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Zum journalistischen Leitbild von t-online.FDP-Fraktionschef Dürr im Interview "Die Grünen sind in den 80er-Jahren steckengeblieben"
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Kommt die FDP in den Bundestag, könnte sie bei einer Regierungsbildung das Zünglein an der Waage sein. Und schon jetzt legen die Liberalen sich fest: Eine Koalition mit den Grünen gäbe es dann nicht. Fraktionschef Dürr erklärt, warum.
Christian Dürr hat nicht viel Zeit an diesem frühen Dienstagmorgen. Es ist der letzte Sitzungstag vor der Bundestagswahl. Er wird später im Bundestag noch eine Rede halten, danach geht es weiter nach Magdeburg und Wolfsburg: Wahlkampf-Endspurt.
Für Dürr, Fraktionschef der FDP im Bundestag, steht derzeit viel auf dem Spiel: Nach dem Ampel-Aus kämpft seine Partei um den Wiedereinzug in den Bundestag. Mit Blick auf die Umfragen könnte das knapp werden. Und nachdem die Liberalen zuletzt für ein schwarz-gelbes Bündnis nach der Wahl geworben haben, lautet die Parole nun: Schwarz-Grün verhindern. Im Interview mit t-online erklärt Dürr, was die Beweggründe dafür sind – und wieso es die FDP für eine bessere Wirtschaftspolitik so dringend braucht.
t-online: Herr Dürr, wir sitzen hier in Ihrem Büro mit Blick auf das Reichstagsgebäude. Wie sehr werden Sie diese Aussicht vermissen?
Christian Dürr: Es ist ein unglaubliches Privileg, Vorsitzender der einzig liberalen Fraktion im Deutschen Bundestag zu sein. Und ich bin überzeugt, dass ich diesen Ausblick auch nach dem 23. Februar genießen darf. Es braucht die FDP im Parlament und es wird sie auch im nächsten Bundestag geben.
Ihr Kollege Wolfgang Kubicki klang zuletzt pessimistischer. Enttäuscht schrieb er in einem internen Chat, er gehe jetzt schon mal sein Büro aufräumen …
Genau: aufräumen, das hat er gesagt. Das sollte ich hier auch mal wieder, denke ich. Scherz beiseite: Die Frage ist doch, wie es nach der Bundestagswahl aussieht und ob es Mehrheiten gibt, die in diesem Land etwas verändern. Die beiden großen Themen sind Wirtschaftspolitik und Migrationspolitik. Glaubt ernsthaft jemand, das geht in einer schwarz-grünen, in einer schwarz-roten oder gar in einer schwarz-rot-grünen Koalition? Nein, das glaubt niemand. Und deswegen hat die FDP eine wichtige Aufgabe, nämlich Teil einer Reformregierung zu sein. Weil die Menschen es leid sind, dass sich nichts bewegt.
Laut den aktuellen Umfragen müssen Sie allerdings noch zittern, ob Sie überhaupt Teil des nächsten Bundestags sind. Wie nervös sind Sie?
Überhaupt nicht. Auf unseren Veranstaltungen und in vielen Gesprächen mit Menschen bekommen wir derzeit viel Zuspruch. Die Meinungsforscher fragen ja nur ab, wer wem eine Stimme geben will. Jeder hat aber zwei Stimmen. Relevanter ist doch: Gibt es eine Stimmung, in der die Menschen Lust haben auf Reformpolitik? Und diese Lust spüre ich in Deutschland. Die meisten Menschen wollen keinen Stillstand mehr.
Und wie wollen Sie diese Stimmung noch ummünzen in Stimmen am Wahltag?
In den nächsten elf Tagen geht es darum, wer nach der Wahl Mehrheiten bilden kann. Die Union als Regierungspartei und Friedrich Merz als Kanzler sind dabei gesetzt. Und dann stellen sich immer mehr Menschen, insbesondere die, die sich für liberale Politik interessieren, die Frage: Kann Friedrich Merz mit den Grünen dieses Land wirklich in die richtige Richtung steuern? Herr Merz antwortet regelmäßig: Mit Robert Habeck ginge das. Wir Liberale sagen nach drei Jahren Zusammenarbeit mit Herrn Habeck: Das geht nicht. Ob in der Wirtschaftspolitik oder in Migrationsfragen – mit den Grünen tritt dieses Land auf der Stelle. Ich glaube nicht, dass es gut für Deutschland ist, wenn die Grünen an einer kommenden Bundesregierung beteiligt sind.
Was macht Sie so sicher, dass "Schwarz-Grün verhindern" im bürgerlichen Lager mehr verfängt als "Schwarz-Gelb herbeiführen", wie es die FDP in den vergangenen Wochen versucht hat?
Mir geht es nicht darum, etwas zu verhindern, sondern mir geht es darum, etwas zu ermöglichen. Und zwar Reformpolitik. Wir haben das drei Jahre mit den Grünen probiert, auch wirtschaftspolitisch. Einige Dinge sind gelungen, aber inzwischen sind die Gemeinsamkeiten aufgebraucht. In der Wirtschaftspolitik ist mein Eindruck: Die Grünen sind gedanklich in den 80er-Jahren steckengeblieben. Die Plakate mögen modern wirken, aber die Konzepte stammen aus der Vergangenheit. Subventionen, Staatsfonds, Schuldenbremse lockern: Wir drohen, die Zukunft zu verpassen, wenn wir das machen.
Es braucht manchmal Mut, bestimmte Dinge zu tun – aber auch Dinge zu lassen.
Christian Dürr
Einen Staatsfonds, einen "Made-in-Germany"-Bonus und mehr Schulden wollen die Sozialdemokraten auch. Wieso schließen Sie dann nicht auch eine Koalition mit der SPD aus?
Solange wir mit der SPD in Verantwortung waren, wurde die Schuldenbremse eingehalten. Und übrigens sind die Investitionen des Staates dabei parallel gestiegen. Das Priorisieren hat also funktioniert. Aber Sie sprechen einen wichtigen Punkt an: Schwarz-Rot hieße ebenso wenig Aufbruch, das haben wir in der Groko unter Angela Merkel doch erlebt. Deswegen kämpfe ich dafür, dass neben der Union auch die FDP an die Regierung kommt.
Aber ist es nicht trotzdem unklug, in der aktuellen Situation die Zahl der Koalitionsoptionen, die realistischerweise funktionieren kann, von zwei auf eins zu reduzieren?
Machtoptionen, mit denen man nichts ändern kann, ergeben für uns keinen Sinn. Dann verzichten wir lieber auf einen Ministerposten, als nur dazusitzen und das Land zu verwalten. Das mögen andere Parteien anders sehen, wir aber sind eine Partei mit Überzeugungen: Hätte die FDP 1982 nicht die wirtschaftspolitische Wende herbeigeführt, wo stünde unser Land dann heute? Hätten wir die Ostpolitik Willy Brandts nicht ermöglicht, wie wäre die Geschichte wohl verlaufen? Es braucht manchmal Mut, bestimmte Dinge zu tun – aber auch Dinge zu lassen.
In der Frage, ob man mit Union und AfD für ein Gesetz abstimmt, wirkte Ihre Fraktion gespalten. Zerreißt es die FDP kurz vor der Wahl?
Nein, ganz und gar nicht. Der inhaltliche Kurs in der Migrationspolitik wird von allen getragen – mehr Einwanderung in den Arbeitsmarkt, keine irreguläre Migration in die Sozialsysteme. Allerdings kann ich jeden verstehen, der nicht mit rechten Parteien wie der AfD stimmen will. Deshalb braucht es Mehrheiten in der Mitte. Umso mehr hat es mich geärgert, dass SPD und Grüne nicht auf unseren Kompromissvorschlag eingegangen sind – obwohl ihre eigenen Ministerpräsidenten in den Ländern der Linie des Unionsvorhabens in der Sache schon zugestimmt hatten.
Unter den Abweichlern in Ihrer Fraktion waren zahlreiche Promis, mehrere Stellvertreter von Ihnen, auch der Parlamentsgeschäftsführer tauchte nicht zur Abstimmung auf. Was sagt es aus über Ihre Fraktion aus, wenn nicht einmal die Führungsriege hinter der vorgegeben Linie steht?
Da muss ich erst einmal die Zahlen gerade rücken: Fast 70 der 90 FDP-Abgeordneten haben für das "Zustrombegrenzungsgesetz" gestimmt. Einige Kollegen waren schlicht krank. Dass das Gesetz nicht zustande gekommen ist, lag am Ende an den zwölf Abgeordneten, die bei der Union gefehlt haben – und nicht an uns.
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Christian Dürr, Jahrgang 1977, ist seit 2021 Fraktionschef der Liberalen im Deutschen Bundestag. Der diplomierte Ökonom stammt aus Delmenhorst in Niedersachsen, wo er vor seinem Einzug in den Bundestag Mitglied des Landtags war. Dürr ist verheiratet und hat zwei Kinder.
Eine mögliche künftige liberale Fraktion wird kleiner sein und potenziell von anderen Köpfen geprägt. Wie sehr wird sich das Gesicht des Liberalismus nach der Wahl ändern?
Wir kämpfen für eine starke FDP, denn wir verhandeln gerade den Wohlstand unseres Landes. Es geht vor allem darum, wer Deutschland in den nächsten Jahren regiert. Wir haben einen Berg an großen Aufgaben vor uns, in der Migrationspolitik, vor allem aber in der Wirtschaftspolitik. In den vergangenen 15 Jahren hat sich die Wirtschaftsentwicklung Deutschlands immer weiter vom Wachstum anderer Industrienationen abgekoppelt. Bildlich gesprochen: Irgendwann fährt der Zug der Welt immer schneller und der Deutschland-Waggon steht. Das müssen wir verhindern. Darum braucht es uns Liberale, darum sollte man FDP wählen.
Unabhängig davon, wie die Wahl ausgeht, spekulieren in der Partei einige jetzt über eine personelle Neuaufstellung nach der Wahl. Können Sie sich vorstellen, dabei eine größere Rolle zu spielen, womöglich auch an der Spitze der Partei?
Damit beschäftige ich mich null. Das einzige Interesse, das ich habe, lautet: Dieses Land muss seine Chancen nutzen. Dieses Land braucht endlich die nötigen Reformen und Veränderungen. Wenn wir als Politik – als Parlament, als Regierung – jetzt nicht liefern, dann drohen uns 2029, bei der nächsten Bundestagswahl, Verhältnisse, wie wir sie gerade in den USA oder in Österreich sehen. Das kann keiner wollen.
Herr Dürr, vielen Dank für dieses Gespräch.
- Persönliches Gespräch mit Christian Dürr am 11. Februar 2025