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USA: Kongress wendet Shutdown ab – Ergebnis bedroht Hilfen für die Ukraine


Mitternachtsdrama in Washington
Ein Weckruf für die Ukraine und alle Verbündeten


Aktualisiert am 01.10.2023Lesedauer: 6 Min.
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In der Krise in die Kirche: Während der US-Kongress um das Schicksal der Ukraine dealte, besuchte Joe Biden einen Gottesdienst.Vergrößern des Bildes
In der Krise in die Kirche: Während der US-Kongress um das Schicksal der Ukraine dealte, besuchte Joe Biden einen Gottesdienst. (Quelle: IMAGO/Pool/ABACA)

In einer dramatischen Wende hat der US-Kongress einen Regierungsstillstand abgewendet. Das Ergebnis aber bringt die Ukraine in Gefahr und setzt Deutschland unter Zugzwang.

Bastian Brauns berichtet aus Washington

Kurz vor Mitternacht gab es in Washington zwei Gewissheiten: Der "Government Shutdown", also die Stilllegung der Bundesverwaltung, ist für die kommenden 45 Tage abgewendet. Die Ukraine bekommt in ihrem Überlebenskampf gegen Russland jedoch vorerst keine milliardenschweren Finanzhilfen mehr.

Das ist das Ergebnis einer Vereinbarung, die Republikaner und Demokraten mit einer überwältigenden Mehrheit in beiden Kammern des US-Kongresses eingegangen sind. Im Repräsentantenhaus stimmten 335 Abgeordnete für den 45 Tage gültigen Übergangshaushalt, 91 dagegen. Der Senat verabschiedete das Vorhaben schließlich mit 88 zu 9 Stimmen. Dem US-Präsidenten Joe Biden blieb kaum anderes übrig, als das Gesetz noch vor Mitternacht zu unterzeichnen.

Weckruf für den Rest der Welt

Die Alarmglocken dürften damit von Washington über Berlin bis nach Kiew schrillen. Und auch in Moskau und Peking wird man das amerikanische Geschehen mit Interesse verfolgen. Denn mit einem Mal wird Realität, wovor seit Monaten gewarnt worden war: Die USA könnten als wichtigster militärischer und finanzieller Unterstützer der Allianz für die Ukraine und gegen Russland über Nacht ausfallen. Das Land, das sich seit inzwischen 19 Monaten gegen einen völkerrechtswidrigen Vernichtungskrieg wehrt, wird damit endgültig zum Opfer der amerikanischen Innenpolitik.

Als der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj vergangene Woche als Gast vor den US-Senatoren sprach, machte er sein Anliegen überdeutlich: "Wenn wir die Hilfen nicht erhalten, dann werden wir den Krieg verlieren", flehte er laut dem demokratischen Mehrheitsführer im Senat, Chuck Schumer. Nach der erfolgten Abstimmung sagte ausgerechnet Schumer: "Das ist eine sehr gute Nacht. Die Bundesbehörden bleiben offen. Wir haben es geschafft."

Wie konnte das geschehen und was bedeutet diese dramatische Wende für die Ukraine, aber auch für Deutschland und die übrigen Verbündeten?

Erpressungspotenzial im Kongress

Das demokratische System der USA macht es derzeit möglich, dass eine kleine Gruppe von rund 20 radikalen Republikanern eine Verabschiedung des Haushalts und damit nicht nur die Ukraine-Hilfen, sondern jegliche Finanzierung für die Arbeit der Biden-Regierung blockieren kann. Die Republikaner haben im Repräsentantenhaus nur eine hauchdünne Mehrheit. Und das bedeutet, dass der Sprecher Kevin McCarthy andauernd in Gefahr ist, von den eigenen Leuten gestürzt zu werden, wenn er ihren Willen nicht erfüllt.

Die Demokraten hatten das vorgesehene Geld für die Ukraine stets in das zur Abstimmung gestellte Haushaltspaket geschrieben. Das heißt: Repräsentantenhaus und Senat haben bislang nicht gesondert über die Ukraine-Hilfen abgestimmt, sondern schlicht den gesamten Haushalt verabschiedet. Dieses Mal aber ist dieses Manöver nicht gelungen. Kevin McCarthy wollte wegen des Drucks in seiner Fraktion dem Haushalt nicht zustimmen und hätte eher den besagten Government Shutdown riskiert.

Das wiederum hätte bedeutet, dass Millionen von Amerikanern, die für die Bundesbehörden überall im Land arbeiten, kein Gehalt mehr ausbezahlt bekommen hätten. Ein unabsehbar langer Streit wäre darüber entbrannt, wer die politische Verantwortung dafür trägt. Ein Jahr vor den nächsten Präsidentschaftswahlen ist eine solche Diskussion ein heikles Pokerspiel, bei dem sowohl Republikaner als auch Demokraten empfindlich an Zustimmung verlieren könnten.

Ein letzter Schachzug von Kevin McCarthy

Schließlich legte Kevin McCarthy vergangene Nacht kurz vor knapp einen Gesetzentwurf für einen 45-tägigen Übergangshaushalt vor, bei dem die Finanzhilfen für die Ukraine herausgestrichen wurden. Damit brachte er zwar nicht die Radikalen in seiner Fraktion auf seine Seite, damit konnte er aber die Demokraten politisch erpressen.

Hätten sie mit ihren Stimmen McCarthys Kompromiss-Haushaltsentwurf im Repräsentantenhaus oder im Senat scheitern lassen, wäre es um Mitternacht zum Government Shutdown gekommen. Die Demokraten hätten plötzlich als Blockierer dagestanden, die das Wohl der Ukrainer über das der US-Amerikaner stellen.

Mit der jetzigen überparteilichen Einigung können beide Seiten öffentlich ihr Gesicht wahren. Für Kevin McCarthy bleibt es jedoch gefährlich. Denn 90 Republikaner stimmten im Repräsentantenhaus gegen seinen Übergangshaushalt. Er hatte also keine eigene Mehrheit. Da er die Ukraine-Hilfen aber ausklammerte, ist die Wut seiner Fraktion womöglich noch nicht so groß, dass sie ihn tatsächlich stürzen könnten. Es bleibt ein Pokerspiel.

Eine Hängepartie für die Ukraine beginnt

Doch nicht nur für Kevin McCarthy, auch für die Ukraine, ihre Menschen und damit für die ganze Allianz gegen Russland bleiben die nächsten Tage voller Ungewissheiten. Denn über die milliardenschweren Finanzhilfen soll bereits in der kommenden Woche in Form eines einzelnen Gesetzes abgestimmt werden. So zumindest soll der Deal von Kevin McCarthy ausgesehen haben, mit dem er die Zustimmung der Demokraten für den Übergangshaushalt erhalten hat.

Wieder geht es dann darum, ob es im Repräsentantenhaus und im Senat dafür die nötigen Mehrheiten gibt. Wieder bräuchte Kevin McCarthy die Stimmen der Demokraten in beiden Kammern. Zurzeit wirkt es utopisch, dass er die Radikalen in seiner Fraktion von einem Milliardenpaket für die Ukraine überzeugen wird. Ein Plan soll sein, die Sicherheitsausgaben für die Ukraine mit Mehrausgaben für die eigene Grenzsicherung gegen illegale Zuwanderung zu verknüpfen. Gelingt ihm das nicht, würde er wieder seinen Rauswurf als Sprecher riskieren.

In Washington ist derweil längst eine heftige Diskussion entbrannt, auch über das Verhalten der Demokraten. Der ehemalige US-amerikanische Botschafter in Russland, Michael McFaul, schrieb dazu auf X, vormals Twitter: "Das Repräsentantenhaus hat Putin heute ein großes Geschenk überreicht. Ich hoffe, dass sie es ihm in den kommenden Wochen wieder wegnehmen." Und er gab zu bedenken: "Wenn die USA jetzt unsere Unterstützung aus der Ukraine zurückziehen, schwächen wir radikal unsere Glaubwürdigkeit, China von einer Invasion Taiwans abzuschrecken."

Alternativen zu Amerika gesucht

Das nächtliche Drama der Demokraten und die Radikalität der Republikaner in Washington zwingen spätestens jetzt die übrigen Verbündeten dazu, sich alternative Möglichkeiten auszudenken. Bislang war deutschen Regierungspolitikern von ihren US-Kollegen immer versichert worden, dass es mit dem nächsten Hilfspaket im Kongress schon noch mal klappen würde. Spätestens danach aber könnte es schwierig werden, hieß es zuletzt aus deutschen Regierungskreisen. Scheitert das jetzt gesondert geplante Ukraine-Hilfen-Gesetz scheint dieser Fall schon früher eintreten zu können.

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Nicht ohne Grund hat die Bundesregierung Deutschland in den vergangenen Monaten zum größten Unterstützer der Ukraine gemacht, gleich hinter den USA. Einerseits erhofft sich Berlin, damit ein glaubwürdiges Signal an die Amerikaner zu senden. Anderseits ist das neue Engagement pure Not, weil man weiß, dass es noch viel schlimmer kommen könnte. Dann nämlich, wenn Donald Trump 2024 gegen Joe Biden gewinnen sollte.

Ebenfalls nicht ohne Grund wirbt derweil auch die Ukraine um Investitionen von Rüstungsunternehmen, die Waffen auf ukrainischem Boden produzieren sollen. Die Regierung in Kiew will unabhängiger von westlichen Waffenlieferungen werden oder zumindest die langen Wege und Abstimmungsprozesse künftig vermeiden.

Kontrollverlust im US-Senat

Noch fallen die USA als Unterstützer für die Ukraine nicht aus. Aber wie kritisch bereits der kurze Zahlungsausfall ist, macht ein hochrangiges Gespräch am vergangenen Wochenende deutlich. Da sprachen der US-Außenminister Antony Blinken und Bidens nationaler Sicherheitsberater Jake Sullivan mit dem Minderheitsführer der Republikaner im Senat, Mitch McConnell.

Sie machten ihm deutlich, dass es ohne zusätzliche Mittel unmöglich sei, den Kampf der Ukraine gegen Russland in den nächsten anderthalb Monaten aufrechtzuerhalten. Sie warnten davor, dass die Nichtaufnahme weiterer Hilfen in den Übergangshaushalt der ukrainischen Regierung nicht nur erheblichen finanziellen, sondern auch symbolischen Schaden zufügen würde. Bei McConnell dürften Bidens Vertraute offene Türen eingerannt haben.

Aber allem Anschein nach schwindet der Einfluss des Anführers der Republikaner im Senat. McConnell konnte die eigenen Leute offenbar nicht überzeugen, gegen die Kollegen im Repräsentantenhaus zu stimmen, weshalb es schließlich zum Deal mit den Demokraten kommen musste. Dabei galten die republikanischen Senatoren dort bislang als letzter Hort der Vernünftigen. "Das war nicht Mitchs Entscheidung", sagte ein republikanischer Senator dem politischen Onlinemagazin "Punchbowl". Ein anderer meinte über McConnell: "Er war zahlenmäßig weit unterlegen."

Der republikanische Senator Marco Rubio machte gegenüber Reportern auf dem Weg zu seinem Mittagessen deutlich, was Sache ist in den USA: "Ich habe die Finanzierung der Ukraine unterstützt, aber wir können die US-Regierung nicht wegen der Finanzierung einer ausländischen Regierung abschalten, egal wie groß die Sache auch sein mag."

Verwendete Quellen
  • Eigene Recherchen
  • Abstimmungen im Repräsentantenhaus und im Senat
  • punchbowl.news: Newsletter vom 30.09.2023 (Englisch)
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