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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Die Angst geht um in Washington Warnung vor Milliardär-Machtergreifung
Ein Milliardär, ein Präsident und eine radikale Umgestaltung der USA – ist das noch Demokratie oder schon eine Art Staatsstreich? Die Gerichte scheinen jedenfalls die letzte Hoffnung der Opposition zu sein.
Bastian Brauns berichtet aus Washington
Mit jedem weiteren Tag, an dem Donald Trump im Amt ist, zieht in der US-Hauptstadt ein bedrohliches Wort seine Kreise: Machtergreifung. Einer, der es in den vergangenen Stunden besonders häufig ausgesprochen hat, ist Chris Murphy. Der Senator aus Connecticut ist derzeit einer der Demokraten, die sich mit aller Kraft gegen die Lawine stellen, die derzeit durch Washington rollt. Nach zahlreichen Fernsehinterviews und stundenlangen Reden im Kongress ist seine Stimme heiser. Wach hält er sich nach schlaflosen Nächten mit Red Bull aus der Dose.
"Wir haben immer noch die Macht, diese Machtergreifung der Milliardäre zu stoppen", schrieb Murphy auf seinem Social-Media-Profil bei X. Aber die Demokraten müssten jetzt endlich so handeln, als würde die Demokratie zerbrechen, so der Senator. "Denn das tut sie tatsächlich."
Die vermeintlichen Reformen
Seit Donald Trump ins Weiße Haus zurückgekehrt ist und der Multimilliardär Elon Musk zunehmend Einfluss nimmt, ist tatsächlich eine radikale, historisch bislang nie dagewesene Umstrukturierung des amerikanischen Regierungssystems im Gange. Unter dem Deckmantel, den sogenannten "Deep State" mit Reformen zu verkleinern, wollen Musk und seine Verbündeten in Wahrheit Hunderttausende von Verwaltungsangestellten in dutzenden Behörden durch ein eigenes Netzwerk von Loyalisten ersetzen. Längst bewilligte Gelder werden rechtswidrig kurzerhand einfach blockiert. Bislang unabhängige Behörden werden plötzlich Regierungsministerien zugeordnet.
Jüngstes Beispiel für den Umbau des Staatsapparates: Allen Mitarbeitern des amerikanischen Geheimdienstes CIA wurde nahegelegt, die mächtige Behörde zu verlassen. So wie ihnen geht es fast allen rund zwei Millionen Behörden- und Ministerialmitarbeitern in Washington. Am Donnerstag endet in der US-Hauptstadt eine Frist, bis zu der sie sich entschieden haben müssen, ein Abfindungsangebot zu akzeptieren. Ein Bundesrichter konnte das Ultimatum nun vorerst zwar stoppen. Zehntausende Regierungsangestellte sollen das Rücktrittsangebot der Trump-Regierung aber bereits angenommen haben.
Einer Unterlassungsklage gegen das Justizministerium (DOJ) ist zu entnehmen, dass Beamte der größten US-Strafverfolgungsbehörde FBI massenhaft aufgefordert wurden, einen Fragebogen auszufüllen, um zu ergründen, inwiefern sie bei Ermittlungen zum Sturm auf das Kapitol am 6. Januar 2021 beteiligt gewesen waren. Ziel dieser Abfrage dürfte auch hier die Entlassung der betroffenen Beamten sein.
Die Gerichte sind die letzte Verteidigungslinie
Für jene, die sich dieser befürchteten Machtergreifung widersetzen wollen, gibt es nur wenige Optionen. Denn die Demokraten haben nicht genügend Stimmen im Kongress, um wirksame gesetzgeberische Gegenoffensiven zu starten. Öffentliche Proteste auf den Straßen nehmen in mehreren US-Städten zwar zu, ihre Wirkung ist jedoch derzeit ungewiss. Immer mehr stellt sich deshalb heraus, dass derzeit die amerikanischen Gerichte die wichtigste – und möglicherweise einzige – Verteidigungslinie gegen diesen von langer Hand geplanten Staatsumbau sind.
Schon jetzt wurden mehr als 35 Klagen gegen Trumps Dekrete, die sogenannten Executive Orders eingereicht, mit denen es dem US-Präsidenten möglich ist, am Kongress vorbei neue Fakten zu schaffen. Viele von ihnen richten sich direkt gegen Elon Musks "Department of Government Efficiency" (DOGE). Es ist jenes inoffizielle neue Ministerium, das eigentlich nur beratende Funktion haben soll. Die Macht von Musk und seinen Mitarbeitern im DOGE über den gesamten öffentlichen Dienst, das amerikanische Finanzsystem und sogar die digitale Infrastruktur der USA ist aber inzwischen so weitreichend, dass Senatoren, Kongressabgeordnete und Staatsanwälte alarmiert sind.
Die berühmten amerikanischen "Checks and Balances", also die gegenseitige Kontrolle der verschiedenen Verfassungsorgane zur Aufrechterhaltung staatlicher Gewaltenteilung, stehen vor ihrer wohl herausforderndsten Aufgabe. In den kommenden Monaten muss sich zeigen: Kann das US-Justizsystem den privat organisierten, technokratischen Staatsstreich von Elon Musk, der nie gewählt wurde, noch aufhalten?
Folgende Schlachtfelder kristallisieren sich in diesem Wettlauf gegen die Zeit und den Demokratie-Abbau heraus.
1. Die Säuberung im öffentlichen Dienst
Viele alarmiert, wie die Kontrolle über das sogenannte "Office of Personnel Management" (OPM) vonstatten geht. Das ist eine Behörde, die für das Personalwesen der Bundesregierung zuständig ist. Hier richtet sich inzwischen eine Klage der Gewerkschaft "National Treasury Employees Union" gegen Donald Trumps Dekret mit dem Namen "Schedule F". Mit ihr sollen die Massenentlassungen von Beamten ermöglicht werden.
Die Folge: Bereits jetzt häufen sich Berichte, die nahelegen, dass zahlreiche erfahrene Bundesangestellte durch junge, unqualifizierte Mitarbeiter aus Musks Privatunternehmen und seinem ideologischen Umfeld ersetzt wurden. Sie haben nun Zugriff auf sensibelste persönliche und staatliche Daten. Interne Dokumente zeigen, dass einige dieser neuen Mitarbeiter für ihre Tätigkeiten nicht einmal die eigentlich erforderlichen Sicherheitsüberprüfungen durchlaufen haben. Berichten zufolge sollen Musks Helfer die sensiblen Daten längst durch spezielle Programme mithilfe von künstlicher Intelligenz laufen lassen, um daraus ihre Schlüsse zu ziehen.
2. Übernahme des Finanzministeriums
Auch wie Musk schleichend die amerikanische Finanzinfrastruktur übernimmt, verfolgen viele mit Sorge. Hierzu ist derzeit eine Klage der Verbraucherschutzorganisation Public Citizen Inc. anhängig. Sie wendet sich dagegen, dass DOGE-Mitarbeiter mittlerweile direkten Lese- und Schreibzugriff auf die Zahlungssysteme des Finanzministeriums haben. Dadurch können sie Regierungstransaktionen manipulieren, Gelder einfrieren oder Zahlungen umleiten.
Die Folge: Musk und sein Team sind theoretisch in der Lage, nicht nur Zugriff auf Daten wie Sozialleistungen, Militärgehälter und Gesundheitszahlungen von Millionen Menschen zu bekommen, sondern diese auch zu beeinflussen – alles ohne jegliche demokratische Kontrolle. Schon jetzt ist die Gefahr immens, dass Daten einfach abfließen und niemand weiß, wofür sie verwendet werden könnten. Ein Milliardär mit massiven finanziellen Eigeninteressen und dementsprechenden Interessenkonflikten hat derzeit die Kontrolle über das föderale Finanzsystem.
Im Zuge dieser Vorgänge wurde unter anderem der Rücktritt von David Lebryk, einem hochrangigen Beamten des Finanzministeriums, erzwungen. Er hatte sich Musks Bestrebungen widersetzt.
3. DOGE und die Privatisierung des Staates
Gegen die umstrittene Quasi-Behörde DOGE gibt es darüber hinaus zahlreiche weitere Klagen. Sie alle beschäftigen sich mit der intransparenten Personalpolitik, dem Fehlen von demokratischer Kontrolle und den extrem weitreichenden Befugnissen dieser vorgeblichen Entbürokratisierungs-Behörde.
So argumentiert etwa die Klage der "Alliance for Retired Americans" gegen das Finanzministerium, dass DOGE bei der Finanzaufsicht gegen Transparenzgesetze der Regierung verstößt. Eine weitere Klage der Gewerkschaft "The American Federation of Labor and Congress of Industrial Organizations" (AFL-CIO) gegen das Arbeitsministerium will verhindern, dass DOGE in Arbeitsmarktregulierungen eingreift. Hinzu kommt eine Klage der Gewerkschaft der "Federal Employees", wonach Musk und sein Team wohl die Bundesgesetze zur Einstellung von Beamten umgangen haben, als sie politisch loyale Personen in mächtige Regierungspositionen hievten.
4. Weitere Klagen
Neben der Umstrukturierung des Regierungsapparats und der Kontrolle des Finanzwesens, hat Trump auch radikale Maßnahmen gegen Migranten angeordnet. 22 US-Bundesstaaten haben darum inzwischen Klage gegen seine Executive Order eingereicht, welche die sogenannte "Birthright Citizenship", also das Geburtsrecht auf die US-Staatsbürgerschaft abschaffen soll. Diese Klage der Bundesstaaten stützt sich auf den 14. Verfassungszusatz, der das Recht auf Staatsbürgerschaft für alle in den USA Geborenen garantiert. Trumps Team will erreichen, dass diese Verfassungsregel nicht mehr für die Kinder illegaler Einwanderer gilt.
Auch Trumps neue Abschiebemaßnahmen werden vor mehreren Gerichten angefochten, darunter die schnellen Deportationen, die ohne geregelte Gerichtsverfahren möglich sein sollen. Klagen dazu haben Menschenrechtsorganisationen eingereicht. Hinzu kommen Klagen von zahlreichen Betroffenen, die gegen Diskriminierung, etwa wegen der Anti-Transgender-Gesetze klagen.
Wettlauf gegen die Zeit
Trotz der wachsenden Zahl an Klagen ist unklar, ob das US-Justizsystem allein in der Lage sein wird, die stattfindende Umstrukturierung nachhaltig zu stoppen. Denn es gibt mehrere große Hindernisse:
1. Die konservative Mehrheit im Supreme Court: Mit ihrer 6:3-Mehrheit könnten wichtige Urteile in höchster Instanz zugunsten von Trump und Musk ausfallen.
2. Langwierige Gerichtsverfahren: Selbst, wenn Klagen Erfolg haben, können sich Verfahren über Monate oder Jahre hinziehen. Währenddessen wachsen Trumps und Musks Macht weiter. Sensible Daten wären bis dahin längst in seiner Hand.
3. Trumps Missachtung der Justiz: Schon in der Vergangenheit hat Trump Gerichtsentscheidungen einfach ignoriert. Ziel dieser Strategie ist auch hier, Zeit zu gewinnen. Sollte er dies erneut tun, stellt sich die Frage: Wer zwingt ihn zur Einhaltung der Urteile? Erneute Verfahren wären notwendig.
In Washington ist darum ein Wettlauf gegen die Zeit angebrochen. Politiker wie Chris Murphy aber auch Experten und Organisationen in Washington sind sich sicher: Was dort gerade geschieht, ist mehr als nur eine politische Krise. Zunehmend wächst sich das zu einer Verfassungskrise aus. Denn sowohl Donald Trump als Präsident als auch der reichste Mann der Welt überschreiten planmäßig ihre Kompetenzen und hebeln die traditionellen Kontrollinstanzen aus.
Das gelinge, weil sie nicht nur den Kongress und die Medien, sondern auch die Gerichte mit ihren vielen Maßnahmen überfrachten und an ihre kapazitären Grenzen bringen. Misslingt die Eindämmung ihrer Pläne, sind sich Chris Murphy und seine Mitstreiter sicher: Dann würden die USA tatsächlich Opfer einer Machtergreifung.
- Eigene Recherchen