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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Ex-Obama-Berater "Schlimmer kann es eigentlich nicht kommen"
Die TV-Debatte war ein Desaster für Joe Biden – die USA rätselt: Braucht es einen neuen Kandidaten? Ein Ex-Obama-Wahlkampfmanager erklärt, wie realistisch Bidens Chancen noch sind und wie er nun auftrumpfen könnte.
Sein erstes TV-Duell für seine Wiederwahl hat der amtierende US-Präsident Joe Biden in den Sand gesetzt – so lautet die einhellige Meinung der US-Kommentatoren: Der 81-Jährige wirkte kraftlos, sein 78-jähriger Konkurrent Donald Trump indes fokussiert. Lauter werden nun die Stimmen, dass ein anderer Kandidat für die Demokraten übernehmen soll.
Aber wie realistisch ist das? Und was geschieht, wenn Biden trotzdem weitermacht? t-online hat mit dem Kampagnenmanager Julius van de Laar gesprochen, der bereits für den ehemaligen US-Präsidenten Barack Obama gearbeitet hat.
t-online: Herr van de Laar, das TV-Duell vergangene Nacht hat Donald Trump klar gewonnen …
Julius van de Laar: Ich würde vor allem sagen: Joe Biden hat das Duell klar verloren. Die Erwartungen zu Biden waren ohnehin schon sehr niedrig – und dennoch hat er sie unterboten.
Ist denn der Wahlkampf jetzt gelaufen?
Nun ja. Es sind noch 131 Tage bis zur Wahl im November. Es ist insofern noch genug Zeit. Aber: Ich habe mit vielen Demokraten geschrieben und gesprochen. Viele machen sich große Sorgen. Überspitzt gesagt: Auf einer Panik-Skala von 1 bis 10 ist die Demokratische Partei bei einer 48. Es gibt daher immer mehr Demokraten, die sich von Biden abwenden, die überlegen, den Kandidaten auszutauschen.
Ein drastischer Schritt. Wie kann das denn aussehen?
Das funktioniert nur, wenn sich Biden darauf einlässt. Er muss aus eigenen Stücken zurücktreten und den Weg frei machen. Dann wären auch die Delegierten freigegeben, die in den Vorwahlen bestimmt wurden und aktuell noch für Biden stimmen sollen. Beim Parteitag der Demokraten im August käme es zu einer Open Convention.
Erklären Sie das bitte.
Dabei würden sich beim Parteitag in Chicago im August dann mehrere Kandidaten zur Wahl stellen – und die Demokraten würden einen neuen Präsidentschaftskandidaten- oder Kandidatin küren.
Zur Person
Julius van de Laar ist Kampagnen- und Strategieberater. 2012 war er für die Wählermobilisierung für Barack Obama im Swing State Ohio zuständig. Bereits 2007 und 2008 war van de Laar in Obamas Präsidentschaftskampagne aktiv. Er hält Seminare und Vorträge zu Wahlkampfstrategien und politischer Kommunikation.
Ein unübliches Verfahren, zumal es dann nur knapp drei Monate zur Wahl sind.
Definitiv. Das wäre für die Demokraten ein riskantes Spiel. Eine solche Open Convention gab es schon mal im Jahr 1968, nachdem Präsident Lyndon B. Johnson angekündigt hat, nicht mehr anzutreten. Bei dem Konvent nominierten die Demokraten Hubert Humphrey, der aber – auch aufgrund des kurzen Wahlkampfes – gegen Richard Nixon verloren hat. Das heißt, es gibt keine Blaupause, wie die Demokraten jetzt trotzdem gewinnen können.
Zumal eine Frage offen wäre: Wer könnte es statt Joe Biden machen?
Kamala Harris wäre die logische Nachfolge. Doch ihre Umfragewerte sind nochmals fünf oder sechs Punkte unter denen von Biden. Die Demokraten müssen sich jetzt überlegen, wie sie an Biden vorbeikommen – und an Harris. Da gibt es eine Reihe von formidablen Kandidaten und Kandidaten, die durchaus auch noch in kurzer Zeit auftreten können.
Oftmals wird etwa Michelle Obama genannt.
Ich glaube nicht, dass Michelle Obama in letzter Konsequenz zur Verfügung steht. Ich würde als Allererstes Richtung Kalifornien schauen.
Sie meinen Gouverneur Gavin Newsom?
Richtig. Auch Gretchen Whitmer, Gouverneurin aus Michigan, oder Josh Shapiro, Gouverneur aus Pennsylvania, würde ich als potenzielle Kandidaten nennen. Sie alle sind bekannt, sie haben Wahlkämpfe gewonnen und könnten sofort antreten. Und was für einen neuen Kandidaten sprechen würde: Es gab noch nie so eine große Anzahl von sogenannten Double Haters.
- Harris oder Newsom: Die Alternativkandidaten der Demokraten
Also Wählern, die weder mit dem einen Kandidaten noch mit dem anderen einverstanden sind.
Korrekt. Der Wunsch nach einem anderen Kandidaten ist extrem groß. Die Frage ist nur, ob ein Kandidat das Verlangen nach einer anderen Option bedienen kann. Letztlich hängt es jedoch von Biden ab.
Es ist unwahrscheinlich, dass er tatsächlich zurücktritt.
Absolut. Joe Biden macht seit 50 Jahren Politik. Joe Biden sagt: Ich bin der Einzige, der Donald Trump jemals geschlagen hat. Joe Biden schaut zurück auf seine 3,5 Jahre Amtszeit, die insgesamt recht erfolgreich verlief. So sagt er, er habe die Nato reorganisiert. Gleichzeitig gab es auch ein Thema, das ihm in dieser Debatte immer wieder vorgehalten wurde: die Inflation.
Die am Ende sogar den Wahlkampf entscheiden kann. Wenn Biden tatsächlich weitermacht: Wie kann er es schaffen, jetzt noch das Blatt zu wenden?
Na ja, er hat vor vier Jahren noch gewonnen. Und im März bei der Rede zur Lage der Nation war er fit. Da hat Biden abgeliefert. Die Frage wird sein: Wie lange braucht es, bis dieser Biden zurück ist? Und vor allem: Wie viele Gelegenheiten hat er noch, es zu zeigen? Die nächsten Tage werden für Biden entscheidend sein. Er muss jetzt zeigen, dass er fit genug ist. Und wichtig wird der Parteitag im August. Hier muss Biden die Rede seines Lebens halten – und selbst dann wird es extrem eng.
Sollte sich Biden auf ein weiteres Duell mit Trump einlassen?
Man kann in beide Richtungen argumentieren. Auf der einen Seite, etwas zynisch gesagt: Schlimmer kann es eigentlich nicht kommen.
Und auf der anderen Seite?
Wenn sich Biden in einem zweiten Duell noch mal so präsentiert wie heute Nacht, ist der Schaden umso größer. Entscheidend wird sein, dass er sich besser fühlt. Der physische Zustand von Joe Biden muss sich signifikant verbessern. Donald Trump muss aber auch mitspielen.
Der sich schon hingestellt und gesagt hat: Ihr habt gesehen, in welchem Zustand Biden und das Land sind.
Richtig. Trumps Team weiß genau, die Schwächen von Biden auszunutzen. Sie sagen: "Jeder weiß, wie katastrophal die Wirtschaft ist. Doch es reicht, wenn ihr euch die Bilder vom Duell anschaut." Was ich auch aus einer persönlichen Perspektive schlimm finde.
Führen Sie das bitte aus.
Biden war Jahrzehnte im Senat, war Vizepräsident und jetzt Präsident. Er war sicher nicht der perfekte Politiker, aber er hat viel für Amerika geleistet. Doch als jemand, der für ihn auch im Vizepräsidentschafts-Wahlkampf gearbeitet hat, will ich sagen: Es ist tragisch anzusehen, wie Biden in dieser Brutalität des Wahlkampfs vorgeführt wird und so etwas durchleben muss.
Aber er hat sich auch selbst darauf eingelassen.
Sicherlich. Doch es ist schwierig, aus so einer Position wie Biden die Macht abzugeben. Biden ist ein Kämpfer, der weitermachen will.
Herr van de Laar, vielen Dank Ihnen für das Gespräch.
- Telefoninterview mit Julius van de Laar