"Sommer der Gören" Harris' Wunderwaffe gegen Trump
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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Kamala Harris will nächste US-Präsidentin werden. Konkurrent Trump und die Republikaner schießen bereits aus allen Rohren gegen sie. Doch Harris könnte auf ungewöhnliche Weise Wähler gewinnen.
Die Wörter "kamala hq" (hq steht für Headquarters, deutsch: Hauptquartier) stehen in kleinen Buchstaben in schwarzer Schrift auf froschgrünem Hintergrund: Das Profil auf der Plattform X ist der Startschuss für die Kampagne von US-Vizepräsidentin Kamala Harris. Und das, obwohl Harris bislang nicht offiziell Kandidatin der Demokraten ist. Hinter dem Profil steckt eine Strategie, die primär eine bestimmte Wählergruppe im Blick hat.
Viele ältere Wählerinnen und Wähler, aber auch internationale Beobachter, sahen in der Grafik primär einen bunten Kampagnenstart. Besonders junge Erwachsene dürften die Anspielung hingegen direkt erkennen: Harris nutzt das gleiche Design wie die britische Sängerin Charlie XCX für ihr aktuelles Album "brat", auf Deutsch heißt das so viel wie "Göre".
Die Sängerin meldete sich auch umgehend bei X zu Wort und schrieb: "kamala is brat". Harris verkörpere also das von Charlie XCX besungene Ideal einer Frau, die vor allem ehrlich ist und zu sich selbst steht. Denn das stecke nach Aussage der Sängerin hinter den "Gören", die den Sommer 2024 prägen sollen: ein bisschen unordentlich, ein bisschen rotzig, lebensbejahend und glaubwürdig.
Videos erreichen Millionenpublikum
Nur wenige Tage später erreichen Videozusammenschnitte zum Lied "Femininomenon" der US-amerikanischen Sängerin Chappell Roan auf der Plattform TikTok mehrere Millionen "Likes". Darin ist meist Trump zu sehen, teils auch Biden. Dazu erklingt die Stimme von Roan, die singt: "But what we really need is a ...", also "Was wir wirklich brauchen, ist ein …". Dann wird zu Aufnahmen von Harris geschnitten, dazu die Aufschrift "Femininomenon", eine Wortneuschöpfung aus den Worten "feminin" und "phenomenon" (zu Deutsch: "Phänomen").
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Im Internet kursieren außerdem zahlreiche Clips, die auf die TV-Serie "Veep" verweisen. In der bitterbösen Satire spielte Julia Louis-Dreyfus eine Vizepräsidentin, die schließlich selbst Präsidentin wurde. Das Portal "Deadline" berichtete, dass die Serie einen plötzlichen Anstieg der Zuschauerzahlen auf der Streamingplattform Max verzeichnete. "Veep"-Produzent David Mandel rief dazu auf, für Harris zu spenden.
Weitere Prominente versammeln sich ebenfalls hinter Harris. So sprach George Clooney bereits seine Unterstützung aus und bei Harris erstem Wahlkampfauftritt lief der Song "Freedom" von Superstar Beyoncé. Der US-Sender CNN berichtete, dass Harris von Beyoncé die Erlaubnis erhalten habe, das Lied zu spielen.
"Glaubst du, du bist aus einem Kokosnussbaum gefallen?"
Auch eine frühere Aussage von Harris wird jetzt vielfach geteilt. Bei einem Event im Weißen Haus im vergangenen Jahr zitierte sie ihre eigene Mutter, die sie schon früh darauf hingewiesen habe, wie wichtig die eigene Herkunft sei.
Sie habe ihr damals gesagt: "Glaubst du, du bist aus einem Kokosnussbaum gefallen? Du existierst im Kontext von allem, in dem du gelebt hast und was vor dir kam." Harris lachte herzlich, während sie die Anekdote vortrug. Mittlerweile nutzen viele Anhänger von Harris das Kokosnuss-Emoji als Zeichen der Unterstützung, darunter auch mehrere demokratische Senatoren.
- Kamala Harris und die Kokospalme – hier erfahren Sie mehr
Harris will das Momentum, das auf den sozialen Netzwerken entstanden ist, offenbar nutzen. Denn im Laufe der Woche trat sie der Plattform Tiktok bei und veröffentliche ihr erstes Video.
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Das zeigt, dass lustige Bilder und Videos im Internet längst nicht mehr nur Jugendkultur sind. Wie groß ihr Einfluss auf den Wahlkampf der USA ist, wird sich in den kommenden Wochen zeigen.
Gören-Sommer lockt junge Wähler
Mit ihrer Herangehensweise kommt Harris bei Wählerinnen und Wählern bislang offenbar gut an. In einer aktuellen Umfrage von Reuters landet Harris aktuell bei 44 Prozent Zuspruch, während Trump auf 42 Prozent kommt. In anderen Umfragen liegt Trump allerdings einen Prozentpunkt vor Harris. Insgesamt ist der Abstand aber geringer, als er zuletzt zwischen Biden und Trump war. Und es zeigt: Das Rennen ist knapp und längst nicht entschieden.
Gerade bei jungen Wählerinnen und Wählern unterscheiden sich die Umfrageergebnisse derzeit noch deutlich je nach Umfrageinstitut. In einer Befragung des Senders CNN landet Harris allerdings bereits knapp vor Trump (42 Prozent zu 41 Prozent). In der letzten Umfrage hatte Trump in dieser Zielgruppe noch deutlich vor Biden gelegen (47 Prozent zu 41 Prozent). Hier deutet sich also eine gewisse Bewegung zugunsten von Harris an.
Auch innerhalb der Demokratischen Partei sorgt Harris' Kandidatur für eine bessere Stimmung. Einer Umfrage von Morning Consult zufolge gaben 27 Prozent der befragten Demokraten an, sie seien "deutlich motivierter", sich am politischen Prozess zu beteiligen, verglichen mit 24 Prozent der Republikaner.
Zudem stehen die Demokraten offenbar mehrheitlich hinter der aktuellen Vizepräsidentin. Von zehn abgefragten demokratischen Kandidaten schnitt sie am besten gegen Trump ab.
Erfolge als Staatsanwältin als Mittel gegen Trump
Auf der Unterstützung von Prominenten und ersten Erfolgen bei jungen Wählern möchte sich Harris indes nicht ausruhen. So arbeitet sie auch an ihrer inhaltlichen Positionierung. Dafür nutzt sie ihre eigene Biografie als Kontrast zu Konkurrent Trump. Sie war Bezirksstaatsanwältin von San Francisco und Justizministerin in ihrer Heimat Kalifornien.
Dahinter steckt wohl eine zentrale Botschaft ihrer Kampagne. "Ich kenne Donald Trumps Typ", sagte sie bei einem Auftritt im US-Bundesstaat Wisconsin und führte aus: "Ich habe mich mit den großen Banken der Wall Street angelegt und sie wegen Betrugs zur Rechenschaft gezogen. Donald Trump wurde gerade des Betrugs in 34 Fällen für schuldig befunden."
Trump war Ende Mai im Prozess um die Verschleierung von Schweigegeldzahlungen an eine Pornodarstellerin schuldig gesprochen worden. Es ist das erste Mal in der US-Geschichte, dass ein ehemaliger Präsident wegen einer Straftat verurteilt wurde.
Startschuss fällt in umkämpften Staat
Für ihren ersten Wahlkampftermin suchte sich Harris mit Wisconsin zudem einen umkämpften Bundesstaat aus. Denn es handelt sich um einen sogenannten Swing State, also einen Staat, bei dem traditionell nicht klar ist, ob er von den Republikanern oder Demokraten gewonnen wird.
Aber mehr noch: Genau hier ließ sich Trump vor einer Woche zum Kandidaten der Republikaner küren. Bei der Präsidentenwahl 2020 gewann der Demokrat Joe Biden in Wisconsin nur haarscharf gegen Trump. Auch dieses Mal zeichnet sich ein äußerst enges Rennen ab. Mit ihrem Auftaktbesuch zeigt Harris, dass sie um den Staat kämpfen will.
Republikaner unter Druck
Das setzt die Republikaner unter Druck und sie schießen aus allen Rohren. Zum einen versuchen sie zu verhindern, dass Harris auf die gesammelten Wahlkampfspenden von Biden zugreifen kann. Trumps Team hat US-Medien zufolge eine entsprechende Beschwerde bei der zuständigen Behörde eingereicht.
Auf seinem eigenen sozialen Netzwerk Truth Social ätzt Trump ebenfalls gegen Harris. Er nennt sie "Lyin' Kamala Harris", bezichtigt sie also des Lügens. Trump gibt seinen Gegnern gerne beleidigende Spitznamen. Den amtierenden Präsidenten Joe Biden hatte er wiederholt "Sleepy Joe" genannt, also als "verschlafen" bezeichnet.
Bei Harris hatte er es in den ersten Tagen nach Bidens Rückzug von einer erneuten Kandidatur mit dem Namen "Laughing Kamala Harris" versucht. Damit spielt er auf das laute Lachen der Politikerin an. In Windeseile wurden Videos von der lachenden Harris geteilt – und stießen vor allem auf Sympathie. Das passte Trump wohl nicht, daher versucht es der Präsidentschaftskandidat nun mit einem neuen Spitznamen für seine wahrscheinliche Konkurrentin.
Auf andere Netzwerken wie X und Facebook kursieren auch erste manipulierte Bilder von Harris, die sie verunglimpfen sollen (lesen Sie hier mehr dazu). So zirkuliert ein Foto, das Harris und den verurteilten und mittlerweile verstorbenen Sexualstraftäter Jeffrey Epstein zeigen soll. Bei genauerem Hinschauen wird allerdings klar: Es handelt sich um eine Fotomontage. Auf dem echten Bild ist Harris mit ihrem Ehemann Douglas Emhoff bei einer Veranstaltung auf dem roten Teppich zu sehen. Gegner hatten einfach Emhoffs Kopf auf dem Bild ausgetauscht.
- Eigene Recherche
- X-Account @KamalaHQ
- whitehouse.gov: Remarks by Vice President Harris at Swearing-In Ceremony of Commissioners for the White House Initiative on Advancing Educational Equity, Excellence, and Economic Opportunity for Hispanics
- edition.cnn.com: "Polling suggests Harris might be able to outperform Biden against Trump among these groups" (englisch)
- Mit Material der Nachrichtenagentur dpa