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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Was kann er noch anrichten? Trumps größter Trumpf
Donald Trump hat endlich versprochen, die Macht friedlich zu übergeben. Doch bis zum 20. Januar hat er weitreichende Befugnisse. Und seine gefährlichste Waffe ist in der Verfassung nicht einmal erwähnt.
Es sind noch 13 Tage. 13 Tage lang ist Donald Trump noch Präsident der Vereinigten Staaten. Nur noch, würde es eigentlich heißen. Doch in diesem Fall muss man sagen: immer noch.
Am 20. Januar wird Joe Biden offiziell in das Amt des US-Präsidenten eingeführt. Bis dahin ist Donald Trump der mächtigste Mann der Welt. Und mehr denn je stellt sich nach den Ereignissen vom Mittwoch die Frage: Was kann er noch anrichten?
Die kurze Antwort lautet: Weniger als vor einigen Wochen – aber noch immer mehr als genug.
Der letzte Schritt zur Amtsübergabe
Donald Trumps Optionen, Schaden anzurichten, schwinden. Obwohl seine radikalen Anhänger am Mittwochnachmittag das Kapitol gestürmt hatten, bestätigte der Kongress noch in der Nacht um 3.40 Uhr den Wahlsieg Joe Bidens. Normalerweise ist das nur eine Formalie. Doch dieses Mal wurde sie durch die Republikaner verzögert – und durch Trumps Anhänger dann sogar vorerst gestoppt.
Trumps Feldzug gegen das Wahlergebnis kommt damit zumindest formell an sein Ende. Die Bestätigung durch den Kongress ist der letzte Schritt auf dem langen Weg vom Wahltag zur Amtseinführung des neuen Präsidenten. Trump und seine Helfer haben alles versucht, um diese Bestätigung zu verhindern: mit wirren Verschwörungstheorien, unzähligen Klagen und unverhohlenem Druck auf Offizielle. Doch nun sind sie endgültig gescheitert.
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Trump hat das nun auch eingestanden, wenn natürlich nur indirekt. Als Vizepräsident Mike Pence die Bestätigung des Biden-Siegs im Kapitol verkündet hatte, ließ der Präsident eine Stellungnahme verbreiten, in der er eine "geordnete Machtübergabe am 20. Januar" versprach – "auch wenn ich dem Ergebnis der Wahl absolut widerspreche und die Fakten mir recht geben".
Trumps zweite große Niederlage an diesem Tag
Nicht nur Donald Trumps Optionen schwinden, auch seine Macht erodiert. Denn neben der offiziellen Bestätigung des Biden-Sieges und dem Sturm auf das Kapitol geschah an diesem denkwürdigen 6. Januar in den USA noch etwas außerordentlich Wichtiges: Das Ergebnis der Stichwahl in Georgia wurde verkündet.
In dem südöstlichen Bundesstaat wurden die letzten zwei Senatssitze vergeben, die wichtiger kaum sein könnten. Denn sie entschieden darüber, ob die Demokraten neben dem Repräsentantenhaus auch den Senat kontrollieren. Und damit darüber, ob Biden künftig regieren kann, ohne permanent vom mächtigen Kongress ausgebremst zu werden.
Dass der Baptistenpastor Raphael Warnock seinen Sitz für die Demokraten gewonnen hat, stand schon bald nach der Wahl am Dienstag fest. Und als Trumps Randalierer im Kongress wüteten, verkündete CNN dann auch den zweiten Sieg der Demokraten: Jon Ossoff sitzt künftig ebenfalls im Senat.
Weil Republikaner und Demokraten nun über jeweils 50 Sitze verfügen und damit die Stimme der Vizepräsidentin Kamala Harris entscheidet, ist es für Trump in seinen letzten Tagen faktisch unmöglich, noch Gesetzesvorhaben durch die beiden Parlamentskammern zu bringen.
Trumps Exekutivmacht
Doch der US-Präsident bleibt mächtig, auch ohne das Parlament. Trump kann weiter per Dekret regieren – mit sogenannten Executive Orders. Sie haben Gesetzesrang und können zwar von Gerichten gekippt werden. Der Kongress kann sie aber nicht stoppen, sondern nur versuchen, sie mit eigenen Gesetzen zu verändern.
Ein solches Vorhaben könnte der Präsident jedoch im Zweifel wieder unterbinden – durch sein Veto. Genau wie jedes andere Gesetz aus dem Kongress. Sein Veto müsste dann wiederum mit Zweidrittelmehrheit im Kongress überstimmt werden.
Der designierte Präsident Biden hat schon angekündigt, nach Amtsantritt mehrere Executive Orders von Trump zu kippen. Das könnte er auch mit weiteren tun, die Trump jetzt noch erlässt. Aber eben erst nach dem 20. Januar. Bis dahin kann Trump auch noch munter Minister und Mitarbeiter feuern, wie er es seit der Wahl schon ausgiebig praktiziert.
Und Trump hat als Oberbefehlshaber weitreichende Macht über die Nationalgarde – und das Militär. Zwar kann er formell keinen Krieg erklären, dafür ist der Kongress zuständig. Doch Truppen entsenden könnte Trump erst einmal eigenmächtig. Er muss den Kongress nur innerhalb von 48 Stunden darüber informieren. Der kann dann Widerspruch einlegen, was einen Rückzug innerhalb von 60 bis 90 Tagen zur Folge hätte.
Doch bis dahin kann natürlich schon viel passiert sein.
Trumps größter Trumpf
Abseits der formellen Macht hat Trump aber noch etwas anderes: die Macht des Wortes. Es ist in dieser Lage die wahrscheinlichste und gefährlichste Quelle neuer Unruhen. Denn für konkrete Politik hat sich Trump in den vergangenen Wochen ohnehin nur nebenbei interessiert – und meist nur dann, wenn er seinem Nachfolger Steine in den Weg legen konnte.
Seine Aufmerksamkeit galt dem Feldzug gegen die Wahl – und damit gegen die Demokratie. Auch wenn er bei der Wahl nun an formelle Grenzen gestoßen ist, kann er weiterhin die Demokratie untergraben. Um das zu unterbinden, müsste er tatsächlich mundtot gemacht werden. In Zeiten des Internets ist das quasi unmöglich, selbst nachdem Twitter und Facebook ihn zumindest zeitweise gesperrt haben. Seine treuen Anhänger wird er über irgendeine Plattform erreichen.
Auch den Sturm aufs Kapitol hat Trump nicht durch formelle Macht, sondern durch Worte ausgelöst. "Wir gehen zum Kapitol und versuchen, den Republikanern den Stolz und die Kühnheit zu geben, die sie brauchen, um uns unser Land zurückzuholen", rief Trump seinen Anhängern in einer Rede zu, bevor sie dann wirklich in Scharen loszogen.
Dass Trump weitermachen will, daran hat er keinen Zweifel gelassen. Der Präsident lobte seine Getreuen noch während sie randalierten: "Wir lieben euch, ihr seid etwas ganz Besonderes", sagte er in einem Video, das in den sozialen Medien schnell gelöscht wurde, weil er zugleich noch immer von einer "gestohlenen Wahl" fabulierte.
Und selbst Trumps Stellungnahme, in der er die "geordnete Machtübergabe" verspricht, enthält eine unverblümte Drohung: "Es ist erst der Anfang unseres Kampfes, Amerika wieder großartig zu machen."
Seine radikalen Anhänger stehen bereit. Auch wenn er nicht mehr Präsident ist.
- Eigene Recherchen
- Mit Infos der Nachrichtenagentur dpa