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Kolumne: Sitten unter Donald Trump – Ein professioneller Lügenbold


Meinung
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Sitten und Gebräuche unter Trump
Ein professioneller Lügenbold

MeinungEine Kolumne von Gerhard Spörl

Aktualisiert am 13.09.2018Lesedauer: 7 Min.
Donald Trump: Ein neues Enthüllungsbuch über die Trump-Regierung sorgt in Amerika für Aufregung.Vergrößern des Bildes
Donald Trump: Ein neues Enthüllungsbuch über die Trump-Regierung sorgt in Amerika für Aufregung. (Quelle: Carlos Barria/reuters)

Bob Woodward ist der Geschichtsschreiber amerikanischer Präsidenten. Er beschreibt Donald Trump als einen Menschen, der jeden in seiner Nähe schlecht macht, nur seiner Intuition vertraut und Angst vor einem Impeachment hat.

Eines Tages beichtet ihm ein Freund, dass er sich gegenüber Frauen schlecht benommen hat. Die #metoo-Bewegung steht am Anfang und Donald Trump ist nachweislich ein Experte für den Umgang mit Frauen. Was soll ich tun?, fragt der Freund den Präsidenten und der antwortet: Zeig bloß keine Schwäche. Lass dich nicht herumschubsen. Stärke ist alles. Du musst immer stark bleiben. Du musst leugnen, leugnen, leugnen und dann schlag gegen diese Frauen zurück. Wenn du auch nur irgendetwas zugibst und Schuld eingestehst, bist du tot. Sei aggressiv, gesteh nichts ein.

Er hätte auch sagen können: mach’s wie ich, der Star, der jeder Frau zwischen die Beine greifen darf, und schau, wo ich bin – im Weißen Haus.

Auf dem G-20-Gipfel in Hamburg im Juli 2017 nimmt ihn der australische Premierminister Malcolm Turnbull beiseite. Trump will hohe Zölle auf Stahl und Aluminium erheben, um eine schreiende Ungerechtigkeit auszugleichen: das amerikanische Handelsdefizit, das sich durch die Böswilligkeit der anderen Länder aufgetürmt hat, wie er wieder und wieder behauptet. Turnbull argumentiert, Australien produziere Spezialstahl und deshalb dürfe der Export nicht erschwert werden. Trump sagt okay.

Kurz darauf kommt Turnbull zum Staatsbesuch nach Washington. Der Wirtschaftsberater Gary Cohn erinnert Trump an sein Versprechen. "Ich werde es leugnen. Dieses Gespräch habe ich nie mit ihm geführt." Cohn ist sprachlos. "Er ist ein professioneller Lügenbold," sagt er zu einem Mitarbeiter.

"Fear: Trump in the White House"

Diese Erzählungen sind dem neuen Buch "Fear: Trump in the White House" von Bob Woodward entnommen, das seit Dienstag auf dem Markt ist und in Amerika für Aufregung sorgt. Woodward ist ein seriöser Autor, der seit der Aufdeckung der Watergate-Affäre, die zu Richard Nixons Rücktritt führte, weltberühmt ist. Seither hat er viele Bücher über viele Präsidenten geschrieben. Auch diesmal hat er jede Menge Interviews geführt und schreibt ohne Tamtam auf, was ihm seine Gewährsleute gesagt haben und wie es im Weißen Haus zugeht.

Woodward konzentriert sich auf die wichtigsten Ereignisse und erzählt chronologisch vom Wahlsieg bis heute. Er widmet sich den Auseinandersetzungen um Nordkorea und Syrien, um die Nato und China, um den Ausstieg aus dem Pariser Umweltabkommen und den Handelskrieg. Davon erzählt er ausführlich und fair. Natürlich schlägt sein Herz mit den Erwachsenen im Weißen Haus, aber er behandelt auch die Trump-Instinkt-Verstärker differenziert. Ihm geht es, pathetisch gesagt, um das Land, denn letztlich ist Bob Woodward ein Patriot, der sich Sorgen macht.

Darin liegt der Unterschied zu "Fire and Fury: Inside the Trump White House", dem Buch von Michael Wolff, das vor knapp einem Jahr herauskam. Wolff nahm die Kammerdiener-Perspektive ein, ihm ging es ums Menschliche – wer Trump wann einen verdammten Idioten nannte, wie viele Stunden er täglich telefonierte und was für ein Chaos er um sich verbreitete.

Wenig überraschend nennt Trump Woodwards Buch "Schund" und tweetet, er rede nicht so, wie ihn Woodward zitiere. Der Präsident bezieht sich auf eines der Interviews, das er ihm gab. Woodward hat es aber auf Band aufgenommen, mit seiner Einwilligung. Pech gehabt.

Gary Cohn ist Woodwards Kronzeuge

Seltsamerweise war Trump eine ganze Zeit lang obsessiv mit Südkorea beschäftigt. Das Handelsdefizit, immer wieder das Handelsdefizit, 18,5 Milliarden Dollar. Er sagt, wir sollten das Handelsabkommen kündigen. Er droht damit, die 28.500 Soldaten abzuziehen: auch zu teuer, pro Jahr 3,5 Milliarden Dollar. Er verlangt, dass die Verbündeten die Kosten für ein Abwehrsystem gegen ballistische Raketen übernehmen. Er fragt: Warum sind wir dort? Er sagt, wir sollten raus.

Seine Ratgeber reden auf ihn ein wie auf einen lahmenden Gaul. Südkorea ist wichtig, eine stabile Demokratie, ein ökonomisches Erfolgsmodell, im vorteilhaften Kontrast zu Nordkorea, dem kommunistisches Hungerland mit Atomarsenal. Warum also behandelt er den südkoreanischen Premier am Telefon wie ein Stück Scheiße, während er zugleich Kim Jong Un Respekt erweist und Wladimir Putin peinlich umwirbt?

Gary Cohn erklärt ihm geduldig, dass dieses Handelsdefizit kein großes Problem darstellt. Denn wenn die Amerikaner billige Produkte aus Asien kaufen, bleibt ihnen mehr Kaufkraft für andere Produkte daheim, für Autos, Konsum, Altersvorsorge. Cohn führt nicht weniger geduldig an, dass 84 Prozent des amerikanischen Bruttoinlandsprodukts mit Dienstleistungen erwirtschaftet werden. Wir haben schon noch produzierendes Gewerbe, gewiß, sagt Cohn, aber die Uhr lässt sich nicht zurückdrehen, nicht in den Bergbauunternehmen und nicht in der Stahlindustrie.

Dann fragt er: "Warum haben Sie diese Ansichten?" Und Trump antwortet: "Ich hab’ sie einfach. Ich hab’ sie seit dreißig Jahren."

Für Woodward ist der kluge Ökonom Cohn offensichtlich ein Kronzeuge. Ein anderer ist Rob Porter, er war Stabssekretär, das ist eine harmlose Bezeichnung für einen mächtigen Posten. Über seinen Schreibtisch ging alles Schriftliche, das ins Oval Office hinein sollte, und alles Schriftliche, das von dort heraus kam.

Trump hält sich offenbar nicht an Abmachungen mit seinen Beratern

Trump entscheidet oft schnell nach einem Gespräch mit jemandem, den er mag. Nein, so geht das nicht, sagte ihm Porter, eine Entscheidung nach einem mündlichen Briefing ist nicht verbindlich. Dafür bedarf es eines formalen Entscheidungsmemorandums, das Sie unterzeichnen müssen. Es muss nicht lange sein, ich begrenze es auf eine Seite und den eventuellen Anhang können Sie ignorieren. Manchmal müssen Sie aber zuerst ein Meeting einberufen, mit fünf oder sechs Ratgebern.

Okay, sagte Trump. Und hielt sich natürlich nicht daran. Auf mich kommt es an, sagt er jedem, der sich auf den bürokratischen Prozess oder die hierarchische Abfolge berief. Auf mich, Donald Trump, und sonst niemanden.

Porter und Cohn behalfen sich anderweitig. Sie verschleppten Memos und verzögerten Briefentwürfe, die sie für schädlich hielten. Sie verließen sich auf Trumps Vergesslichkeit und wechselnde Obsessionen. Cohn ging sogar so weit und stahl ein Schriftstück vom Schreibtisch im Oval Office. Erstaunlich, dass er davon erzählt. Dafür könnte er ins Gefängnis kommen. So sind sie, die Sitten und Gebräuche, die Trump einreißen ließ.

Trumps Macht entsteht aus zwei Quellen

Die Macht in diesem Orbit an der Pennsylvania Avenue entsteht aus zwei Quellen: indem der Präsident, erstens, jeden gegen jeden ausspielt und jeden vor allen anderen schlecht macht und das in Vulgärtiraden – du bist schlecht, du bist schwach, du bist eine Niete, wie konnte ich dich überhaupt zum Außenminister/Nationalen Sicherheitsberater/Stabschef machen.

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Kein Wunder, dass die Verweildauer in seiner Nähe eher kurz ausfällt. Wer was auf sich hält, wie Gary Cohn, ist weg, da sich der Präsident als beratungsresistent und bösartig erweist. Rob Porter ist auch weg, zwei Ex-Frauen beschuldigten ihn häuslicher Gewalt, da war er nicht mehr tragbar.

Die zweite Quelle ist Angst. Angst ist die Freude der Mächtigen. Angst entsteht durch Machtgefälle. Angst ist der Schwefelgeruch der Macht. Daher lautet Woodwards Titel auch "Fear" und er stellt das passende Zitat aus einem Interview mit Trump voran: "Wahre Macht ist – ich möchte das Wort am liebsten gar nicht in den Mund nehmen – Angst."

Immer kommt es auf ihn an, den Starken, den Macho, den Terminator, dem die Angst der anderen ein Lebenselixier schenkt. Nie kommt es auf eine Sache an, nie auf Komplexes, nie auf Verbündete oder historische gewachsene Verpflichtungen. Immer nur auf Donald J. Trump, den Größten, das Genie, der seine besten und klügsten Ratgeber wie den letzten Dreck behandelt und ihren Ratschlag so gut wie nie befolgt, weil seine Intuition klüger ist als die langen Memos dieser Absolventen aus Harvard/Yale/Stanford.

"First Daughter" nimmt Einfluss auf Trumps Entscheidungen

Überraschenderweise kommen bei Woodward zwei Personen gut weg, die sonst selten gut wegkommen: Jared Kushner, der Schwiegersohn, und Ivanka Trump, die Tochter. Trump nennt sie wegwerfend typische New Yorker Demokraten, von Liberalität angekränkelt. Die beiden versuchen, mit ihrem Einfluss Schlimmeres zu verhüten. Ivanka, die sich selbst "First Daughter" nennt, ist es auch, die ihren Vater dazu treibt, auf den Giftangriff in Syrien entschieden zu antworten.

Sie zeigt ihm Fotos von sterbenden Kindern, von toten Menschen. Ein Horror. Ein Kriegsverbrechen. Trump tobt und will Bashar al-Assad töten. Davon bringen ihn seine Ratgeber ab. Dann unterbreiten sie drei Optionen: Angriff mit 200 oder 60 oder ganz wenigen Raketen auf syrische Flugplätze. Eine Liste mit Zielen aus Obamas Zeiten liegt vor, sie schließt den Angriff auf einen Gebäudekomplex ein, in dem chemische Waffen lagern. Die Generäle nehmen ihn von der Liste, sie wollen kein Risiko eingehen.

Der Angriff mit 60 Tomahawk-Raketen erfolgte morgens um 4.40 Uhr syrischer Zeit; damit war sichergestellt, dass auf dem Flugplatz kaum jemand die Maschinen wartete. Eine Viertelstunde vorher erging eine Warnung an die Russen auf dem Gelände. 59 Raketen trafen ihre Ziele, eine fiel ins Mittelmeer. Es war in aller Vorsicht eine Alibiaktion, für die der Präsident hohes Lob erntete, auch von einigen Verächtern wie John McCain. Seine Ratgeber befürchteten schon, er werde noch einen Angriff befehlen, weil es so schön war.

Russland-Ermittlungen machen dem US-Präsidenten zu schaffen

Großen Raum nimmt in Woodwards Buch die Angst ein, die Robert Mueller verbreitet, der Sonderermittler mit umfassenden Vollmachten. Der Präsident gerät außer sich, er sucht fieberhaft nach Möglichkeiten, gut auszusehen, die Medien kennen kein anderes Thema. Er ist in der Defensive und Defensive ist Schwäche. Er beschließt, er wird vor Mueller aussagen, weil er glaubt, er sei persönlich überzeugend wie niemand sonst und jeder Vorwurf wird sich in Luft auflösen.

Seine Anwälte raten ihm mit allen Anzeichen des Entsetzens ab. Es geht nicht um Konspiration mit Russland im Wahlkampf, sagen sie, es geht um Meineid, und da Trump ausspricht, was ihm einfällt, und er nicht wie Bill Clinton im Verhör diszipliniert die Wahrheit beugt, liegt Impeachment in der Luft, Anklage auf Amtsenthebung.

Trump fluchte auf Twitter über die "Hexenjagd", wütete über das FBI und seinen Justizminister, er sah sich umstellt von Pflaumen und Nieten, er verpflichtete neue Anwälte. Seine Ratgeber waren ratlos, dann schickten sie ihn zu einem Auftritt bei den Gläubigen der Trump-Revolution. Er machte es. Er leugnete jede Missetat und ging zum Gegenangriff über. Auf die Medien. Das FBI. Auf die Demokraten. Auf Washington. Er verhielt sich so, wie er sich immer verhält. Stärke zeigen. Zuversicht zeigen. Alles abstreiten. Sie können mir nichts anhaben. Ich bin der Präsident.

Sie können dem Präsidenten was anhaben. Der Schwefelgeruch der Angst hängt an ihm. Wer Angst hat, der macht Fehler. Und der größte Fehler ist die Unfähigkeit, zwischen Lüge und Wahrheit zu unterscheiden.

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