Bisherige Höchststrafe für Kapitol-Sturm Kopf der rechtsextremen "Proud Boys" muss 22 Jahre in Haft
Enrique Tarrio, der einstige Kopf der faschistischen Miliz, muss für mehr als zwei Jahrzehnte ins Gefängnis. Er soll die Gruppe beim Angriff auf den Sitz des US-Kongresses als "General" angeführt haben.
Der ehemalige Anführer der rechtsradikalen US-Miliz "Proud Boys", Enrique Tarrio, ist wegen seiner Rolle beim Sturm auf das US-Kapitol im Januar 2021 zu 22 Jahren Gefängnis verurteilt worden. "Jener Tag hat unsere zuvor ungebrochene Tradition friedlicher Machtübergaben gebrochen", sagte Richter Timothy Kelly am Dienstag bei der fast vierstündigen Strafmaßverkündung in Washington. Es handelt sich um die bislang höchste Strafe im Zusammenhang mit dem Sturm auf das Kapitol.
Am 6. Januar 2021 waren rund 200 Mitglieder der "Proud Boys" an der gewaltsamen Erstürmung des US-Kapitols durch radikale Anhänger des abgewählten Präsidenten Donald Trump beteiligt gewesen. Die Angreifer wollten verhindern, dass der Kongress an diesem Tag den Sieg des Demokraten Joe Biden bei der Präsidentschaftswahl vom November 2020 endgültig bestätigt.
Vier weitere Täter mit hohen Haftstrafen
Der 39-jährige Tarrio und vier weitere Mitglieder der "Proud Boys" waren im Mai der "aufrührerischen Verschwörung" schuldig gesprochen worden. Die vier anderen erhielten in der vergangenen Woche Haftstrafen zwischen zehn und 18 Jahren. Bis dahin hatte Stewart Rhodes, der Gründer der Oath Keepers – einer weiteren am Sturm auf das US-Kapitol beteiligten rechtsradikalen Miliz – mit 18 Jahren Haft die höchste Haftstrafe erhalten.
Die Anklage hatte 33 Jahre Haft für Tarrio gefordert. Dieser hatte sich am 6. Januar 2021 zwar nicht in Washington aufgehalten, ihm wird aber vorgeworfen, den Angriff von Mitgliedern der "Proud Boys" auf das Kapitol geleitet zu haben. Richter Kelly begründete das hohe Strafmaß gegen Tarrio damit, dass dieser der "höchste Anführer der Verschwörung" gewesen sei.
Der Richter zeigte sich unbeeindruckt von der Reue, die der Beschuldigte im Gerichtssaal bekundete. Mit teilweise tränenerstickter Stimme bezeichnete Tarrio den 6. Januar 2021 als "furchtbaren Tag" und flehte den Richter um Gnade an.
Eher General als Soldat
Die Staatsanwaltschaft erklärte, auch wenn Tarrio am 6. Januar 2021 nicht persönlich in Washington gewesen sei, habe er "weit mehr Schaden angerichtet, als er es als individueller Aufrührer hätte tun können". Tarrio habe mehr "als General denn als ein Soldat" gehandelt, erklärten sie. "Der einzige Grund, warum Tarrio nicht neben den anderen marschiert ist, war, dass er bei seiner Ankunft in Washington DC festgenommen worden ist."
Tarrio war zwei Tage vor der Kapitol-Erstürmung festgenommen worden, weil er eine Fahne der Anti-Rassismus-Bewegung Black Lives Matter verbrannt hatte. Der Anhänger des damaligen Präsidenten Donald Trump kam dann zunächst unter der Auflage frei, sich aus Washington fernzuhalten.
Die "Proud Boys", zu Deutsch "stolze Jungs", sind eine US-amerikanische Miliz, die sich wegen des angeblich drohenden Untergangs der westlichen Zivilisation und der vermeintlichen Benachteiligung von Männern dem Widerstand gegen Behörden und Regierung verschrieben hat. Gruppenmitglieder bezeichnen sich selbst als "Chauvinisten" und hängen der Verschwörungserzählung an, dass Männer im Westen unterdrückt und von Auslöschung bedroht seien.
Die Organisation gilt als rechtsextrem, sieht sich in Teilen als Schattenarmee Trumps und wird dem Spektrum der "Alt-Right" zugeordnet, unter deren Banner sich verschiedene Strömungen am extremen Rand der politischen Rechten versammeln. Seit 2021 behandelt Kanada die Gruppe als "terroristische Vereinigung". In Deutschland bestehen ideologische Parallelen zur Identitären Bewegung.
Urteil gegen Trump steht noch aus
Trump hatte sich nach der Präsidentschaftswahl 2020 geweigert, seine Niederlage gegen Biden anzuerkennen, und vielfach widerlegte Wahlbetrugsvorwürfe erhoben. Am Mittag des 6. Januar 2021 rief der Republikaner seine Anhänger auf, zum Kapitol zu marschieren und "auf Teufel komm raus" zu kämpfen. Der folgende Angriff auf das Kapitol mit fünf Toten löste weltweit Entsetzen aus und gilt als schwarzer Tag in der Geschichte der US-Demokratie.
Anfang August wurde Trump von der Bundesjustiz wegen seiner Versuche angeklagt, den Ausgang der Präsidentschaftswahl 2020 nachträglich zu kippen und sich damit an der Macht zu halten. Er muss sich im März wegen Wahlverschwörung vor Gericht verantworten. In einem weiteren Verfahren gegen Trump und 18 weitere Mitangeklagte um mutmaßliche Wahlbeeinflussung im Bundesstaat Georgia steht noch kein Termin für den Prozessbeginn fest.
- Nachrichtenagentur dpa