Pressestimmen zur US-Wahl "Eine Genugtuung für viele, die gelitten haben"
Die Präsidentschaftswahl in den USA ist vorbei – und war nervenaufreibender als viele vorherige. Medien weltweit kommentieren den Sieg Joe Bidens. Viele warnen vor zu viel Optimismus.
Nach vier Jahren US-Präsidentschaft von Donald Trump hat die Erleichterung über die Nachricht des Wahlsieges von Joe Biden unterschiedliche Reaktionen ausgelöst. Weltweit haben Medien den Wahlausgang kommentiert:
CNN-Kommentator Van Jones, USA: "Das ist eine große Sache für uns, nur um etwas Frieden finden zu können und die Chance auf einen Neustart zu haben. Die Nachricht ist eine Genugtuung für viele, die gelitten haben. Das ist ein guter Tag für unser Land."
"Irish Times", Dublin: "Es wirft ein bemerkenswert schlechtes Licht auf eine schändliche Präsidentschaft, dass der Machtverlust von Donald Trump vor allem von den Autokraten der Welt betrauert wird. In Trump fanden sie einen Sympathisanten, einen Fürsprecher und einen Ermöglicher, der ebenso begierig darauf war, demokratische Werte zu zerstören und die liberale Ordnung umzukrempeln, wie sie selbst. Im Gegensatz dazu wird das Ausscheiden Trumps aus dem Amt und seine Ablösung durch Joe Biden eine immense Erleichterung für die traditionellen Verbündeten Amerikas sein, die um die Anpassung an eine Welt kämpften, in der Washington seine Führungsposition aufgab und seine ältesten Freunde als feindliche Rivalen behandelte."
"The Observer", Großbritannien: "Dies ist zwar in der Tat ein Grund zum Feiern, aber es ist auch ein Moment der Demut und der Besinnung. Joe Biden zog eine Rekordzahl von Stimmen auf sich – mehr als 74 Millionen oder fast 51 Prozent. Die Gesamtzahl von Trump war mit mehr als 70 Millionen die zweithöchste aller Zeiten, was auf die höchste Wahlbeteiligung seit 1900 zurückzuführen ist. Diese außergewöhnlichen Zahlen zeigen allein schon, wie tief die Leidenschaften und die Spaltungen sind, die das heutige Amerika verfolgen und plagen. Sie sind eine Warnung. (...) Angesichts so vieler Herausforderungen könnten sich viele fragen, ob Biden, der bald 78 Jahre alt wird, seinen Kurs beibehalten kann.
Doch weitaus wichtiger als sein Alter ist die Tatsache, dass er ein anständiger, ehrlicher und erfahrener Staatsmann ist. Nach so viel Verbitterung und Hass ist er der erfahrene Konsensbildner, den die USA und die Welt brauchen. Wenn jemand den Schaden, den Trump angerichtet hat, reparieren und Amerika politisch und materiell gesunden lassen kann, dann ist er es. Am wichtigsten ist, dass Biden in dieser kritischen Phase bewiesen hat, dass er ein Sieger ist. Der Jubel ist völlig gerechtfertigt."
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"The Telegraph", Großbritannien: "Historiker werden wahrscheinlich zu dem Schluss kommen, dass Joe Biden zu einem großen Teil gewonnen hat, weil er nicht Donald Trump war. Und hoffentlich wird er aus der Bandbreite seiner Koalition, zu der auch unzufriedene Republikaner gehören, schließen, dass er nun von der Mitte aus regieren muss. Biden muss seinen Sieg in einem Anti-Trump-Referendum in eine Wahl für eine Agenda umsetzen, die die Menschen wirklich zusammenbringt.
Die gute Nachricht ist, dass Großbritannien – wie Boris Johnson bereits deutlich gemacht hat – gern auf der Weltbühne hilft. Allerdings muss Biden aus dem Erfolg von Trump bei der Eindämmung des Irans lernen und er darf nicht zu der gescheiterten Außenpolitik der Obama-Ära zurückkehren. Wir müssen zudem hoffen, dass er seine technokratische und gefühlsmäßige Opposition gegen den Brexit überwindet: Großbritannien verlässt die EU, daran ist nicht mehr zu rütteln."
"t-online", Deutschland: "Der Schaden ist angerichtet. Joe Biden wird die Lage zwar kaum weiter eskalieren lassen, sondern eher für ein besseres transatlantisches Klima sorgen. Aber er kann auch nicht so tun, als habe es Trump nie gegeben. Dafür war der Rückhalt für den Noch-Präsidenten trotz seiner atemberaubenden Amtszeit bei der Wahl zu groß. Und wer will schon vorhersagen, wen die Amerikaner 2024 wählen?"
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"Washington Post", USA: "Die Schwere des Amtes lastete auf Joe Biden, lange bevor er zum Präsidenten gewählt wurde. Jetzt, da der Titel ihm gehört, ist der Umfang der Arbeit vor ihm fast unvorstellbar. Aber der Ruhm dieses Tages, dieses Augenblicks, ist nicht so sehr das, was Biden angenommen hat, sondern das, was er so vielen in diesem Land erlaubt hat."
"New York Times", USA: "Joe Biden setzte sich als nüchterne und konventionelle Präsenz für die "Seele des Landes" ein. Er beurteilte den Charakter des Landes richtig und profitierte von den Fehltritten von Präsident Trump."
"De Standaard", Belgien: "Die Präsidentschaft von Donald Trump war eine journalistische Herausforderung. Abgesehen von seinem (...) Nativismus und seiner Frauenfeindlichkeit glänzte er mit alternativen Fakten und Anschuldigungen. (...) Biden erbt ein tief gespaltenes Land mit zersplitterten Machtverhältnissen. Die Demokraten besetzen das Weiße Haus und das Repräsentantenhaus, die Republikaner dominieren den Senat und in gewisser Weise auch den Obersten Gerichtshof. Diese Gegensätze könnten zu einer neuen Pattsituation führen. Und das trotz der ungemein großen Herausforderungen. Diese mögliche Handlungsunfähigkeit breitet den Nährboden für Trumps geistige Trittbrettfahrer."
"Tages-Anzeiger", Schweiz: "Wohl niemand in Amerika glaubt, dass Bidens Sieg alleine die gewaltigen Probleme des Landes löst. Die Wunden, in denen Trump seit seiner Wahl herumgestochert hat, waren schon vor ihm da: die Spaltung des Landes, das Misstrauen, das sich seine Bewohner gegenseitig entgegenbringen, das Gefühl, dass sich die wichtigsten Institutionen – Politik, Wirtschaft, Medien – von großen Teilen der Bevölkerung entfernt haben."
Auch viele internationale Gratulanten aus der Politik haben am Wochenende ihre Glückwünsche ausdrücklich an den gewählten US-Präsidenten Joe Biden und die mit ihm gewählte Vizepräsidentin Kamala Harris als Team gerichtet. So auch Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU): "Ich wünsche ihm von Herzen Glück und Erfolg und gratuliere ebenso Kamala Harris, der gewählten ersten Vizepräsidentin ihres Landes", schrieb sie am Samstag.
- Nachrichtenagentur dpa
- Eigene Recherche