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Afghanistan: Hilfsorganisationen in Angst vor der Rache der Taliban


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Afghanistan-Helfer in Angst
"Die Taliban wollen, dass weiter Geld ins Land fließt"


Aktualisiert am 17.08.2021Lesedauer: 4 Min.
Taliban-Kämpfer vor dem internationalen Flughafen Hamid Karzai in Kabul: Tausende von Menschen stürmten am Montag das Rollfeld und drängten im verzweifelten Versuch, aus dem Land zu kommen, in die Flugzeuge.Vergrößern des Bildes
Taliban-Kämpfer vor dem internationalen Flughafen Hamid Karzai in Kabul: Tausende von Menschen stürmten am Montag das Rollfeld und drängten im verzweifelten Versuch, aus dem Land zu kommen, in die Flugzeuge. (Quelle: dpa)

In Afghanistan herrscht blanke Panik vor den Taliban. Am Flughafen in Kabul spielen sich dramatische Szenen ab, Berichte von Terror und Vergewaltigungen kursieren.

Tausende Afghanen wollen nur noch weg, am Flughafen von Kabul drängen sich die Menschen. "Massen hetzen durch die Straßen", schrieb der afghanische Journalist Jawad Sukhanyar auf Twitter. Es herrsche ein Zustand von Gesetzlosigkeit und Unordnung.

Die Angst vor einer Taliban-Terrorherrschaft wie Ende der 1990er Jahre geht um, mit Folter, systematischen Vergewaltigungen, Massenhinrichtungen. Insbesondere diejenigen sorgen sich, die in den vergangenen Jahren für internationale Hilfsorganisationen oder westliche Regierungen gearbeitet haben.

Zwar haben die Taliban versichert, die Menschen im Land und auch die Helferinnen und Helfer internationaler Organisationen müssten keine Angst um Leben und Besitz haben. Aber kaum einer traut den radikalen Islamisten.

Viele vor Ort wollen deshalb aktuell lieber nicht öffentlich sprechen, um sich nicht zur Zielscheibe zu machen. Andere können nichts sagen: Die Telefonnummer des Kabuler Büros der Konrad-Adenauer-Stiftung ist tot. Auf Nachfrage bittet die deutsche Zentrale der CDU-nahen Stiftung um Verständnis. Die Lage sei unübersichtlich; man bemühe sich weiter, einheimischen Mitarbeitern und ihren Familien eine Ausreise zu ermöglichen.

Die Taliban könnten vermeintliche "Spione" jagen

Auch die SPD-nahe Friedrich-Ebert-Stiftung möchte sich auf Anfrage von t-online nicht äußern. Vielleicht übermorgen wieder, hieß es am Montag.

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Die Leiterin des Kabuler Büros, Magdalena Kirchner, weilt derzeit in Jordanien. Vor drei Tagen, als die Taliban noch außerhalb der Stadt standen, hatte Kirchner in einem auf der Stiftungshomepage veröffentlichten Interview gesagt, die afghanischen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter hätten Angst, "dass ihre Arbeit für uns nun ein großes Risiko für ihr Leben darstellt".

Die Taliban könnten sich an vermeintlichen "Spionen" und deren Familien rächen. "Jeder unserer Mitarbeiter hat in der Vergangenheit bereits Fluchterfahrung sammeln müssen und gehofft, eine solche Situation nicht noch einmal zu erfahren."

"Die Taliban wollen, dass weiter Geld fließt"

"Noch sprechen die Taliban mit sanfter Stimme", sagt Michael Kunz von der Schweizer Afghanistanhilfe t-online. "Sie haben uns explizit zugesichert, wir könnten unsere Projekte weiterführen. Aber wir fürchten, dass das nur eine taktische Sprache ist."

Die Afghanistanhilfe ist in fünf Provinzen tätig. Sie beschäftigt 150 lokale Mitarbeiter und betreibt in abgelegenen Ortschaften aber auch in Kabul Gesundheits- und Bildungseinrichtungen sowie Waisenhäuser.

"Die Weltöffentlichkeit schaut zu, und die Taliban wollen, dass weiter Geld ins Land fließt", erklärt Vereinspräsident Kunz das öffentliche Auftreten der Islamisten. "Letzte Nacht habe ich lange mit dem Leiter einer lokalen Partnerorganisation telefoniert. Im Hintergrund hörte ich immer wieder Schüsse. Seine Frau hat bitterlich geweint. Sie hat Angst, ihre in den vergangenen Jahren gewonnene Freiheit zu verlieren – und schlimmstenfalls auch ihr Leben."

Gerüchte über systematische Misshandlungen von Mädchen

Man vernehme schon jetzt aus den von den Taliban besetzten Gebieten Horrorgeschichten. Die brutalen Schariagesetze würden bald wieder gelten, Mädchen und Frauen von den Straßen verschwinden, so die Angst. Teilweise würden gezielt Mädchen ab zwölf Jahren verschleppt und missbraucht, erzähle man sich.

"Diese Geschichten lassen sich von hier aus nicht überprüfen, aber sie kursieren vermehrt", sagt Kunz. "Auch unser Projektpartner erzählte mir, er habe gehört, dass die Taliban von Tür zu Tür gegangen seien, um Mädchen abzuholen. Ein Mann habe seine Tochter als seine Zweitfrau ausgegeben, um sie zu schützen. Die Taliban hätten dann die ältere der beiden Frauen, also die Ehefrau, mitgenommen."

Kunz hat aus Sorge um die Mitarbeiter vor Ort die zuständige Schweizer Botschaft in Islamabad angeschrieben. Ob es die Möglichkeit gäbe, sie aus Afghanistan herauszuholen, wollte er wissen. Bis jetzt habe er keine Reaktion erhalten.

Letzter deutscher Mitarbeiter von Caritas International wartet auf seinen Flug

Für Caritas International ist derzeit der Deutsche Stefan Recker in Kabul. Eigentlich wollte er bleiben, trotz der Machtübernahme der Taliban. So hoffte er ein Zeichen setzen zu können, dass die Menschen vor Ort nicht alleingelassen werden. "Jetzt haben wir aber entschieden, ihn ausfliegen zu lassen", sagt sein Chef, Oliver Müller. "Vermutlich gibt es diese Option nur noch ein paar Tage. Was dann kommt, weiß niemand."

Recker warte nun auf ein Zeichen von der deutschen Botschaft, sagt Müller. "Ohne das Go zum Flughafen zu fahren, wäre viel zu gefährlich." Vom schnellen Vorrücken der Taliban sei man völlig überrascht worden, so Müller.

"Wir sind im Land auch über Partnerorganisationen gut vernetzt, aber das haben wir nicht kommen sehen. Ob die Nachrichtendienste mehr Informationen hätten haben können, steht auf einem anderen Blatt. Die ganze Evakuierungsaktion jetzt wirkt doch sehr improvisiert."

Im Augenblick ist Recker der einzige Nicht-Afghane, der noch für Caritas International im Land ist. Nachdem er in den vergangenen Tagen mehrfach Interviews gab, möchte er sich am Montag persönlich nicht gegenüber der Presse äußern. Die Lage ist zu heikel.

Auch die 25 einheimischen Mitarbeiter würden das Land gerne verlassen, sagt Caritas-International-Leiter Müller: "Aber wir wissen nicht, ob sie eine Chance haben. Das ist jetzt eine politische Frage: Wer gehört zu den Ortskräften, die nach Deutschland dürfen? Auch die Mitarbeiter von Hilfsorganisationen? Oder nur Unterstützer der Bundeswehr?"

Afghanische Mitarbeiter bitten um Rettung

Naim Ziayee, der Vorsitzende der Afghanischen Kinderhilfe Deutschland, glaubt nicht, dass die rund 35 afghanischen Mitarbeiter seiner Organisation nach Deutschland geholt werden können. Sie hätten zwar große Angst und in einer Petition um Rettung gebeten, müssten aber wohl im Land bleiben.

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Die Afghanische Kinderhilfe Deutschland betreut am Stadtrand von Kabul in zwei Tageskliniken rund 100.000 Patienten jährlich, außerdem werden in einer Mädchenschule rund 400 Kinder unter anderem in Englisch unterrichtet und an Computern geschult.

Ziayee: "Die Dörfer in der Gegend sind abhängig von uns. In den vergangenen Tagen sind viele Flüchtlinge aus dem Norden in Kabul angekommen. Tausende hausen ohne Versorgung und Zugang zu sanitären Anlagen in Zelten." Zahlreiche Kinder seien dehydriert, litten unter Durchfall. "Wir hoffen jetzt, dass die Taliban begreifen, dass sie uns brauchen."

Verwendete Quellen
  • Eigene Recherche
  • Gespräch mit Michael Kunz von der Schweizer Afghanistanhilfe
  • Gespräch mit Oliver Müller, Leiter von Caritas International
  • Gespräch mit Naim Ziayee von der Afghanischen Kinderhilfe Deutschland
  • Anfragen an die Konrad-Adenauer-Stiftung und die Friedrich-Ebert-Stiftung
  • Friedrich-Ebert-Stiftung: "Gewalt und Verzweiflung lässt vielen nur die Flucht"
  • Twitter-Account von Jawad Sukhanyar
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