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Zum journalistischen Leitbild von t-online.FDP-Finanzpolitikerin "Die gesetzliche Rente kann so nicht bleiben"
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Die gesetzliche Rente steht vor einem Finanzierungsproblem. Auch Anja Schulz hat das erkannt. Die FDP-Politikerin kämpft daher für eine Aktienrente. Doch wie sinnvoll ist das?
Das Vorhaben war groß: Die Ampelregierung wollte den Einstieg in einen kapitalgedeckten Teil der gesetzlichen Rente finden. Das aber ist nichts geworden, auch weil die Ampel auseinandergebrochen ist.
Finanzpolitikerin Anja Schulz will einen neuen Versuch wagen – sofern die FDP erneut in den Bundestag einzieht. Statt eines Generationenkapitals will sie aber den Ursprungsplan der FDP umsetzen – und eine Aktienrente nach schwedischem Vorbild einführen.
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Der Hauptunterschied: Beim Generationenkapital wird ein Teil der Rentenmilliarden breit gestreut am Kapitalmarkt angelegt, um die Rentenkasse zu stützen. Bei der Aktienrente legt jeder einzelne Beitragszahler etwas von seinen Beiträgen an, bekommt es später wieder mit Ertrag zurück. Kann das gut gehen?
t-online: Frau Schulz, das geplante Generationenkapital kommt nicht. Wie traurig sind Sie darüber?
Anja Schulz: Grundsätzlich hätten wir uns gefreut, wenn es um eine richtige Aktienrente gegangen wäre!
Inwiefern?
Die Aktienrente hätte im Gegensatz zum Generationenkapital den Riesenvorteil, dass jeder einzelne Sparer eigene Ansprüche für sich erwirbt. Gerade für junge Leute hätte das bedeutet, dass sie später eine bessere Rente bekommen.
Das ist aber nicht so gekommen. Auch die Verhandlungen zum Generationenkapital sind letztlich gescheitert.
Die SPD bestand darauf, das Rentenniveau festzuschreiben – damit wurde das Generationenkapital faktisch ausgehebelt. Das ist widersinnig. Für uns war von Anfang an klar: Ein solcher Kompromiss löst kein Problem, sondern verschiebt es nur in die Zukunft.
Rentenniveau
Das Rentenniveau ist als statistische Größe zu betrachten, um zu verstehen, wie sich die Gesamtheit der Renten in Deutschland grundsätzlich entwickelt. Es ist der zentrale Indikator dafür, wie hoch die Rente eines Durchschnittsrentners im Verhältnis zum Durchschnittseinkommen ist. Sinkt das Rentenniveau, bedeutet das, dass die Rentensteigerung hinter die Entwicklung der Löhne zurückfällt – es heißt aber nicht, dass die Rente des Einzelnen sinkt. Das ist gesetzlich ausgeschlossen. Mehr dazu lesen Sie hier.
Das Generationenkapital hätte aber zumindest einen Einstieg in eine Aktienrente dargestellt.
Es hätte eine kleine Reform in der gesetzlichen Rente bedeutet. Doch die Demografie ist hier erbarmungslos: In den nächsten zehn Jahren gehen knapp 14 Millionen Babyboomer in den Ruhestand. Sie erwarten dann ihre Rente, was völlig legitim ist, weil sie jahrelang eingezahlt haben. Allerdings müssen wir auch die jetzigen und zukünftigen Beitragszahler berücksichtigen.
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Erklären Sie bitte.
Das Rentenpaket II hätte in seiner ursprünglichen Version dazu geführt, dass der Beitragssatz steigt und alle unter 46 Jahren nicht davon profitieren. Statt die Beitragszahler langfristig zu entlasten, wäre der Beitragssatz um einen Prozentpunkt stärker angezogen als ohnehin erwartet. Für jüngere Menschen hätte das nur Nachteile gebracht. Schon jetzt werden jährlich über 100 Milliarden Euro aus dem Bundeshaushalt in die Rente zugeschossen. Eine einfache Umlage reicht deshalb nicht mehr. Es braucht ein zweites Standbein. Das Generationenkapital wäre hier ein Kompromiss gewesen. Aber dann muss auch das gesamte Rentenpaket passen.
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Was schlagen Sie vor?
Ich glaube, wir müssen ehrlich sein: Die gesetzliche Rente kann so nicht bleiben. Sie muss um eine Kapitaldeckung ergänzt werden. Unsere Idee ist nach wie vor eine echte Aktienrente nach schwedischem Vorbild. Das heißt, ein kleiner Teil des Rentenbeitrags fließt künftig nicht mehr in die Umlage, sondern in individuelle Beitragskonten am Kapitalmarkt. Das funktioniert in Schweden seit fast 25 Jahren sehr gut.
Aktuell sieht es nicht besonders gut aus für den Wiedereinzug der FDP. Wie realistisch ist es, dass Sie die Aktienrente in der nächsten Legislaturperiode umsetzen?
Ich finde, es sieht gerade gar nicht so schlecht aus.
Ach ja?
Wenn man sich die derzeitigen Umfragen anschaut, könnten wir das Zünglein an der Waage sein. Von den anderen Parteien wird kein großer Antrieb kommen, wirklich etwas zu machen. Die SPD beharrt weiterhin darauf, vor allem das Rentenniveau festzuschreiben, also die ältere Generation zu bevorteilen. Auch die CDU hat jahrelang in der Regierung nichts getan. Das Thema Rente wird gerne von allen Parteien weggeschoben. Das wollen wir aber auf keinen Fall. Für uns ist klar, dass in allen drei Schichten der Altersvorsorge etwas passieren muss.
… Gesetzliche Rente, betriebliche Altersvorsorge und private Vorsorge.
Richtig. Selbst wenn wir eine Aktienrente nach schwedischem Vorbild einführen, bedeutet das nicht, dass die gesetzliche Rente ausreicht, um den Lebensstandard zu halten.
Die gesetzliche Rente
Das gesetzliche Rentensystem in Deutschland basiert auf dem Generationenvertrag und dem Umlageverfahren. Die erwerbstätige Generation finanziert durch ihre Beiträge die Renten der aktuellen Ruheständler, in der Erwartung, dass spätere Generationen dasselbe für sie tun. Dabei werden die eingezahlten Beiträge nicht angespart, sondern direkt an die heutigen Rentner ausgezahlt. Dieses System gerät durch den demografischen Wandel unter Druck, da die Zahl der Rentner steigt und die der Beitragszahler sinkt.
Bis zu ersten Auszahlungen aus der Aktienrente würde es ohnehin mindestens 15 bis 20 Jahre dauern.
Genau. Und insofern ist es wichtig, dass wir auch die betriebliche Altersversorgung und die private Vorsorge stärken. Anders als Robert Habeck, der das, was die Leute sich erspart haben, mit Sozialversicherungsbeiträgen belegen will. Wir wissen allerdings nicht, wie viel oder in welcher Form, da ist Habeck noch flexibel in seiner Kommunikation. Wir wollen das Gegenteil: Wir möchten, dass die Menschen die Möglichkeit haben, sich finanziell unabhängig zu machen, selbst etwas aufzubauen und für ein finanziell stabiles Alter zu sorgen.
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Sie sprechen vom sogenannten Altersvorsorgedepot?
Ja, genau. Derzeit haben wir mit der Riester-Rente eine staatlich geförderte private Vorsorge, aber mit zu vielen Vorgaben. Christian Lindner hat daher einen Gesetzentwurf vorbereitet, um das Altersvorsorgedepot einzuführen.
Dieser sah vor, dass jeder ins Altersvorsorgedepot eingezahlte Euro mit 20 Cent des Bundes bezuschusst wird – allerdings nur bis zu einer Höchstgrenze von 3.000 Euro pro Jahr.
Richtig. Doch wir haben den Entwurf als FDP-Bundestagsfraktion nochmals erweitert. Denn es ist wichtig, dass auch Selbstständige dort einzahlen können. Erwerbsbiografien sind heute nicht mehr stringent. Ein Arbeitnehmer kann in die Selbstständigkeit gehen und wieder zurückkehren. Bisher konnte ein Selbstständiger keine Riester-Förderung nutzen. Deshalb sollte auch die Förderung flexibler sein.
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Was ist mit Menschen, die dem Aktienmarkt misstrauen und auf volle Sicherheit setzen?
Die Idee der neuen geförderten Altersvorsorge ist: Wer möchte, kann weiterhin ein klassisches Versicherungsprodukt mit hundertprozentiger Garantie wählen. Andere, die Chancen am Kapitalmarkt nutzen wollen, hätten hingegen die Möglichkeit, in Fonds, Aktien oder ETFs mit dem Altersvorsorgedepot zu investieren. Junge Menschen würden eher auf Renditechancen setzen, ältere vielleicht auf Sicherheit.
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Zur Person
Anja Schulz (geboren 1985) ist eine deutsche Politikerin der FDP und seit 2021 Mitglied des Deutschen Bundestages. Sie gehört dem Finanzausschuss und dem Ausschuss an und befasst sich unter anderem mit Steuer- und Rentenpolitik. Sie ist gelernte Bankkauffrau und Sparkassenfachwirtin und arbeitete vor ihrem Einzug in den Bundestag als selbstatändige Finanzberaterin.
Sie selbst sind Finanzberaterin, haben früher bei der Sparkasse gearbeitet. Empfehlen Sie das, was Sie politisch fordern, auch Ihren Klienten?
Ja, definitiv. Ich kenne die Herausforderungen. Die Riester-Rente hat ein schlechtes Image, weil sie aufgrund staatlicher Vorgaben keine hohe Rendite erzielt. Garantien kosten Geld und fressen Rendite. Deswegen ist es wichtig, den Menschen die Wahl zu lassen, ob sie eine Garantie möchten oder Renditechancen nutzen wollen. Wichtig ist es vor allem, wenn möglich, so früh wie möglich anzufangen, für das Alter vorzusorgen.
Sie geben sich optimistisch für den Sonntag. Gehen wir davon aus, dass die FDP wieder in den Bundestag kommt und womöglich an der Regierung beteiligt wird: Machen Sie die Aktienrente nach schwedischem Vorbild oder das Altersvorsorgedepot zur Bedingung für eine Koalition?
Wir werden diese Themen auf jeden Fall in den Vordergrund stellen. Denn wenn wir keine Lösungen finden, stoßen wir in den nächsten Jahren an unsere Grenzen. Gerade in der privaten Vorsorge müssen wir den Menschen Anreize und Möglichkeiten bieten, renditestark fürs Alter vorzusorgen.
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Glauben Sie, dass das mit der CDU möglich ist?
Ich glaube, die CDU hat erkannt, dass der Kapitalmarkt eine Rolle spielen muss.
Und Friedrich Merz?
Das kann ich nicht sagen. Aber als ehemaliger Aufsichtsrat bei Blackrock sollte er die Chancen des Kapitalmarktes kennen.
Sollten Sie nicht in den Bundestag kommen, was haben Sie vor?
Ich kann mir das überhaupt nicht vorstellen. Ich bin guter Dinge. Aber wenn es so kommt, habe ich meinen Beruf und kann jederzeit in meine Selbstständigkeit zurückkehren. Und sollte ich weiter im Bundestag sitzen, werde ich an der Wirtschaftswende mitarbeiten. Zwei Jahre Rezession sind nicht normal. Eine starke Wirtschaft ist die beste Sozialpolitik.
Vielen Dank für das Gespräch!
- Videointerview mit Anja Schulz