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Friedrich Merz: Elan oder Übereifer?


Bald-Kanzler Friedrich Merz
So kommt er sicher nicht ans Ziel

MeinungEine Kolumne von Christoph Schwennicke

27.02.2025 - 00:48 UhrLesedauer: 4 Min.
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Friedrich Merz bei der CDU-Pressekonferenz zum Ergebnis der Bundestagswahl im Konrad-Adenauer-Haus. (Quelle: IMAGO/dts Nachrichtenagentur/imago)
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Friedrich Merz legt los, als sei er schon zum Bundeskanzler gewählt. Mit erfrischendem Elan einerseits. Aber einem seltsamen Politikverständnis andererseits.

Als kleiner Junge mochte ich dieses einfache Kinderspielzeug gerne, so eine Art Zaubertafel, weiß gar nicht, ob es die noch gibt. Ein Pfennigartikel aus Pappe und einer Folie war das, dazu ein Plastikstäbchen, mit dem man etwas auf die Folie schreiben konnte, das dann sichtbar wurde. Zog man rechts an einer Lasche das Innere heraus und schob es wieder zurück, war das Geschriebene verschwunden. Und das Spiel konnte von vorn anfangen.

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In der deutschen Politik wird gerade an der Lasche gezogen. Namen, an die man sich über Jahre gewöhnt hatte, Leute, die zur Stammbelegschaft des politischen Betriebs gehörten, sind mit einem Mal verschwunden wie die Schrift auf der Zaubertafel. Robert Habeck, mein Gott, was hat sich unsere Zunft hingebungsvoll mit der Frage beschäftigt, was wohl gerade an Grübelei hinter seiner von tiefen Sorgenfalten zerfurchten Stirn vor sich geht und was das Tastende und Nachdenkliche am Ende heißt, das er mit stets leicht belegter Stimme vortrug. Mit einem Mal: weg. Und damit auch das Ende eines ganzen Wissenschaftszweiges, der Habeckologie.

Christoph Schwennicke
(Quelle: Reinaldo Coddou H.)

Zur Person

Christoph Schwennicke ist Politikchef von t-online. Seit fast 30 Jahren begleitet, beobachtet und analysiert er das politische Geschehen in Berlin, zuvor in Bonn. Für die "Süddeutsche Zeitung", den "Spiegel" und das Politmagazin "Cicero", dessen Chefredakteur und Verleger er über viele Jahre war. Bei t-online erscheint jeden Donnerstag seine Kolumne "Einspruch!"

Andere wiederum, wie die seit jeher erfolglose SPD-Vorsitzende Saskia Esken, sträuben sich noch gegen das Verschwinden ihres Namens von der Tafel. Aber das regelt sich schon. Ritschratsch. Name weg. Es ist jetzt Gesichtswende und Namenswende in der deutschen Politik. Ich freue mich schon auf die ersten Tage und Momente der kurzen Irritation, wenn der Nachrichtensprecher morgens im Radio vom "Bundeskanzler Friedrich Merz" spricht, der heute dieses oder jenes tun wird. Das fühlt sich jedes Mal so schön frisch an. War nach 16 Jahren Merkel bei Olaf Scholz auch so.

Besagter Friedrich Merz drückt das Plastikstäbchen jetzt schon so tief in die Zaubertafel, dass das Ergebnis mehr einer Gravur als einem Schriftzug ähnelt. "Kanzler" steht da schon vor seiner Wahl im Plenum des Bundestages. Diese Vorzeitigkeit ist ein Muster bei Merz: Schon als möglicher Kandidat der Union gerierte er sich als Kanzlerkandidat, und als Kanzlerkandidat schon als Kanzler. Jetzt nach seinem, nun ja, relativen Wahlsieg erst recht. Er ist eigentlich schon Kanzler, hat seine erste Regierungserklärung am Montag dieser Woche bei einer Pressekonferenz im Lichthof des Konrad-Adenauer-Hauses gehalten, mal eben das noch ganz frische Wahlrecht nach dessen Premiere wieder infrage gestellt und angekündigt, dass er mit den Resten der Ampel noch in dieser hybriden Phase des Übergangs von Alt nach Neu auf jeden Fall ein Sondervermögen für die Bundeswehr beschließen möchte im Bundestag. Zunächst klang es sogar nach einer Reform der Schuldenbremse.

In der CDU-Zentrale räumen sie immer noch die Bauklötze aus dem Atrium, die selbst seine engsten Parteifreunde bei diesen Worten gestaunt haben. Nicht erst dieser Auftritt wirft die Frage auf: Weiß dieser Mann, weiß der nächste Bundeskanzler hoffentlich, wie Politik funktioniert?

Ganz langsam abschichten

Man muss das erst mal sacken lassen und abschichten. Also: Der Mann, der die demonstrierenden Anhänger von Rot und Grün gerade noch als "linke Spinner" tituliert hat, der seine Migrationsanträge im Bundestag zu deren Abscheu von der AfD hat billigen lassen, schreibt dem noch amtierenden Bundeskanzler einerseits einen Brief, dass dieser doch bitte nichts mehr mache, ohne dass er, Merz, das gewissermaßen gegenzeichne. Und verlangt andererseits im selben Moment, weil sich im neuen Bundestag wegen der Sperrminorität von AfD und Linken alle Fenster dafür für die gesamte Legislaturperiode schließen, dass Rot und Grün mit ihm noch das beschließen, was er ihnen immer verweigert hat: nicht irgendwas, sondern das zentrale Trumm, das über die Handlungsfähigkeit der vergangenen Regierung ebenso wie seiner eigenen nächsten entscheidet: zusätzliches Geld. Weil er genau weiß, dass er den Sozialstaat noch so sehr nach unzeitgemäßen Segnungen absuchen kann: So viel Geld, wie die Reaktion auf die Wende der Welt ins existenziell Gefährliche erfordert, wird er im Leben nicht in diesen Ecken finden.

Es wäre in dem Zusammenhang interessant zu wissen, wie Friedrich Merz als Familienvater im Sauerland agiert. Jedenfalls hat diese Attitüde etwas von einem Patron, der sagt, wie es jetzt gemacht wird. Und alle müssen kuschen. Dabei übersehend, dass er es nicht mit drei heranwachsenden Kindern und einer Ehefrau zu tun hat, die er vielleicht in Arnsberg herumkommandieren kann. Sondern mit einem angehenden Koalitionspartner. Mit genau einem infrage kommenden Koalitionspartner. Was seine Verhandlungsposition schwach macht. Er braucht die SPD. Sonst ist es vorbei, bevor es losgeht. "Durchregieren" wolle sie, hat Angela Merkel vor ihrer Kanzlerschaft getönt. Das hat sie später reumütig wieder eingesammelt. Durchregieren geht nicht in Deutschland. Und das ist gut so.

Das kann vielleicht ein Konzernchef so machen

Daher: Bei aller erfrischenden Freude an einem künftigen Kanzler, der nicht mehr rumscholzt: Als Herrenreiter wird Merz nicht ans Ziel kommen. Das geht vielleicht als Konzernchef (selbst da ist es aus der Zeit gefallen). Aber es geht ganz sicher nicht als angehender Kanzler auf Brautschau bei einem sehr überschaubaren Heiratsmarkt.

Verwendete Quellen
  • Eigene Überlegungen, Kindheitserinnerungen
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