Wahlen in Georgia Es könnte noch heftiger werden
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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Den Bundesstaat Georgia gewann Joe Biden 2020 mit nur knapp 12.000 Stimmen Vorsprung. Bis heute werfen Donald Trump und seine Unterstützer den Behörden vor, das Ergebnis sei falsch. Die Wahlhelfer stehen unter enormem Druck.
David Schafbuch berichtet aus Atlanta
Es ist ein sehr ruhiger Morgen in dem Wahllokal in der Innenstadt von Atlanta. Lediglich ein Polizist in Uniform hat soeben in dem schmucklosen Behördengebäude seine Stimme abgegeben.
Bis zum 1. November konnten Wähler hier in der Hauptstadt von Georgia und anderen Wahlbüros das sogenannte "Early Voting" nutzen: also schon vor dem eigentlichen Wahltag am 5. November vorzeitig ihre Stimme abgeben. Dadurch soll der Wahlprozess entzerrt werden. Die Methode wird immer beliebter: In der Summe wurden in Georgia bereits jetzt mehr als die Hälfte der Stimmen abgegeben, die insgesamt 2020 in dem Bundesstaat gezählt wurden. Auch andere Bundesstaaten nutzen diese Möglichkeit.
An diesem Morgen aber bleiben viele Stühle, die für wartende Wähler aufgestellt sind, leer. Die Pressesprecherin des Landkreises Fulton County, Regina Waller, hat trotzdem einen vollen Terminkalender. Etliche Journalisten würden von ihr wissen wollen, wie die Wahl in Georgia genau abläuft.
Waller begründet das Interesse so: Georgia war schon in der vergangenen Präsidentschaftswahl sehr umkämpft. Als Swing State werde das auch bei der aktuellen Wahl wohl wieder der Fall sein, sagt sie. Der Landkreis Fulton, der mit Atlanta die größte Stadt des Bundesstaats einschließt, ist der bevölkerungsreichste in Georgia. Deswegen seien alle Augen auf Fulton County gerichtet, erklärt Waller, während sie durch das kleine Wahllokal führt.
Das Interesse an Georgia ist auch deshalb so groß, weil in keinem anderen Bundesstaat das Ergebnis bei der Präsidentschaftswahl vor vier Jahren knapper war. Gerade einmal 0,2 Prozentpunkte Vorsprung reichten Joe Biden, um in Georgia zu gewinnen. Das Ergebnis war 2020 Nährboden für Donald Trumps Verschwörungstheorie, dass er um den Sieg gebracht worden sei. Beweise hat der 78-Jährige dazu bis heute nicht. Im Gegenteil: Mehrere Nachzählungen bestätigten das Ergebnis.
Vier Jahre später steht Georgia erneut vor einer äußerst knappen Wahl – und es zeigt sich schon jetzt, dass das Ergebnis noch heftiger angefochten werden könnte.
Trump wollte Stimmen "finden"
2020 hatte Donald Trump in dem Bundesstaat zunächst zu einem frühen Zeitpunkt der Auszählung vor Joe Biden gelegen. Als dann immer mehr Stimmen dazukamen, die Corona-bedingt per Briefwahl eingegangen waren, wendete sich das Blatt zugunsten des demokratischen Herausforderers. Davor war den Demokraten ein Sieg in Georgia zuletzt 1992 mit Bill Clinton gelungen.
Trump und einige seiner Mitstreiter fochten im Nachgang das Ergebnis an und setzten für die Wahl verantwortliche Personen unter Druck: Im Januar 2021 rief der abgewählte Präsident etwa den Innenminister von Georgia, Brad Raffensperger, an: Raffensperger, der auch Leiter der Wahlaufsicht war, wurde von Trump gefragt, ob er nicht noch weitere Stimmen für Trump "finden" könne. Viele deuteten seine Worte als direkten Aufruf zur Manipulation der Wahl. Raffensperger und sein Büroleiter Gabriel Sterling, beide Mitglieder der Republikaner, erhielten nach der Wahl sogar Morddrohungen.
Trumps Manipulationsversuch blieb erfolglos und beschäftigt mittlerweile die Justiz: Der Ex-Präsident und seine Mitstreiter wurden mithilfe des sogenannten "Rico"-Acts angeklagt. Das Gesetz wurde ursprünglich eingeführt, um kriminelle Vereinigungen wie Mafia-Clans gemeinsam vor Gericht zu bringen. Allerdings verzögerte sich der Prozessbeginn, sodass Trump vor der Wahl nicht mehr auf der Anklagebank Platz nehmen muss.
Andere wurden allerdings bereits schuldig gesprochen. Zuletzt traf es mit Rudy Giuliani Trumps Anwalt: Der 80-Jährige, ehemals auch Bürgermeister von New York, hatte öffentlich zwei Wahlhelferinnen aus Georgia vorgeworfen, die Ergebnisse in dem Bundesstaat manipuliert zu haben. Dafür muss er den Frauen fast 150 Millionen Dollar zahlen.
Wie Trump und seine Gefolgsleute auf die aktuelle Wahl Einfluss nehmen könnten, darauf antwortet Pressesprecherin Waller nur ausweichend. Als Beamtin wolle sie sich nicht politisch äußern. Sie habe auch keine Zahlen vorliegen, ob die vielen Helfer in den Lokalen in den letzten Jahren häufiger verbal oder körperlich bedroht wurden als in der Vergangenheit. "Wir konzentrieren uns nicht darauf." Es gebe auch keinen Mangel an Freiwilligen, die sich in den Wahllokalen beteiligen wollen: Es hätten sich sogar mehr Menschen gemeldet als nötig.
Die Wahlhelfer seien vor ihren Einsätzen ausführlich geschult worden: Nicht nur die technischen Abläufe werden dabei erläutert. Es gehe auch darum, zu wissen, "wie man sicher bleibt". T-Shirts, die Trump oder Harris zeigen, sind verboten. Sie könnten Wähler provozieren. Sicherheitspersonal und Polizisten überwachen die Räume, Waffen dürfen nicht mitgeführt werden. All diese Regelungen seien allerdings nicht ungewöhnlich und galten auch schon 2020, sagt Waller.
Panikknöpfe für Wahlhelfer
Tatsächlich wurden an anderen Orten in Georgia die Sicherheitsvorkehrungen erhöht: Im Cobb County, das direkt an Fulton grenzt, wurden für zwei Millionen Dollar Panikknöpfe auf Funkgeräte installiert. Die Wahlhelfer können damit die Polizei, Feuerwehr oder Rettungskräfte rufen.
An der tadellosen Funktionsfähigkeit der Wahlautomaten lässt Waller keinen Zweifel aufkommen: Die Wähler geben dort ihre Stimme auf einem Touchpad ab, die Maschine spuckt dann den Wahlzettel aus. Den werfen die Wähler anschließend in die Urne. Der Wahlautomat und die Urne sind verplombt, der Automat ist nicht mit dem Internet verbunden, um Cyberangriffe auszuschließen. Nachdem die Wahllokale dann am 5. November geschlossen sind, werden die Stimmen maschinell ausgezählt. Die Zettel werden dann für zwei Jahre aufbewahrt. Waller sagt, sie geht davon aus, dass die Papiere sogar noch länger aufgehoben werden.
Den Vorwurf, Wahlzettel würden gefälscht, hatte Trumps Lager schon beim letzten Wahlkampf erhoben – und nach dem knappen Wahlergebnis vielfach wiederholt. Auch vier Jahre später ist der Vorwurf nicht verstummt. Das zeigte sich erst Mitte Oktober wieder bei einer Wahlkampfveranstaltung in Duluth, einem Vorort von Atlanta: Dort machte die republikanische Abgeordnete Marjorie Taylor Greene eine Andeutung, mit der sie auch die Ergebnisse der kommenden Wahl infrage stellte.
Man solle sich seinen Wahlzettel genau anschauen, bevor man ihn in die Urne werfe, sagte Greene vor Tausenden Trump-Anhängern. Für das Publikum, unter dem die Lüge von der "gestohlenen Wahl" so etwas wie ein Glaubensbekenntnis ist, klang es nach einer Warnung vor möglicher Wahlmanipulation. Die Abgeordnete, die selbst aus Georgia stammt, steht innerhalb der Partei weit rechts und verbreitet regelmäßig Verschwörungstheorien.
Anders als vor vier Jahren besitzt das Trump-Lager allerdings innerhalb der Behörden eine weitere Möglichkeit, um Einfluss auf den Ausgang in Georgia zu nehmen: Das fünfköpfige State Election Board, das die Wahlregularien vorgibt und über Wahlleiter Raffensperger steht, ist seit Anfang des Jahres mit drei Mitgliedern besetzt, die Donald Trump nahestehen. Zuletzt hatte das Gremium angeordnet, dass die Auszählung in Georgia nicht nur maschinell, sondern auch per Hand erfolgen sollte.
Das oberste Gericht des Bundesstaates hat in der vergangenen Woche allerdings die Anordnung des Gremiums gekippt. Kritiker hatten befürchtet, dass durch die Zählung per Hand das Endergebnis nicht nur zu verzögern, sondern möglicherweise auch leichter zu manipulieren sei.
Trumps "Geheimnis"
Angesprochen auf die praktischen Auswirkungen dieser Maßnahme weicht Fulton-County-Sprecherin Regina Waller aus. Egal, welche Methoden man wähle: Man tue, was nötig sei, um eine reibungslose Auszählung zu gewährleisten.
Allerdings hat das State Election Board noch weitere Möglichkeiten, auf die Wahl Einfluss zu nehmen: Das Gremium ist auch in der Lage, Stimmen nach der Wahl für ungültig zu erklären. Im Extremfall könnte es dazu kommen, dass das Ergebnis in Georgia oder anderen Bundesstaaten so angezweifelt wird, dass am Ende weder Trump noch Harris genug Wahlleute für sich gewinnen können.
In dem Fall würde es eine Abstimmung im Repräsentantenhaus geben, bei der eine Delegation aus jedem Bundesstaat eine Stimme für Trump oder Harris abgeben darf. Nach jetzigem Stand würden die Republikaner dort eine Mehrheit haben. Trump hatte zuletzt einen solchen Schritt auf seiner Rede im New Yorker Madison Square Garden bereits angedeutet: Er und der republikanische Mehrheitsführer im Repräsentantenhaus, Mike Johnson, hätten ein "kleines Geheimnis", über das er die Öffentlichkeit nach der Wahl informieren werde.
- Eigene Recherchen und Beobachtungen
- Mit Material der Nachrichtenagenturen dpa und AFP