Wahlsieger CDU. Natürlich habe er sich ein Ergebnis mit einer Drei davor gewünscht, gab Linnemann zu. Dennoch habe man gewonnen. "Die Ampel ist abgewählt, Friedrich Merz ist der nächste Bundeskanzler." Für die Journalistin Eva Quadbeck ein "glanzloser Sieg".
Enttäuscht zeigte sich Stephan Weil von der SPD. "Wir gewinnen zusammen und verlieren zusammen. Und heute haben wir zusammen verloren", so der Ministerpräsident Niedersachsens, der weder Olaf Scholz noch anderen Parteikollegen die Schuld geben wollte. Den Verlust wollte er nicht kleinreden, es sei jedem in der Partei bewusst, dass es sich hier um eine Zäsur handle. Über mögliche Personalwechsel wollte er sich nicht äußern.
Auch der anwesende Parteivorsitzende von B’90/Die Grünen, Felix Banaszak, war nicht zufrieden mit dem vorläufigen Ergebnis. "Natürlich reicht uns das nicht aus. Wir haben uns aus dem tiefsten Loch im Sommer und Herbst, aus zwei Landtagen, herausgekämpft. Aber nicht weit genug nach oben und nicht so, wie wir das wollten. Man hat viele Stimmen an die Linke verloren auf den letzten Metern."
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Robin Alexander: Jetzt muss die Mitte Kompromisse finden
Obwohl die Grünen zu den Wahlverlierern des Abends gehören, zeigte sich Banaszak in puncto Forderungen durchaus selbstbewusst. "Wenn keine Mehrheit ohne die Grünen gebildet werden kann, dann werden wir diese Gespräche natürlich führen. Aber selbstverständlich mit dem Wissen, dass ohne uns keine Regierung zustande kommt."
Dafür hagelte es Kritik von Eva Quadbeck. Natürlich habe jede Partei, die in eine Koalition gehe, das Recht, ihre Punkte einzubringen, die sie für gut für das Land halte, so die Journalistin. "Aber direkt damit reinzugehen: 'Hey, wir haben hier ein gutes erpresserisches Potenzial und werden das auch einsetzen' – das ist aus meiner Sicht der falsche Ansatz, um tatsächlich zu einer funktionierenden Regierung zu kommen, die am Ende die Probleme der Menschen in diesem Land löst."
Robin Alexander von der "Welt" ortete dringenden Handlungsbedarf. "Jetzt muss die Mitte Kompromisse finden und gleichzeitig etwas Neues schaffen, das schnell wirkt. Wir brauchen eine schnelle, wirksame Veränderung – spürbar in der Migrationspolitik, spürbar in der Wirtschaftspolitik." Die Mitte müsse jetzt zeigen, dass sie sich einigen kann – und somit "größer wirken als in den letzten Jahren."
"Dann hätte es die AfD eingebracht"
Das Thema Migration wurde an diesem Abend ausführlich diskutiert – wenig überraschend, war es doch das Hauptthema der AfD, die ihr Ergebnis im Vergleich zur letzten Bundestagswahl voraussichtlich verdoppeln konnte.
Stephan Weil betonte, dass es nun darum gehe, Sicherheit gezielt zu verbessern – und sprach dabei von Altfällen, also Personen, die bereits seit längerer Zeit ausreisepflichtig sind, aber nicht abgeschoben wurden: "Wir müssen dafür die richtigen Maßnahmen treffen und vor allem müssen wir sie prioritär abschieben. Unbedingt. Das sind diese paar hundert Leute, um die es da geht. Aber die sind eben brandgefährlich. Zweitens: Wir müssen GEAS, also den gemeinsamen europäischen Asylkompromiss, umsetzen – insbesondere was die Sicherung von Außengrenzen angeht. wo wir es statistisch mit wenig wahrscheinlichen Asylgesuche zu tun haben, sehr grenznah das durchführen."
Carsten Linnemann verteidigte den Kurs der CDU in der Migrationspolitik und rechtfertigte die umstrittenen Bundestagsanträge der Union bezüglich einer Verschärfung des Asylgesetzes: "Wenn wir das nicht eingebracht hätten, hätte es die AfD eingebracht. Das ist unser Gesetz. Dann hätte ich als freier Abgeordneter gegen ein eigenes CDU-Gesetz gestimmt. Was glauben Sie, was mit der Union passiert wäre? Und was glauben Sie, was mit der AfD passiert wäre?"
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Robin Alexander machte deutlich, dass die Union in dieser Frage eine klare Strategie brauche, um Glaubwürdigkeit zu behalten: "Alles muss immer im Recht bleiben, aber es muss sich ändern. Es geht nicht so weiter. Und wenn Friedrich Merz sagt, ich habe eine Möglichkeit gefunden, im Europarecht ein anderes Regime an den Grenzen zu machen, dann muss man darüber reden."
Eva Quadbeck warnte hingegen davor, dass die Mitte durch ihren Umgang mit dem Migrationsthema die AfD weiter stärken könnte: "Die Frage ist gar nicht, wie groß sind die Probleme? Sondern die Frage ist: Wie kompromissfähig ist die politische Mitte eigentlich noch? Und diese Kompromissfähigkeit ist ja wirklich schwer abhandengekommen."
Quadbeck war es auch, die die Tendenz von Jungwählern – diese wählten zum größten Teil links oder die AfD – als "dramatisch" bezeichnete. "Das ist ein niederschmetternder Befund. Schon bei der vergangenen Bundestagswahl lagen Grüne und FDP bei jungen Wählern vorne – die traditionelle Bindung an die früheren Volksparteien war also bereits aufgebrochen. Dass sich eine junge Generation politisch neu sortiert, ist grundsätzlich nichts Ungewöhnliches. Junge Menschen wählen oft experimenteller als diejenigen, die bereits gefestigt im Leben stehen. Aber diese Entwicklung geht weit über normales Wahlverhalten hinaus: Dass AfD und Linke nun bei den 19- bis 29-Jährigen die stärksten Parteien sind, ist dramatisch."
Banaszak plädierte dafür, die gegenseitigen Schuldzuweisungen für das Erstarken der AfD etwas abzustellen. "Wenn wir irgendwann aus diesem Ritual rauskämen, dass Herr Merz ans Rednerpult tritt und sagt: Das Erstarken der AfD ist ausschließlich der Ampel zuzurechnen – und dann gehen Leute von der Ampel ans Rednerpult und sagen, das Erstarken der AfD ist ausschließlich Friedrich Merz zuzurechnen – dann wäre das ein Fortschritt. Denn das glauben die Menschen nicht."
Ukraine-Debatte: "Wir sollen das ja bezahlen"
Weitgehend waren sich die Anwesenden indes, dass es ein Überdenken der Ukraine-Politik braucht. "Wenn wir nicht wollen, dass Europa in eine schwierige Situation kommt, braucht es die ausreichende Unterstützung der Ukraine, die an vielen Stellen ja leider mit dem Bundeskanzler nicht ausreichend diskutiert werden konnte““, so Banaszak.
Auch Robin Alexander machte deutlich, dass hier dringender Handlungsbedarf bestehe: "Es wäre schon ganz gut, wenn auch jemand aus Deutschland mitreden könnte, was in der Ukraine passiert. Denn wir sollen das ja bezahlen – und eventuell auch unsere Soldaten dorthin schicken."
Linnemann: Mit den Grünen wird es schwierig
Auf Maybrit Illners Kommentar in Richtung CDU, ohne die Grünen ließe es sich nur in der Vorstellung Markus Söders regieren, meinte Carsten Linnemann, dass solche Gespräche möglicherweise notwendig seien, aber einen "Politikwechsel" deutlich erschweren würden: "Sollte es so kommen, dass das BSW reinkommt in den Deutschen Bundestag, dann gestaltet sich die Regierungsbildung schwierig. Das kann man jetzt schon vorwegnehmen, weil dann müssten wir sowohl mit den Grünen als auch mit der SPD reden. Und ob sich dann der Politikwechsel so durchsetzt, wie wir uns vorstellen und dann vereinbar ist mit den beiden Kollegen: Die Frage stellt sich dann offenkundig."
- zdf.de: "Maybrit Illner" vom 22.2.2025