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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Sabine Leutheusser-Schnarrenberger "Strategisch war das ein großer Fehler von Merz"
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Die FDP setzt im Wahlkampf voll auf Wirtschaftspolitik. Die Bürgerrechtsliberale Sabine Leutheusser-Schnarrenberger kann das nachvollziehen, warnt aber auch: Die Liberalen dürfen sich nicht zu sehr darauf verengen.
Eine Woche vor der Bundestagswahl geht's für die FDP um alles oder nichts: Je nach Umfrage stehen die Liberalen derzeit bei fünf oder bei vier Prozent. Für den Wiedereinzug in den Bundestag kommt es also auf jede Stimme an.
Eine, die inzwischen mit etwas Abstand auf ihre Partei blickt, ist Sabine Leutheusser-Schnarrenberger. Die frühere Bundesjustizministerin bringt sich im laufenden Wahlkampf zwar nicht aktiv ein, jedoch fiebert sie natürlich mit – und hat als Vertreterin des Bürgerrechtsliberalismus einen ganz eigenen Blick auf den Wirtschaftswahlkampf der FDP und den Liberalismus von morgen.
t-online hat Leutheusser-Schnarrenberger in Berlin zum Interview getroffen. Ein Gespräch über ihre ersten Schritte in der Partei, über den Sinn, die Grünen als Koalitionspartner auszuschließen und über die Frage, wie es mit der FDP weitergeht nach dem 23. Februar.
t-online: Frau Leutheusser-Schnarrenberger, Sie sind vor 47 Jahren in die FDP eingetreten. Wie kam es dazu, was hat Sie damals motiviert?
Sabine Leutheusser-Schnarrenberger: Mein Interesse an der FDP und am Liberalismus hatte stark mit einzelnen Personen zu tun. Eine für mich sehr wichtige Figur war Werner Maihofer. Als Innenminister im Kabinett von Helmut Schmidt war er zwar nicht so erfolgreich, als Professor für Rechtssoziologie an meiner damaligen Uni in Bielefeld aber hat er mich als junge Juristin sehr beeindruckt. Sein Verständnis von einem fortschrittlichen Rechtsstaat hat damals auch die FDP geprägt. Die Person Maihofer also hat mir so etwas wie den letzten Ruck gegeben einzutreten – allerdings ohne zu wissen, was da auf mich zukommt. Um ein Mandat oder einen Job als Politikerin ging es mir damals jedenfalls nicht.
Wir erlebten Sie Ihre ersten Meter in der Partei?
Ich bin erst einmal zum lokalen Ortsverband gegangen. Weil ich für meine Anstellung am Deutschen Patentamt in München gerade nach Bayern umgezogen war, war das in meinem Fall der Ortsverband Starnberg. Dieser Landkreis war schon damals etwas Besonderes, weil er nach meinem Wissen als einziger in ganz Deutschland einen Landrat von der FDP hatte, im tiefschwarzen Oberbayern wohlgemerkt: Rudolf Widmann. Der war grundsätzlich liberal eingestellt, wusste sich aber auch mit den Konservativen vor Ort gut im Interesse des Landkreises zu arrangieren.
Und dann?
Und dann habe ich da mitgemacht, habe mich eingebracht. Nach ein paar Jahren und ein paar Personalwechseln kamen die Parteikollegen auf mich zu und fragten mich, ob ich nicht Kreisvorsitzende werden wollte. Na gut, na klar, warum nicht. Und so ging das immer weiter: 1987 brach uns vor Ort plötzlich der Direktkandidat für die Bundestagswahl weg, also wurde ich gefragt, ob ich das nicht machen will. Gewählt wurde ich zwar nicht, doch zur ersten gesamtdeutschen Wahl 1990 erkämpfte ich mir dann einen besseren Listenplatz. In der Wahlnacht, morgens um 4 Uhr, rief mich der Bundeswahlleiter an: Es hat gerade noch so geklappt. Am nächsten Morgen fuhr ich nach Bonn und dann ging es so richtig los.
Ihre Augen leuchten, wenn Sie von dieser frühen Zeit in der Partei erzählen. Wechseln wir in die Gegenwart: Würden Sie heute noch einmal in die FDP eintreten?
Ich denke schon.
Obwohl die FDP heute eine andere Partei ist, eine, die derzeit vor allem den Wirtschaftsliberalismus betont?
Vermutlich gerade deshalb. Gerhart Baum sagt über seine Beweggründe, in die Partei einzutreten, immer: Er wollte den Liberalismus seinerzeit nicht den Nationalliberalen überlassen. Diese Gefahr droht heute zwar überhaupt nicht. Allerdings würde ich sagen: Es ist wichtig, dass auch Menschen wie ich, die den Bürgerrechtsliberalismus betonen, Teil der FDP sind und ihr ein Gesicht geben.
Derzeit wäre für Deutschland die wohl beste Koalition eine aus CDU/CSU und FDP.
Sabine Leutheusser-SChnarrenberger
Die Wirtschaftsliberalen in der FDP sagen verkürzt: Für mehr als Wirtschaftspolitik gibt's in der aktuellen Konjunkturflaute keinen Platz, keine Sendezeit.
Das stimmt ja in Teilen auch. Deutschland muss wirtschaftlich wieder auf die Füße kommen. Und da haben wir nun einmal das beste Angebot, das muss die FDP auch nach vorn stellen. Trotzdem bleibe ich dabei: Wir dürfen uns nicht allein auf dieses eine Thema verengen. Wir dürfen nicht zu einseitig werden. Das kritisiere ich übrigens schon, seitdem ich in der FDP bin.
Der Wahlkampf der FDP lief zuletzt unter dem Motto "Alles für Schwarz-Gelb", jetzt lautet die Parole: "Alles, nur nicht Schwarz-Grün". Wie finden Sie das?
Ich kann diesen Kurs nachvollziehen, weil er sich aus dem Fokus auf die Wirtschaftspolitik ableitet: Derzeit wäre für Deutschland die wohl beste Koalition eine aus CDU/CSU und FDP. Die ist aber nach den Umfragen schwer zu erreichen. Ich finde es logisch, konsequent – und auch aufrichtig –, dann zu erklären, dass umgekehrt eine Koalition mit den Grünen ebenjene Verbesserungen in der Wirtschaftspolitik nicht hergibt.
Die FDP im Wahlkampf, das ist vor allem Christian Lindner, den viele als Ex-Finanzminister vor allem mit dem Festhalten an der Schuldenbremse verbinden. Wenn Sie vor einer thematischen Verengung warnen, wäre es dann nicht sinnvoller, auch jetzt auf weitere Köpfe neben ihm zu setzen?
Wenn wir's ganz nüchtern betrachten, gibt es für mehr als einen Spitzenkandidaten gar nicht die nötige breite Wahrnehmung, zumindest nicht in der Presse und im Fernsehen. Auf Social Media ist das anders, aber da machen ja auch noch andere aus der Partei eine sehr gute Kampagne. Ich denke da etwa an Marie-Agnes Strack-Zimmermann, deren Thema Ukraine und Verteidigung ja ebenfalls hochaktuell ist. In rechtsstaatlichen Fragen, bei der inneren Sicherheit und in der Migrationspolitik profiliert sich Konstantin Kuhle. Und Johannes Vogel verbinden zu Recht viele Junge mit einer besseren Rentenpolitik und mit der so nötigen Aktienkultur. Auch diese Köpfe prägen das Bild der FDP – und sie werden das sicherlich auch künftig tun.
Sie meinen: nach dem Wahltag.
Ganz egal wie die Wahl ausgeht, wir werden nach dem 23. Februar als Partei sicherlich eine Debatte führen, was wir ändern müssen und wie sich die FDP verbreitern und aufstellen will, damit sie eine Zukunft hat.
Ist Christian Lindner für einen solchen Prozess dann noch der richtige Parteichef?
Aktuell stellt sich diese Frage nicht.
Zuletzt gab es viel Aufregung, weil ein Teil der FDP-Fraktion im Bundestag nicht Seite an Seite mit der AfD für einen Gesetzentwurf der Union stimmen wollte. Wie hätten Sie sich verhalten?
Ich hätte auf keinen Fall mit Ja gestimmt.
Auch dann nicht, wenn das die vorgegebene Linie der Fraktion wäre?
Auch dann nicht. Als ich im Bundestag war, bin ich mit Burkhard Hirsch, mit Wolfgang Lüder und mit Gerhart Baum auch mal aufgestanden und rausgegangen, wenn wir eine Entscheidung nicht mitgetragen haben. Manchmal haben wir auch mit Nein gestimmt, wenn die Fraktion mehrheitlich mit Ja stimmte. Das hat dann Hermann-Otto Solms als Fraktionsvorsitzender nicht gern gesehen, aber mit einem klärenden Gespräch war dann auch alles in Ordnung. Es gibt nun mal für den einzelnen Abgeordneten Grenzen, auch Grenzen der Solidarität mit der Fraktion. Das ist Teil des freien Mandats. Ich kann deshalb jeden gut verstehen, der vor zwei Wochen nicht mit Ja hat stimmen wollen. Und ich denke, dass Christian Lindner und auch Christian Dürr als Fraktionschef richtig beraten waren, in dieser Frage keinen allzu großen Druck auszuüben, sondern das Ganze verständnisvoll zu moderieren. Um es ganz klar zu sagen: Es ist gut, dass dieses Gesetz auch dank fehlender Stimmen der FDP nicht mit der AfD zustande gekommen ist.
Ein Bundestag mit der FDP ist besser als ein Bundestag ohne FDP
Sabine Leutheusser-Schnarrenberger
Bei der Union, dem liebsten Koalitionspartner der Liberalen, war der Unmut aber groß.
Meinen Sie? Ich habe den Eindruck, auch bei CDU und CSU war vielen mulmig zumute. Und es sind auch einige ferngeblieben. Friedrich Merz ist mit diesem Manöver ins große Risiko gegangen – und das völlig ohne Not. Denn das Gesetz wäre im Bundesrat aller Voraussicht nach sowieso stecken geblieben. Strategisch war das ein großer Fehler von Friedrich Merz.
Der aller Voraussicht nach der nächste Kanzler ist. FDP-Chef Lindner wirbt jetzt für eine Deutschland-Koalition aus CDU/CSU, SPD und Liberalen. Was könnte ein solches Bündnis bewirken?
Eine Deutschland-Koalition wäre in jedem Fall besser als eine große Koalition von Sozialdemokraten und Konservativen allein. Sollte ein solches Dreierbündnis möglich sein, hätte es vermutlich eine sehr breite Mehrheit im Bundestag und könnte die großen Reformen für Deutschland gut angehen, vor allem in der Wirtschaftspolitik und beim Bürokratieabbau. Ich denke, die FDP könnte in einer solchen Koalition auch ein guter Vermittler sein, denn Drähte gerade zu den Sozialdemokraten sind nach der Ampel-Zeit ja vorhanden.
Möglich ist aber ja auch, dass es zwar noch gerade so für den Wiedereinzug in den Bundestag reicht, aber die FDP nicht zwangsläufig zum Regieren gebraucht wird. Ist Opposition, wie Franz Müntefering einst sagte, automatisch und immer "Mist"?
Nein, nicht zwangsläufig. In der Opposition lässt sich das Profil einer Partei oft leichter schärfen, das kann auch hilfreich sein. Zumal mit den Erfahrungen, die jetzt in der Regierung gemacht wurden. Ganz grundsätzlich gilt: Ein Bundestag mit der FDP ist besser als ein Bundestag ohne FDP.
Braucht die Partei allmählich mal wieder ein neues Grundsatzprogramm?
Da bin ich skeptisch. Ich blättere in diesen Tagen öfter mal in "Noch eine Chance für die Liberalen" von Karl-Hermann Flach. Der hat schon damals, im Jahr 1971, Sätze aufgeschrieben, von denen ich heute sagen würde: So ist es, das gilt heute noch genauso wie damals. Ich denke deshalb nicht, dass wir unbedingt ein neues Grundsatzprogramm brauchen. Allerdings müssen wir uns auf ein paar Grundsätze besinnen, die zum politischen Liberalismus dazugehören, und überlegen, was das für die heutige Zeit bedeutet.
Und welche sind das aus Ihrer Sicht?
Viel davon ist schon da. Im Kern sind das die Dinge und Themen, mit denen wir 2021 das so tolle Ergebnis bei der Bundestagswahl eingefahren haben. Viele Wähler haben damals gesagt: Mensch, das ist eine Truppe, die will was verändern. Die setzt auf moderne Technologien, aber auch auf die Rechte des Einzelnen, der nicht unter die Räder kommen darf. Ich finde, das war eine frische Botschaft, mit der wir gerade viele junge Menschen erreicht haben.
Seitdem hat sich der Zeitgeist aber stark verändert.
Das stimmt. Seitdem hat sich die Welt rasant verändert, auch in Deutschland ist die Mitte konservativer geworden. Um erfolgreich zu sein, muss sich deshalb natürlich auch der Liberalismus ein Stück weit anpassen.
Und wie sieht dieser Liberalismus von morgen in Ihren Augen aus?
Mein Dafürhalten ist: Es braucht eine FDP, die total europäisch ausgerichtet ist. Kaum ein großes Thema lässt sich noch national lösen, für fast alles braucht es unsere europäischen Partner, zum Beispiel in der Sicherheits-, in der Verteidigungs- und in der Rüstungspolitik. Das müssen wir sehr stark nach vorne stellen. Gleiches gilt für die Digitalisierung: Kaum eine Partei in Deutschland hat bislang wirklich verstanden, was etwa die Franzosen längst verstanden haben. Nämlich, welch große Potenziale die Künstliche Intelligenz birgt, sowohl im Alltag als auch für die Wirtschaft. Hier kann sich eine liberale Partei noch stärker positionieren. Und ganz konkret für ein Digitalbudget mit viel Transparenz.
Nicht ausgeschlossen ist bei alldem, dass es kommende Woche nicht klappt mit dem Wiedereinzug in den Bundestag. Würde die FDP ein weiteres Mal vier Jahre in der außerparlamentarischen Opposition überstehen?
Daran will ich derzeit keinen Gedanken verschwenden. Wir müssen alles dran setzten, damit die FDP nicht untergeht.
Frau Leutheusser-Schnarrenberger, vielen Dank für dieses Gespräch
- Persönliches Gespräch am 11. Februar 2025