Egal, wie die Wahl ausgeht In Chicago wird bald eine schwarze Frau regieren
Kriminalität, Vetternwirtschaft und Rassismus: Die US-Metropole Chicago steckt voller Probleme. Sie zu lösen, wird künftig die Aufgabe der ersten schwarzen Bürgermeisterin sein. Zwei Frauen kämpfen um das Amt.
Rund ein Drittel der 2,6 Millionen Einwohner Chicagos sind Schwarze. Und ungefähr die Hälfte sind Frauen. Doch seit 40 Jahren hat es keine Frau mehr auf den Bürgermeistersessel der Metropole am Michigan-See geschafft, eine schwarze Frau noch nie. Von diesem Dienstag an wird das anders sein.
Um die Nachfolge des höchst umstrittenen Obama-Getreuen Rahm Emanuel kämpfen zwei Afroamerikanerinnen: Lori Lightfoot (56), eine Juristin und Aktivistin gegen Polizeigewalt tritt gegen die bekanntere und stärker im Establishment der Stadt und der Demokratischen Partei verankerte Toni Preckwinkle (72) an. Preckwinkle ist eine frühere Unterstützerin des in Chicago groß gewordenen Barack Obama, die aber später von dem Ex-Präsidenten etwas abrückte.
Probleme mit kriminellen Gangs
In Chicago brodelt es: In den sozial schwachen und vor allem von Schwarzen bewohnten Gegenden im Süden und Westen der Stadt ist das gesellschaftliche Gefüge in Unordnung geraten. Kriminelle Gangs schrecken vor nichts zurück und greifen eiskalt zur Schusswaffe, wenn es gilt, Kleinkriege um Drogen und Waffen auszufechten.
Die Polizei reagiert in der Stadt, in der einst Al Capone den Untergrund regierte, mit roher Gewalt, wie ihr ein Untersuchungsbericht des US-Justizministeriums 2017 attestierte – vor allem gegen Schwarze, und zum Teil auch mit Willkür. Der Fall des schwarzen Teenagers Laquan McDonald, der 2015 von einem weißen Polizisten hinterrücks erschossen wurde, rüttelte die Stadt durch.
Der Schein trügt
Die Polizei vertuschte die Tat lange, selbst ein öffentlich gemachtes Video, das auf erschreckend eindrucksvolle Weise die Schüsse in den Rücken des Jungen zeigte und monatelange Massenproteste auslöste, führte nicht unmittelbar zur Anklage des Polizisten. Erst im Januar 2019 wurde der Polizist wegen Totschlags zu 6,75 Jahren Haft verurteilt. Drei seiner Kollegen, der Vertuschung beschuldigt, wurden freigesprochen.
Der Tod des 17 Jahre alten Jungen ist nur das prominenteste Beispiel für die Probleme der Stadt. Aktivisten in Chicago beschuldigen die Stadtspitze um Noch-Bürgermeister und Ex-Obama Stabschef Rahm Emanuel, eine glitzernde Fassade nach außen zu bauen – mit Wolkenkratzern und schönen Art-Deco-Häusern an der Küste des Michigan-Sees, Hightech-Jobs in den Bürotürmen für die gut Gebildeten und einem Wohlfühl-Image, das Touristen in die "Windy City" spült. An den Rändern, mit Armut und Kriminalität, Drogenproblemen und fehlender Bildung, sieht es anders aus. Die Menschen in diesen Vierteln fühlen sich allein gelassen, vernachlässigt.
"Politische Maschinerie ist nicht tot"
Die beiden Kandidatinnen haben große Probleme, ihre Wähler zu überzeugen, dass ausgerechnet sie die Richtigen sind, das Debakel zu beheben. Tori Lightfoot, in den Umfragen deutlich vorn, und Siegerin eines Feldes von 14 Bewerbern im ersten Wahlgang, hat als Anwältin Fälle bearbeitet, bei denen sie nicht gerade als Advokatin des Volkes in Erscheinung trat. Ihre Anwaltskanzlei vertritt etwa große Tabakkonzerne und als von Emanuel ernannte Chefin eines Gremiums zur Polizeiaufsicht hat sie nach Meinung vieler nicht ausreichend durchgegriffen.
"Die politische Maschinerie ist nicht tot", sagt der Chicagoer Pfarrer und Aktivist Greg Livingston. "Keine der Kandidatinnen ist eine echte Reformerin." Ausgerechnet im Wahlkampf zweier schwarzer Frauen ist Rassismus für ihn das eigentliche Problem, das es zu lösen gilt. Zwischen den Vierteln mit afroamerikanischer Bevölkerung und den von Weißen bewohnten Gegenden seien die Ressourcen nicht gerecht verteilt. Livingston macht in Chicago ein "Vermächtnis unkontrollierter Gier" aus – und dessen Wurzel sei Rassismus.
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In den letzten Tagen des Wahlkampfes geht es hoch her in Chicago. Die beiden Frauen nehmen kein Blatt vor den Mund. Angeheizt von Preckwinkle, halten Wähler Lightfoot vor, sie habe einen Polizisten nicht zur Verantwortung gezogen, der vor sieben Jahren einen Schwarzen erschossen hat, wie die "Chicago Tribune" berichtet. Lightfoot reagierte dem Bericht zufolge harsch und hält die Vorwürfe für Lügen. Der schwarze Bürgerrechtler Jesse Jackson sieht inzwischen Bedarf zum Eingreifen. Er überzeugte die beiden Frauen, einen Vertrag zu unterschreiben, der unter anderem eine Versöhnungspressekonferenz am Tag nach der Wahl vorsieht.
- Nachrichtenagentur dpa