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Ukraine-Konflikt: Putin will einen Krieg anzetteln – aus diesen Gründen


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Russische Drohgebärden
Neun Gründe, warum Putin einen Krieg anzetteln will

Von Jan-Henrik Wiebe

Aktualisiert am 17.12.2021Lesedauer: 6 Min.
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Ukraine: So bereitet sich das Land auf einen Einmarsch Russlands vor. (Quelle: t-online)
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Seit Wochen rollen Züge durch Russland, die Panzer und Soldaten an die Grenze zur Ukraine bringen. Viel spricht dafür, dass Putin den Befehl zum Einmarsch geben könnte – oder ist alles nur ein Bluff?

Wenn im Donbas in der Ostukraine die Sonne untergeht, dann fangen die Kanonen an zu donnern. Seit 2014 stehen sich die ukrainische Armee und prorussische Kämpfer in Schützengräben gegenüber, mehr als 14.000 Menschen sind in dem andauernden Konflikt bereits gestorben. Nun geht es wieder los.

"Granaten zerstören nach fast einem Jahr Pause wieder Häuser und zwingen viele Einheimische dazu, sich erneut von der Kontaktlinie zu entfernen", sagt Kostiantyn Rieutskyi von der Hilfsorganisation Vostok SOS. Die Mitglieder der NGO fahren dorthin, wo fast niemand mehr hindarf, in die graue Zone, kurz vor die letzten ukrainischen Checkpoints, und versorgen die meist alten Menschen mit Lebensmitteln und dem Nötigsten.

Seit Wochen gibt es Berichte, dass ein umfassender Krieg zwischen Russland und der Ukraine drohe, wie ihn Europa seit dem 2. Weltkrieg nicht erlebt habe. Aus ganz Russland gibt es seit vielen Wochen täglich neue Videos auf TikTok und Instagram, wo Züge, beladen mit schweren Panzern, Artillerie, Raketenwerfern und Truppen, in Richtung Westen fahren. Laut verschiedenen Quellen sollen sich aktuell rund 100.000 russische Soldaten an der Grenze zur Ukraine befinden.

Bloß ein Bluff?

Rieutskyi von Vostok SOS ist besorgt: "Russische Kämpfer haben in den vergangenen Monaten die Siedlungen an der Front viel stärker beschossen als während des Waffenstillstands. Sie beschießen Dörfer im Rücken der ukrainischen Armee. Erneut werden Wohnhäuser unter Beschuss genommen, die Zahl der zivilen Opfer steigt. Die Intensität der Kämpfe nimmt zu wie schon lange nicht mehr."

Nach seiner Wahrnehmung handelt es sich bei Russlands Aufmarsch um einen Bluff. "Das ist Säbelrasseln, um die Ukraine und den Westen auf Abstand zu bringen", glaubt er. Zumindest im Donbas zeige das ukrainische Militär nach seinen Beobachtungen keine verstärkte Präsenz. Doch nicht nur in der umkämpften Grenzregion ist man besorgt, auch in Kiew warnt man vor einer russischen Invasion.

Der Bürgermeister der ukrainischen Hauptstadt, Vitali Klitschko, sagte gegenüber der "Bild": "Wir bereiten uns in der ganzen Ukraine darauf vor, dass Russlands Präsident Wladimir Putin den Kriegsbefehl geben könnte." Als Bürgermeister organisiere er den Zivilschutz der Hauptstadt. Seine Behörden hätten bereits die Rekrutierung und Ausbildung von Reservisten intensiviert.

Was für einen Krieg spricht

Ob es ein Bluff ist oder nicht, wissen wohl derzeit nur die Strategen im Kreml. Nüchtern betrachtet deutet derzeit viel darauf hin, dass Putin es tatsächlich ernst meinen könnte. Für einen Angriffskrieg sprechen derzeit neun Gründe.

1. Seit ihrer Besetzung durch Russland ist die ukrainische Halbinsel Krim nur über eine Brücke erreichbar, ein wichtiger Kanal für die Wasserzufuhr wurde auf dem ukrainischen Festland blockiert. Auf dieses Wasser sind Landwirtschaft und Industrie auf der Krim dringend angewiesen. Die Eroberung weiterer Teile der Ostukraine würde dieses Problem aus russischer Sicht lösen.

2. Russlands Präsident Wladimir Putin nennt den Untergang der Sowjetunion ein "Unglück". Erst am Sonntag sagte er in einer TV-Doku: "Was ist die Auflösung der UdSSR? Das ist der Zusammenbruch des historischen Russlands." Er setzt die Sowjetunion, die aus verschiedenen Teilrepubliken bestand, darunter auch die Ukraine, mit Russland gleich. Eine Invasion wäre also aus Sicht des Kremlchefs kein Angriffskrieg, sondern würde ein geschichtliches Unglück korrigieren.

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3. Das ukrainische Militär ist der russischen Armee bis heute, trotz vieler Modernisierungsmaßnahmen, in vielen Bereichen unterlegen. Doch von Jahr zu Jahr wird die ukrainische Seite besser und beseitigt entscheidende Schwachstellen. Erst kürzlich setzte es eine türkische Bayraktar-Kampfdrohne gegen die russischen Kämpfer in der Ostukraine ein. Auch von den USA hat die ukrainische Armee Unterstützung bekommen: das Panzer-Abwehrsystem "Javelin", eine entscheidende Waffe für den Kampf am Boden. Am Dienstag nahmen ukrainische Soldaten an einer Militärübung teil – sie bereiten sich auf den Ernstfall vor (das Video sehen Sie oben).

Doch trotz Aufrüstung fehlen der Ukraine neben weiteren "Javelin"-Startsystemen und Raketen vor allem Flugabwehrsysteme. Gerade in der Luft dürfte Russland deshalb stark überlegen sein.

Neue Migrationskrise?

4. Seit Monaten schon sind die europäischen Gasreserven auf einem niedrigen Level. Trotz aller Beteuerungen von Putin liefert Russland nicht mehr. Im Falle eines Krieges zwischen Russland und der Ukraine wäre daher das Gas ein einfaches Druckmittel, um Westeuropa zu erpressen. Kritiker der Pipeline Nord Stream 2 bemängeln schon lange, dass diese Röhre nur gebaut wurde, um die Ukraine zu umgehen.

5. Die Ukraine ist einer der wichtigsten Exporteure von Korn. Hauptabnehmer sind der Nahe Osten, Süd- und Ostasien sowie Afrika. Sollte es auf den Feldern zu Kämpfen kommen, würden die Preise in die Höhe schnellen, die Exporte einbrechen und viele Menschen auf der Welt hungern. Hunger ist neben Kriegen eine der Hauptfluchtursachen. Viele weitere Menschen würden sich auf den Weg in Richtung Europa machen, hinzu kämen möglicherweise Kriegsflüchtlinge aus der Ukraine. Der Kontinent stünde erneut vor großen Problemen. Putin weiß, wie sehr die Migrationsfrage Europa schwächt und spaltet – und wie er daraus Profit schlägt.

6. Die Ukraine strebt die Mitgliedschaft in der Nato an. Das westliche Militärbündnis hat bislang zurückhaltend auf diesen Wunsch reagiert, ihn aber auch nicht ausgeschlagen. Putin forderte nun von der Nato eine schriftliche Garantie, dass die Ukraine niemals ein Teil des Bündnisses wird. Ansonsten würden militärische Schritte eingeleitet, drohte der stellvertretende russische Verteidigungsminister Sergei Rjabkow am Montag. Dass die Nato dieser Forderung niemals nachkommen würde, weiß Russland. Ein Krieg könnte aus Sicht des Kremls die letzte Option sein, um eine Annäherung der Ukraine an die Nato zu verhindern.

Putin fantasiert vom "Völkermord"

7. Seit Jahren verbreitet das russische Staatsfernsehen Propaganda über die Ukraine, etwa dass die russischsprachige Bevölkerung in dem umkämpften Gebiet unter der dort herrschenden "Russenfeindlichkeit" leide. Das sei "ein erster Schritt zu einem Völkermord", sagte Putin zuletzt. Eine Lüge, aber zumindest bei manchen russischen Fernsehzuschauern wird sie verfangen. Der Kremlchef könnte bei einem Krieg also auf den Rückhalt von Teilen der Bevölkerung hoffen.

8. Sollte die Ukraine sich weiter demokratisieren und wirtschaftliche Fortschritte erzielen, dann könnte das Land für viele Menschen in Russland als Vorbild gelten. Dann hätte der Westen in Putins Augen gewonnen und er verloren. Diesen Erfolg wird er der Ukraine niemals gönnen.

9. Auch der belarussische Diktator Alexander Lukaschenko lässt seine Soldaten an die Südgrenze seines Landes zur Ukraine verlegen. Zuvor trat er meist als Vermittler zwischen Kiew und Moskau auf. Seitdem Putin ihn bei den Protesten im vergangenen Jahr unterstützt hat, stellt er sich klar auf die Seite des Kremls und kündigt gemeinsame Manöver mit dem russischen Militär an. Putin könnte sich durch Lukaschenkos Unterstützung gestärkt fühlen und einen Sieg gegen die Ukraine für wahrscheinlicher halten.

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Was gegen einen Krieg spricht

Das Szenario ist düster, doch es gibt drei gewichtige Gründe, die gegen einen russischen Angriff auf die Ukraine sprechen.

1. Ein offener Krieg würde enorm viele tote russische Soldaten bedeuten. Der Widerstand der zentralukrainischen Bevölkerung gegen russische Invasoren dürfte hoch sein, was bei einer Besetzung zu einer Art Partisanenkrieg führen würde. Zudem ist auch die ukrainische Armee mit ihren rund 250.000 Soldaten eine völlig andere als 2014. Die Moral ist hoch und durch den Krieg in der Ostukraine sind sehr viele Soldaten und Reservisten im Training.

2. Harte Sanktionen des Westens drohen, falls Putin wirklich diesen Schritt gehen sollte. Um ihn wirksam abzuschrecken, droht die EU nun mit "noch nie dagewesenen Maßnahmen". Obwohl sich die Sanktionen in der Vergangenheit als wirkungslos erwiesen haben, gäbe es noch einige Instrumente, die Russland empfindlich treffen würden, etwa den Ausschluss aus dem internationalen Zahlungssystem Swift. Nach dem Urteil im Tiergarten-Mordfall am Dienstag (mehr dazu lesen Sie hier), bei dem das Gericht die Handschrift des russischen Staates erkannt hat, ist die Bereitschaft zu einer härteren Gangart gegenüber Russland ohnehin größer.

3. Die Kosten des Krieges im Donbas belasten den russischen Staatshaushalt bereits jetzt stark. Wenn aber noch ein viel größerer Krieg hinzukommt, verbunden mit harten westlichen Sanktionen, dürfte Russland schnell das Geld ausgehen.

Es ist noch nicht zu spät

Der russische Truppenaufmarsch und die Gründe, die für einen russischen Angriffskrieg sprechen, bereiten Sorge, aber noch ist es nicht zu spät. Noch hat Russland nicht genügend Soldaten zusammen, um einen Krieg gegen die Ukraine zu führen. Noch kann der Westen die Ukraine mit entsprechenden Waffen ausstatten, um Russland einzuschüchtern. Noch kann er Putin klarmachen, welchen wirtschaftlichen Preis sein Land und seine Oligarchenclique zahlen werden, sollte er es wagen, die Ukraine erneut anzugreifen.

Es wäre ein riskantes Manöver, sollte Putin wirklich diesen Schritt durchziehen.

Verwendete Quellen
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