Reparationszahlungen "Eine antideutsche Kampagne"
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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Polen fordert erneut Reparationszahlungen von Deutschland. Der Historiker Peter Oliver Loew sieht das kritisch – und erklärt, was stattdessen besser wäre.
Eigentlich hat Polen bereits 1953 auf Reparationszahlungen aus Deutschland verzichtet und dies später mehrfach bekräftigt. Nun, 83 Jahre nach dem Überfall Deutschlands auf Polen, verlangt die polnische Regierungspartei PiS 1,32 Billionen Euro Reparationen von Deutschland. Peter Oliver Loew, Polen-Experte und Direktor des Deutschen Polen-Instituts, sieht diese Forderungen kritisch – doch er unterstützt die Idee einer anderen finanziellen Hilfe.
t-online: Polen hat an diesem Donnerstag das heikle Thema Reparationen wieder angestoßen. Warum gerade jetzt? Natürlich ist der 1. September bis heute ein traumatischer Tag für die polnische Gesellschaft. Doch ein Gutachten dazu wurde schon seit 2017 bearbeitet.
Peter Oliver Loew: Der Zeitpunkt hat mehrere Gründe. Die Veröffentlichung des Gutachtens ist immer wieder verschoben worden. Nun schien Jarosław Kaczyński und seiner Regierungspartei PiS der richtige Zeitpunkt zu sein. Im nächsten Jahr stehen Parlamentswahlen an, die Umfragewerte der PiS sanken zuletzt, aufgrund der aktuellen Inflation, der unsicheren außenpolitischen Lage wegen des Kriegs in der Ukraine. Man fürchtet noch schlechtere Umfragewerte und sucht händeringend nach Themen, um sich gegen die Opposition zu behaupten.
Heftige Kritik an Deutschland kommt bei der Kernwählerschaft der PiS eigentlich immer gut an. Kriegserinnerungen, Emotionen, die damit zusammenhängen, spielen in der polnischen Gesellschaft noch eine große Rolle. Das Land ist immer noch traumatisiert von den schrecklichen Ereignissen des Zweiten Weltkrieges.
Derzeit hält die EU Gelder an Polen zurück, unter anderem wegen der hoch umstrittenen polnischen Justizreform. Stehen die jetzigen polnischen Forderungen von immerhin 1,32 Billionen Euro damit in einem Zusammenhang?
Definitiv. Der Druck auf die polnische Regierung, endlich europäische Kriterien einzuhalten, steigt und steigt. Die EU – und somit auch Deutschland – wartet auf die Korrektur der Reformen, letztlich auf die Korrektur der Probleme, die Polen sich selbst geschaffen hat. Die polnische Regierung sagt, Brüssel wolle sie erpressen, sei von Berlin gesteuert – und will etwas dagegenhalten. Letztlich hofft man, dass aus der mathematischen Gleichung Rechtsstaatlichkeitsverfahren plus Reparationsforderungen am Ende etwas Günstiges für Polen herauskommt.
Zur Person
Peter Oliver Loew, geboren 1967, leitet das Deutsche Polen-Institut in Darmstadt seit 2019. Er ist Historiker, Slawist und Volkswirt. Sein Schwerpunkt als Wissenschaftler ist Polen, er doziert zu polnischer Geschichte und arbeitet als Übersetzer für Polnisch und Englisch.
Innenpolitisch wie international?
Ja, das sind die beiden Hauptmotive. In Europa versucht die PiS-Partei, ihre Position mit moralischem Druck zu verbessern. Sie behauptet etwa, dass man Polen über Jahrzehnte hinweg zerdrückt habe: Im kommunistischen Ostblock, zuvor durch die deutsche Besatzung. Dass Polen nicht ernst genommen werde durch Brüssel oder Berlin, aber zugleich das Land in Europa sei, das der Ukraine am meisten helfe: mit Waffen, durch Bereitstellung von logistischer Infrastruktur und politische Anwaltschaft.
Vor wenigen Tagen äußerte sich der Polen-Beauftragte der Bundesregierung, Dietmar Nietan, zur PiS, sprach von "antideutscher Politik" im Nachbarland. Erstaunlich harte Kritik.
Ja, die Reparationsforderungen sind eine antideutsche Kampagne. Aber sie ist nicht die einzige: Wenn Sie sich die Abendnachrichten im polnischen staatlichen Fernsehen anschauen, dann haben Sie fast in jeder Sendung Material, das deutschlandfeindlich oder deutschlandskeptisch ist. Dort heißt es etwa, Berlin wolle Europa dominieren und Polen aufs Neue kolonisieren. Auch habe Deutschland das Land in Gefahr gebracht durch seine Russlandpolitik, die angeblich zum Ukraine-Krieg geführt habe.
"Wir haben es hier mit einer gesamten Gesellschaft zu tun, die immer noch an den Wunden des Zweiten Weltkriegs leckt."
Polen-Experte Peter Oliver Loew
Doch auch aus Polen kommt Widerspruch: Der polnische Oppositionsführer Donald Tusk nannte die Reparationsforderungen ebenfalls eine "antideutsche Kampagne".
Ja, weil sich die Opposition gegen die Zerstörung der bilateralen Beziehungen wehrt. Es findet eine massive gesellschaftliche Polarisierung unter der Herrschaft der PiS-Partei statt, seit Jahren. Alle politischen Strömungen, die nicht die Linie der PiS vertreten, werden als deutschfreundlich und anti-polnisch diffamiert. Tusk wird bei jeder Gelegenheit als ein heimlicher Parteigänger Berlins und der deutschen Politik gebrandmarkt.
Die Position der Bundesregierung zu den Reparationen ist eindeutig: Die Sache ist juristisch abgeschlossen. Zugleich hat Deutschland eine historische Verantwortung für Verbrechen der Nazis in Polen. Sollte Deutschland einen Schritt auf den Nachbarn zugehen?
Kaczyński hat gestern noch mal ganz klar gesagt, es habe bisher keine Versöhnung gegeben mit Deutschland. Die könne es erst geben, wenn Deutschland zahlt. Mit dieser Formulierung stößt er eigentlich alle vor den Kopf, die sich seit 30 Jahren und mehr für den deutsch-polnischen Dialog einsetzen. Die Reparationsforderungen in dieser astronomischen Höhe sind geeignet zu zerstören, was wir aufgebaut haben an Versöhnung und an Verständigung.
Trotzdem: Deutschland steht in einer Schuld, und zwar dem ganzen Land gegenüber. Die Bundesregierung sollte unabhängig davon, was Polen jetzt verlangt, der polnischen Gesellschaft einen Vorschlag machen. Etwa einen Zukunftsfonds installieren, wie ihn der deutsche Polen-Beauftragte Dietmar Nietan mehrfach vorgeschlagen hat.
Wie könnte so ein Fonds aussehen?
Es muss darum gehen, noch nicht entschädigte Opfer zu entschädigen. Man könnte auch Gedenkstätten weiterentwickeln, noch immer kriegszerstörte Orte und Infrastruktur wiederaufbauen. Oder den Ort des Erinnerns und der Begegnung mit Polen fördern, der vom Bundestag beschlossen worden ist und in Berlin entstehen soll. So könnte Deutschland ein Zeichen setzen. Für sein Nachbarland Polen, das es so brutal überfallen, fünf Jahre lang besetzt und dort unvorstellbare Verbrechen begangen hat.
Wie teuer könnte das werden?
Das müsste politisch diskutiert werden. Aber das kann kein Kleckerbetrag sein, hier müsste man wirklich klotzen. Polen verdient eine große Summe mit vielen Nullen. Denn nur so kann man zeigen, dass es nicht nur um ein wichtiges Symbol geht, sondern auch konkrete Auswirkungen.
Auch aus Griechenland kommen immer mal wieder Reparationsforderungen. Deutschland weist auch die zurück. Aber kann sich Deutschland angesichts der erheblichen Opferzahlen in Polen ein Vorgehen wie bei Griechenland leisten?
Auch in Griechenland sind die Opferzahlen im Verhältnis zur Einwohnerzahl immens. Das ist uns in Deutschland oft gar nicht so bewusst. Bei Griechenland denkt man eher an die Strände und Inseln. Bei Polen schon eher an Auschwitz und andere Vernichtungslager. Vor diesem Hintergrund hat Polen bessere Karten in diesem Reparationsspiel.
Deutschland muss sich also grundsätzlich überlegen, wie es mit diesen Forderungen umgeht. Zwar werden weder Polen noch Griechenland vor irgendeinem Gericht der Welt Reparationsforderungen durchsetzen können. Aber die Bundesregierung muss proaktiv tätig werden, das Leid anderer Gesellschaften anzuerkennen, und viel investieren, Aufmerksamkeit – und Geld. Denn wir haben es hier mit einer gesamten Gesellschaft zu tun, die immer noch an den Wunden des Zweiten Weltkriegs leckt.
Wie schlecht es um das deutsch-polnische Verhältnis steht, zeigen auch die Sticheleien zwischen Berlin und Warschau im Ukraine-Krieg. Vor Kurzem hat Polen einen riesigen Rüstungsdeal verkündet: Doch statt bei seinen EU-Partnern kauft das Land im großen Stil Waffen in Südkorea ein. Was steckt dahinter?
Polen will sich als Akteur in Europa positionieren, unabhängig von Deutschland und Frankreich, den EU-Führungsmächten. Das zeigen auch frühere Rüstungsgeschäfte mit den USA und jetzt mit Südkorea. Aber die südkoreanische Industrie kann offensichtlich auch relativ flott liefern, während deutsche Rüstungsbetriebe auf Jahre hin ausgebucht oder nicht in der Lage sind, rasch Hunderte von Panzern nach Polen zu liefern.
Letztlich ist dieses polnische Verhalten aber auch auf Fehler der Vergangenheit zurückzuführen. Deutschland und Frankreich hätten Polen seit Jahren stärker einbinden können in gemeinsame Rüstungsprojekte. Aber das war nicht opportun in einer Zeit, in der alle an den Frieden geglaubt haben und dachten, wir könnten mit kleinen Armeen Europa zukunftsfest machen. Das rächt sich nun. Jetzt geht Polen seinen eigenen Weg. Und das ist nicht unbedingt im Sinne der europäischen Zusammenarbeit und Verständigung.
- Interview per Telefon am 02.09.2022