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Mekka der Milliardäre: Das seltsame Leben im reichsten Ort der USA


Meinung
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Mekka der Milliardäre
Hier entfliehen die Superreichen der Realität

MeinungEine Kolumne von Fabian Reinbold

Aktualisiert am 30.06.2021Lesedauer: 6 Min.
Scheune im Grand-Teton-Nationalpark: Der Reichtum ist auf den ersten Blick unsichtbar.Vergrößern des Bildes
Scheune im Grand-Teton-Nationalpark: Der Reichtum ist auf den ersten Blick unsichtbar. (Quelle: Edwin Remsberg/imago-images-bilder)

Kaum jemand kennt den reichsten Ort der USA. Ein Besuch am neuen Lieblingsort der Milliardäre zeigt eine heile Welt, doch hinter der Fassade tun sich tiefe Risse auf. Wie viel Geld kann eine Kleinstadt vertragen?

Heute kommt die Kolumne nicht aus Washington, sondern aus der reichsten Gemeinde Amerikas. Ich melde mich weder aus Manhattan noch aus den Hügeln rund um Hollywood. Und der Prunk von Palm Beach ist auch ganz weit weg. Wenn Sie nun ungeduldig werden – was nimmt der Reinbold nur wieder für einen langen Anlauf! – und rasch googeln würden, fänden Sie den Ort wahrscheinlich nicht. Denn in vielen jährlichen Ranglisten der wohlhabendsten Orte in den USA taucht diese Gemeinde nicht einmal auf, einfach weil sie zu klein ist.

Hier leben nur gut 21.000 Menschen, von denen jeder im Durchschnitt pro Jahr 251.728 Dollar verdient. Weil die Zahlen allerdings zwei Jahre alt sind, verraten sie wenig über den sagenhaften Boom, der hier seit Kurzem stattfindet.

Und damit herzlich Willkommen in den Rocky Mountains von Wyoming. Die Gemeinde heißt Teton County, das wunderschöne Tal, in dem man wohnt, trägt den Namen Jackson Hole und das Städtchen im Zentrum des Wahnsinns heißt Jackson.

Die drei Orte machen gerade turbulente Zeiten durch. Nur die Million Dollar Cowboy Bar harrt schon seit Ende der Dreißigerjahre unverwüstlich am Stadtplatz von Jackson aus, müsste allerdings eine Umbenennung erwägen, wenn sie die aktuellen Entwicklungen abbilden wollte. Billion Dollar Cowboy Bar wäre gerade der passendere Name. Denn nachdem die Millionäre die Normalos verdrängt haben, verdrängen jetzt die Milliardäre die Millionäre.

Eine atemberaubende Lage, Stadtflucht wegen Corona, lachhaft niedrige Steuern und der gute alte Mythos des Wilden Westens haben Jackson zum Zufluchtsort der Superreichen gemacht – was vor Ort für allerlei Verwerfungen sorgt. Die Luft in Jackson Hole, 1.900 Meter über Null gelegen, wird für viele gerade ziemlich dünn.

Spaziert man durch das Städtchen, erahnt man von alldem nichts. Jackson präsentiert sich als der Touristenort, der er schon lange ist: Die nahen Nationalparks Grand Teton und Yellowstone sowie die hervorragenden Skipisten lassen den Strom an Reisenden zu keiner Jahreszeit versiegen. Am Stadtplatz grüßen vier Torbögen aus Wapiti-Hirschgeweihen und für ein paar Dollar mehr landet eine Büffelbulette statt Rindfleisch auf dem Burger. So weit, so urig.

Genau das lieben die Milliardäre aus dem Silicon Valley, aus Los Angeles und aus New York, die nun hierher strömen. Die atemberaubende Natur trifft nämlich auf eine Kultur der Bodenständigkeit, in die man allzu gern abtauchen möchte. Es röhren keine Porsches oder Bentleys durch das Tal, sondern massive Pickup-Trucks, die nach hiesigen Maßstäben als vollkommen normal gelten.

Samstagabends geht man zum Rodeo. Die Alteingesessenen, die Touristen und die neuen reichen Nachbarn kommen allesamt in Cowboyhut und spitzen Lederstiefeln. Die Veranstalter haben den perfekten Slogan gefunden: "Where the West is still the West" – Wo der Westen noch der Westen ist. Der Stadionsprecher fragt zwischen Bullenreiten und Pferdefangen dann auch ins Publikum: "Wer kommt denn hier aus Kalifornien?". Als sich ein paar Hände zaghaft aus dem Meer der Cowboyhüte schieben, sagt er: "Willkommen in Amerika".

Parallelen zur Science-Fiction-Serie "Westworld"

Den Mythos der "Frontier" schreiben die Amerikaner schon seit gut hundert Jahren fort. Das ist die Vorstellung, dass es die Erfahrungen an der sich immer weiter nach Westen verschiebenden Grenze waren, die Amerika zu Amerika machten. Wilder Westen, das einfache Leben in wunderschöner Natur und gefährlicher Wildnis, weit weg von starren Regeln einer Regierung. In Jackson darf sich jeder Hedgefondsmanager ein kleines bisschen wie Buffalo Bill fühlen, oder zumindest wie Lucky Luke. Es ist ein Abenteuerspielplatz für die Superreichen.

Es ist ein bisschen wie die Science-Fiction-Serie "Westworld", nur ohne Roboter.

Beim Rodeo lehnt Drue Meyer lässig am Metallzaun, eine Dose Coors light in der Hosentasche. Drue arbeitet auf dem Bau, es geht ihm gut, dank der neuen Nachbarn. Er hat zuletzt für so manche Berühmtheit das Anwesen mitgezimmert. Für wen, darf er allerdings nicht sagen. Vor dem ersten Handschlag musste er eine Verschwiegenheitserklärung unterzeichnen.

So bleibt vieles im Vagen. Harrison Ford war einer der ersten Stars hier, so viel ist klar, er hat eine Ranch am wilden Snake River. Drue Meyer weiß: "Die musste er im Rahmen einer Scheidung an seine Frau abtreten, kaufte sie aber am nächsten Tag zurück." Die Cheneys (Dick, Liz und Co.) wohnen etwas weiter den Fluss hinauf. Kanye West aß am liebsten die Chicken Wings bei Big Hole BBQ, doch wer seit der Pandemie alles gekommen ist, wie und wo die neuen Milliardäre wohnen, das alles ist nicht genau auszumachen. Auch in Jackson gilt: reich, reicher, unsichtbar.

Der Ort, an dem die großen Deals eingefädelt werden, tarnt sich als bescheidene Blockhütte ein paar Blocks entfernt vom Stadtkern. Die Makler von Sotheby's jonglieren mit den neuen Mega-Angeboten. Am Samstagmorgen ist wenig los, ein freundlicher Mann hat Zeit, Einblicke zu geben.

"Wer Reichtum vererben will, hat viele Vorteile, wenn er nach Wyoming zieht", sagt der Makler. Nicht nur die Erbschaftssteuer ist minimal, auch die Grundsteuer. Auf eine Einkommensteuer, die man in den USA üblicherweise auf Bundes-, Staaten- und lokaler Ebene zahlt, verzichten Wyoming und Teton County gleich ganz.

Jetzt macht er mir ein Objekt schmackhaft: Ein Ensemble, das er als Einfamilienhaus mit vier Schlafzimmern plus Gästehaus mit vier weiteren Schlafzimmern anpreist: 11 Bäder, 112 Hektar Grundstück, Listenpreis 69,5 Millionen Dollar. Als mein Blick wohl doch etwas Unglauben verrät, preist er die Immobilie nun noch einmal anders an: "So viel zusammenhängende Fläche ist wirklich einzigartig. Da kannst du deine eigenen Wanderpfade und Radpisten anlegen".

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"Es gibt hier nicht so viele gut bezahlte Jobs"

Tatsächlich, die Fläche ist hier ein Knackpunkt. Nicht einmal drei Prozent des Gebietes von Jackson Hole ist in Privatbesitz. Der Rest ist in der Hand des Bundes. Neben den Bergketten begrenzt ein riesiges Wapiti-Reservat die Stadt im Norden. Das macht alles noch abgeschiedener, exklusiver, begehrter.

Und es macht die Stadt eingezwängter. Auch der Makler weiß um das Problem: "Es gibt hier nicht so viele gut bezahlte Jobs, und man kann mit dem Geld, das reinströmt, einfach nicht mithalten." Wer nicht mehr mitkommt, kann nicht einfach ein bisschen weiter raus ziehen.

Seine Kollegen auf dem Bau, hatte mir Drue Meyer am Rodeozaun erzählt, kommen nun jeden Morgen aus Pinedale, knapp 90 Meilen entfernt. Andere Arbeiter, die den Reichen die Häuser putzen oder die Ranches pflegen, pendeln aus dem nächsten Bundesstaat Idaho. Jeden Morgen und jeden Abend über den Teton-Gebirgspass. Im Sommer geht das, im Winter ist der oft gesperrt. Dann kann es passieren, dass der reichste Ort Amerikas Armut an Arbeitskräften leidet.

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Der Makler zeigt nicht ohne Stolz, wie seine Verkäufe im Pandemie-Jahr explodiert sind. 2019 verkauften sie hier Immobilien im Wert von 933 Millionen Dollar, 2020 dann die Verdopplung auf 1,8 Milliarden Dollar. In einer Kleinstadt. Der durchschnittliche Preis pro Haus stieg von 1,7 auf 2,7 Millionen Dollar. Das sind nur die Kaufobjekte. Auch wer mieten will, zahlt jetzt 50 Prozent mehr – Grund ist der sogenannte "Zoom Boom", also der Umzug von Leuten, die in der Pandemie von zu Hause aus per Videokonferenz arbeiten und ihre Städte gar nicht schnell genug verlassen konnten.

Als neulich eine Schulbehörde tagte, ging es nicht um Reparaturen und neue Lernpläne. Thema Nummer eins war die Klage, dass die Lehrer in Jackson kein Haus mehr fänden. Wir sind nicht nur in der reichsten Gemeinde, sondern auch der mit der höchsten Ungleichheit.

Als der freundliche Makler fertig ist mit seinem Vortrag, bekommt er kalte Füße. "Wir sind gerade mit einem Stigma behaftet." Er will nicht, dass ich seinen Namen nenne. Diese Erfahrung wiederholt sich bei anderen Gesprächen. Es geht hinter der Elch-Berge-und-Cowboy-Romantik eben um viel Macht und um viel, viel Geld.

Der Mann, der den besten Einblick in diesen Konflikt gewonnen hat, heißt Justin Farrell. Der Soziologe arbeitet an der Elite-Universität Yale. Farrell hat ein ganzes Buch über das Phänomen geschrieben: "Billionaire Wilderness" heißt es, also Wildnis der Milliardäre. Farrell hat es geschafft, mit den Superreichen und mit den Armen zu sprechen. Die einen waren geschmeichelt, dass sich ein Forscher einer renommierten Universität mit ihnen unterhalten wollte, zu den anderen fand als er als gebürtiger Wyominger einen Draht.

Farrell bestätigte mir meinen Eindruck: "Die Milliardäre können hier den Widersprüchen ihres Lebens als Superreiche entfliehen. Sie reden sich ein, hier seien doch alle gleich und wollten dasselbe: raus in die Natur, ein bisschen Cowboy spielen." Doch das sei, weiß Farrell, eben nur eine "schöne Fassade, hinter der es ziemlich hart zugeht".

Verwendete Quellen
  • Eigene Beobachtungen vor Ort
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