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Russlands Machtspiele | Experte: Putin hat bislang erstaunlich wenig erreicht


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Russlands Machtspiele
Eigentlich hat Putin bislang erstaunlich wenig erreicht

MeinungEin Gastbeitrag von Joachim Krause

Aktualisiert am 24.02.2022Lesedauer: 5 Min.
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Neue TV-Ansprache: Putin will Russlands Interessen nicht verhandeln. (Quelle: reuters)

Lange wollte der Westen nur das Gute in Russland sehen, nun herrscht Furcht: Wie weit wird Wladimir Putin noch gehen? Die Aggression Russlands wird zumindest die Nato wieder stärken, meint Sicherheitsexperte Joachim Krause.

Während die Aufmerksamkeit der Welt auf der Frage liegt, ob Russland jetzt eine teilweise oder vollständige Invasion der Ukraine vom Zaun brechen wird, sollte man sich fragen: Was will er mit seiner Politik erreichen und wie weit ist er damit gekommen?

Hinweis: Alle Informationen zum Ukraine-Krieg finden Sie hier auf einen Blick.

Das politische Ziel Putins ist seit dem Ultimatum an die Nato und die USA vom 15. Dezember 2021 klar: Er will die politische Neuordnung Europas über den Haufen werfen, die in den Jahren zwischen 1990 (der deutschen Wiedervereinigung) und 1997 (Verabschiedung der Nato-Russland Akte) in diplomatischen Verhandlungen zwischen den Staaten der westlichen Staatengemeinschaft und der sowjetischen bzw. später russischen Regierung vereinbart worden war.

(Quelle: Waldemar Krause)


Joachim Krause, Jahrgang 1951, lehrte bis zu seiner Emeritierung Internationale Politik an der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel. Krause leitet bis heute das dortige Institut für Sicherheitspolitik, zugleich ist er Vorstandsmitglied der Stiftung Wissenschaft und Demokratie. Der Wissenschaftler ist Experte für Sicherheitspolitik und fungiert als Mitherausgeber von "Sirius. Zeitschrift für Strategische Analysen".

Aus der Sicht Putins war diese Neuordnung ungerecht, weil sie den Zerfall des imperialen Besitzstandes Moskaus bedeutete. Diesen subjektiv von Putin so empfundenen Ärger kann man nachvollziehen, nur sollte man dann auch klar sagen, was der Zerfall des imperialen Besitzstandes Moskaus damals für ungefähr 170 Millionen Menschen in Europa bedeutete.

Die Wiedererlangung politischer und persönlicher Freiheit (Polen, Tschechoslowakei, Ungarn, Rumänien, Bulgarien und die Deutschen in der DDR), die Erlangung oder Wiedererlangung nationaler Unabhängigkeit (Estland, Lettland, Litauen, Ukraine, Belarus, Georgien, Moldau, Armenien, Aserbaidschan) sowie die Beendigung einer jahrzehntelang andauernden militärischen Konfrontation, die durch den Aufbau der sowjetischen Fähigkeiten zu einer weiträumigen Invasion Westeuropas verursacht worden war.

Das Rad der Geschichte zurückdrehen

Putins Politik zielt heute darauf ab, diesen Wandel rückgängig zu machen, den imperialen Besitzstand Russlands so weit wie möglich wiederherzustellen und erneut zu einer militärischen Konfrontation mit der Nato zurückzukommen, von der er hofft, dass er sie dieses Mal zugunsten Russlands wenden kann. Wer heute, wie etwa Sahra Wagenknecht, fordert, man solle doch die Sicherheitsbedürfnisse Russlands berücksichtigen, der sollte sich genau überlegen, welche Risiken für Freiheit und Frieden in Europa damit verbunden wären.

Die Forderung Putins nach einer Revision der politischen Ordnung bedeutet, dass die autoritär regierende, kleptokratische Elite dieses wirtschaftlich zurückgebliebenen Landes mit rund 140 Millionen Menschen den etwa 600 Millionen Europäern vorschreiben will, wie Sicherheit auf diesem Kontinent organisiert werden soll: nämlich nur noch nach dem Willen Russlands.

Eines Landes, dessen größte Sicherheitsbedrohung Demokratie und Freiheit sind. Wenn wir uns also auf den Kompass von Frau Wagenknecht verlassen würden, würde das mittelfristig erst den Verlust der außenpolitischen Souveränität und dann der innenpolitischen Souveränität bedeuten.

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Denn nur in einem Europa, welches durch autoritäre Herrscher wie Lukaschenko regiert wird, würde sich Putins Russland sicher fühlen. Diese Zielsetzung ist in der politischen Elite Russlands schon lange zur vorherrschenden Denkweise geworden, etwa seit der Mitte der 90er-Jahre. Von daher strebten fast alle Länder Ostmitteleuropas und Osteuropas einen Beitritt zur Nato an – weil sie den Rückfall Russlands in seine traditionellen imperialistischen Verhaltensweisen fürchten.

Warum ausgerechnet jetzt?

Aber warum macht Putin erst jetzt Ernst, stellt dem Westen ein Ultimatum und nimmt zur Unterstreichung dieses Ultimatums die Ukraine als Geisel? Die Antwort auf diese Frage ist einfach: Bis vor wenigen Jahren war das russische Militär zu schwach, um eine derartige Drohkulisse aufbauen zu können.

Erst eine Modernisierung und ein gut geplantes und durchgeführtes Rüstungsprogramm haben in den vergangenen 15 Jahren dazu geführt, dass die russischen Streitkräfte heute zu einem schlagkräftigen Instrument der russischen Außenpolitik geworden sind, welches in Europa keinen gleichwertigen Gegner fürchten muss.

Letzteres ist verwunderlich angesichts der Tatsache, dass die Staaten der Europäischen Union mit ihren mehr als 400 Millionen Einwohnern und einer wirtschaftlichen Stärke, die diejenige Russlands fast um das Zehnfache übertrifft, eigentlich das Potential hätten, sich diesem Russland gegenüber zu behaupten. Aber der russische Militäraufbau wurde in Deutschland und Frankreich politisch nicht wahrgenommen.

Der schleichende Wandel der russischen Politik in Richtung Revisionismus und Imperialismus sowie der Wiederaufbau einer Militärmacht passten nicht in das Bild einer Russlandpolitik, die an der Illusion festhielt, dass man die russische Regierung durch diplomatische Gespräche in unterschiedlichen Formaten und durch gemeinsame Wirtschaftsprojekte zur Mäßigung veranlassen könne.

Der Westen im Wolkenkuckucksheim

Von daher auch die überraschend milde Reaktion Berlins und Paris' auf die Annexion der Krim und die brutale hybride Aggression gegen die Ukraine im März 2014. Im Normandie-Format sollte mit Hilfe der Vereinbarungen von Minsk eine Regelung für die besetzten Gebiete im Donbass gefunden werden. Dabei saß vor allem die Bundesregierung unter Angela Merkel einer Illusion nach der anderen auf und vermied es, die zunehmend gefährlicher werdende Herausforderung durch Putins Russland als solche zu begreifen.

Ohne diese Fehler, vornehmlich der deutschen Politik, wäre Putin diesen wagnisreichen Weg nicht gegangen. Was ihn zusätzlich zu dieser riskanten Politik veranlasste, war die gewachsene Stärke Chinas, die dafür sorgt, dass man weniger auf die amerikanischen Streitkräfte zählen kann. Aber auch die innenpolitischen Verwerfungen in den USA, an denen Putin durchaus seinen Anteil hatte, haben ihn ermutigt.

Doch was hat Putin bislang erreicht? Erstaunlich wenig. Die Ultimaten vom Dezember 2021 wurden höflich aber bestimmt abgelehnt. Der militärische Druck Russlands auf die Ukraine hat dazu geführt, dass die Illusionen in Deutschland und Frankreich über die diplomatische Beeinflussbarkeit Russlands wie Seifenblasen zerplatzt sind. Zuletzt die Vorstellung, dass man im Normandie-Format das Problem der Ostukraine werde diplomatisch lösen können.

Stattdessen nimmt das Bewusstsein zu, dass die deutsche und die französische Russlandpolitik falsch waren und es jetzt darauf ankomme, die Verteidigungsfähigkeit der Nato zu stärken. Auch wird das völlig zu Recht kritisierte Pipelineprojekt Nord Stream 2 infrage gestellt. Dabei wird aber auch deutlich, wie verantwortungslos die frühere Bundesregierung gehandelt hat.

Deutschland wäre längst eingeknickt

Im Jahr 2014 erklärte sie, sich bei der Gasversorgung weniger abhängig von Russland machen zu wollen, förderte aber gleichzeitig den Bau von Nord Stream 2 und versäumte es, die Möglichkeiten der größeren Unabhängigkeit zu nutzen, die der wachsende globale Markt für Flüssiggas bot (etwa durch den Bau eines Flüssiggasterminals in Deutschland).

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Putin hat die Nato wiederbelebt, weil er für jeden (außer Gregor Gysi und Sahra Wagenknecht) die Gefahr sichtbar gemacht hat, die sich mit seiner revisionistischen, demokratiefeindlichen und militaristischen Außenpolitik verbindet. Putin hat den Kalten Krieg wiederaufleben lassen und dieser wird uns noch eine Zeit lang begleiten.

Die derzeitige Krise hat aber auch gezeigt, wie wichtig die Präsenz der USA in Europa ist, denn Deutschland und Frankreich allein wären schon längst angesichts Putins Erpressung eingeknickt – so wie Chamberlain und Daladier 1938 bei Adolf Hitler in München.

Die Frage bleibt: Was passiert mit der zur Geisel genommenen Ukraine? Putin hat zwei Optionen: Entweder er besetzt die Ukraine und macht daraus einen Vasallenstaat, oder er belässt es beim Status quo (der Anerkennung und nachfolgenden Annexion der "Volksrepubliken") und der Beibehaltung einer hohen Militärpräsenz um die Ukraine herum.

Ersteres würde bedeuten, dass sich Russland möglicherweise in die Bekämpfung einer langjährigen Aufstandsbewegung verzettelt (denn die Ukrainer sind im Gegensatz zu den Belarussen gut bewaffnet). Letzteres würde bedeuten, dass der Großteil der russischen Streitkräfte für andere Zwecke nicht zur Verfügung steht.

Die in Gastbeiträgen geäußerten Ansichten geben die Meinung der Autoren wieder und entsprechen nicht notwendigerweise denen der t-online-Redaktion.

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