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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Experte über Belarus "Die EU darf kein Papiertiger sein"
Wie effektiv sind die EU-Sanktionen gegen Belarus? Jakob Wöllenstein von der Konrad-Adenauer-Stiftung blickt zwiespältig auf die Entscheidungen. Denn manche Maßnahme treffe die Falschen.
Schneller als erwartet hat die europäische Union auf die erzwungene Landung eines Flugzeugs in Minsk und die Festnahme von Roman Protassewitsch reagiert. Die EU fordert: Der regimekritische Blogger und seine Freundin müssen sofort freigelassen werden. Zudem erhalten belarussische Fluglinien im EU-Raum ein Start und Landeverbot. Auch sind weitere Sanktionen gegen Einzelpersonen, Unternehmen und wirtschaftliche Einrichtungen geplant.
Jakob Wöllenstein hält die schnelle Antwort Europas für richtig. Allerdings werde der belarussische Machthaber Alexander Lukaschenko sich nicht so leicht von Europa einschüchtern lassen, glaubt der Büroleiter der CDU-nahen Konrad-Adenauer-Stiftung in Litauen. Im Gespräch mit t-online erläutert Wöllenstein, was Häftlinge wie Protassewitsch erleiden müssen, welche Sanktionen besonders effektiv sind und wann Lukaschenko in der Vergangenheit zu Zugeständnissen bereit war.
t-online: Herr Wöllenstein, gerade fällt häufig das Wort "Staatsterrorismus" in Bezug auf das, was am Wochenende in Belarus passiert ist. Halten Sie den Begriff für gerechtfertigt?
Jakob Wöllenstein: Terrorismus dient dazu Angst und Schrecken zu verbreiten, in der Regel, um politische Ziele zu erreichen. Ich glaube, dass genau das die Absicht war: Der belarussische Staat wollte möglichst viele Leute einschüchtern. Alle Indizien deuten im Moment darauf hin, dass es sich um eine Operation des Geheimdienstes gehandelt hat. Das Regime wollte zeigen: Wir kriegen jeden unserer Kritiker.
International war das Echo recht eindeutig: Man müsse nun Härte gegen Belarus zeigen. Hat die EU das mit ihren beschlossenen Sanktionen getan?
Es war vor allem wichtig, dass die EU schnell und mit großer Einigkeit reagiert hat. Die Maßnahmen zielen einerseits darauf ab, das Regime unter Druck zu setzen. Dazu dienen vor allem die personenbezogenen Sanktionen und angekündigten gezielten Wirtschaftssanktionen. Andererseits werden Anreize gesetzt durch die Aussicht auf ein Investitionspaket von drei Milliarden Euro – wenn das Land demokratisch wird.
Die Europäische Union hat auch die sofortige Freilassung des Bloggers Roman Protassewitsch und seiner Freundin Sofia Sapega gefordert. Erschweren die Sanktionen nicht eher die Freilassung?
Zuletzt war das Regime eher zu Zugeständnissen bereit, wenn der Westen einen Schritt auf Belarus zugegangen ist: Nach den gefälschten Wahlen 2010 und 2011 wurden politische Gefangene freigelassen, als man sich diplomatisch wieder annähern konnte. Die Sanktionen werden Lukaschenko nicht beeindrucken. Aber man muss ihm auch klarmachen, dass er nicht machen kann, was er will. Die EU darf kein Papiertiger sein.
Wo könnte Europa denn den Druck auf Lukaschenko erhöhen?
Allein durch Druck sind kaum Zugeständnisse möglich. Denn Russland ist weiter bereit, das Regime zu stützen. Der Kreml will dadurch nicht zuletzt verhindern, dass das eigene Volk durch mögliche Aufstände in Belarus inspiriert wird. Aber es ist richtig, dass es zielgerichtete Sanktionen gibt: Dort, wo man nachweisen kann, dass Personen oder Institutionen an Wahlmanipulationen, Folter oder etwa manipulierten Gerichtsurteilen beteiligt waren.
Auch bei Roman Protassewitsch gehen andere Regimekritiker wie Svetlana Tichanowskaja davon aus, dass er gefoltert wird und um sein Leben fürchten muss.
Uns erreichen immer wieder Berichte von Menschen, die gefoltert wurden. Regimegegner erhalten etwa gelbe Abzeichen in Gefängnissen und werden deshalb von Wärtern und anderen Gefangenen besonders hart angegangen. Dazu werden die Häftlinge mit Schlafentzug und viel zu kleinen Zellen gequält. Selbst Chlorgas soll zum Einsatz kommen. Das dient eigentlich zur Desinfektion, greift aber in hoher Dosis die Atemwege an. Die Insassen werden auch häufig geschlagen oder haben kaum Kontakt zu ihren Angehörigen. Es wäre nicht verwunderlich, wenn Protassewitsch gefoltert wird.
Zuletzt wurde von ihm auch ein bizarres Video veröffentlicht. Viele glauben, dass er zu seinen Aussagen gezwungen wurde.
Es ist kaum vorstellbar, dass er seine Aussagen aus freien Stücken getroffen hat. Auf dem Video sind auch Kratzspuren in seinem Gesicht zu erkennen. Es wäre nicht das erst Mal, dass eine solche Aufnahme unter Zwang erfolgt ist. Lukaschenko wollte damit wohl vermeiden, dass sich zu viele Menschen mit Protassewitsch solidarisieren. Denn zuvor hieß es, er habe Herzprobleme und sei in kritischem Zustand im Krankenhaus.
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Viele Oppositionelle wie Protassewitsch und Tichanowskaja leben aus Sicherheitsgründen nicht mehr in Belarus, sondern in Litauen oder Polen. Muss Brüssel sich nicht jetzt auch überlegen, wie man diese Menschen besser in den EU-Staaten beschützen kann?
Die Sperrung des belarussischen Luftraums ist bereits eine Reaktion darauf. Es ist auch nicht so, dass diese Menschen in der EU gänzlich ungeschützt sind. Svetlana Tichanowskaja hat in Litauen etwa permanenten Personenschutz. Das trifft allerdings nicht auf alle Menschen in der Bewegung zu. Der Chef des belarussischen Geheimdienstes hatte zuletzt gedroht, man könne mit Oppositionellen umgehen wie das US-Militär mit Osama bin Laden: Sie wollen die Regimekritiker wie Terroristen jagen und töten, auch in Drittstaaten.
Mit dem Start- und Landeverbot von Fluglinien aus Belarus im EU-Raum werden allerdings viele Menschen getroffen, die für mehr Demokratie in ihrer Heimat kämpfen. Trifft diese Maßnahme also die Falschen?
Diese Maßnahme trifft einfache Menschen und auch die demokratischen Kräfte des Landes. Die Landgrenze ist bereits weitestgehend dicht. Der Flughafen in Minsk war bisher ein liberaler Knotenpunkt. Bürger der EU können etwa nur dort visafrei in das Land einreisen. Kritiker aus Belarus sagen bereits: Die EU nennt Lukaschenko einen Terroristen, sperrt aber das Volk mit ihm ein. Es gibt allerdings auch Oppositionelle, die die Maßnahme begrüßen.
Eine Forderung der EU hat das Regime bereits akzeptiert: Unabhängige Luftfahrtexperten dürfen die Vorgänge in dem Land offenbar untersuchen.
Das ist zunächst nicht überraschend. Denn Belarus und auch Russland haben ja deutlich gemacht, dass aus ihrer Sicht alles mit rechten Dingen zugegangen ist. Dennoch bleiben bisher einige Fragen offen: Warum musste das Flugzeug etwa in Minsk landen? Nicht nur der Zielflughafen in Vilnius lag näher, sondern auch drei weitere in Belarus.
- Interview mit Jakob Wöllenstein am 25.5.2021