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Feuerkatastrophe in Flüchtlingslager Moria: Was wir wissen – und was nicht


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"Bankrotterklärung europäischer Werte"
Brand in Moria: Was wir wissen – und was nicht


Aktualisiert am 09.09.2020Lesedauer: 5 Min.
Lager in Trümmern: Nach Angaben der Polizei sollen 99 Prozent des Camps zerstört worden sein.Vergrößern des Bildes
Lager in Trümmern: Nach Angaben der Polizei sollen 99 Prozent des Camps zerstört worden sein. (Quelle: Alkis Konstantinidis/reuters)
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Brandstiftung oder nicht? Was passiert jetzt mit den Flüchtlingen? Was kann Deutschland tun? Nach dem Brand in Moria stellen sich viele Fragen. Die Antworten darauf finden Sie hier.

Im Flüchtlingslager Moria auf der griechischen Insel Lesbos ist es zu einer Feuerkatastrophe gekommen. Große Teile des Lagers brannten, Tausende Migranten verließen das Lager fluchtartig. Die Lage vor Ort ist nach wie vor unübersichtlich, viele Frage sind offen. Ein Überblick.

Was ist passiert?

In Flüchtlingslager Moria auf der Insel Lesbos sind in der Nacht auf Mittwoch mehrere Feuer ausgebrochen. Später gerieten die Flammen außer Kontrolle, griffen auch auf die Wohnbereiche des Camps über. Mehr als 12.000 Menschen flohen in Panik aus dem Lager. Mindestens 25 Feuerwehrleute mit 10 Fahrzeugen, unterstützt von der Polizei, bekämpften den Angaben zufolge die Flammen, die sowohl innerhalb als auch außerhalb des Lagers loderten. Das Feuer ist mittlerweile unter Kontrolle. Die griechische Regierung verkündete am Mittwochmorgen trotzdem den Ausnahmezustand auf Lesbos.

Welche Schäden richtete das Feuer an?

Zu Toten oder Verletzten konnten bislang keine Angaben gemacht werden. Über die Schäden gibt es widersprüchliche Angaben: Die örtliche Feuerwehr spricht davon, dass große Teile des Lagers Opfer der Flammen wurden. Helfer vor Ort gehen davon aus, dass fast die Hälfte des Lagers komplett zerstört wurde. Luftaufnahmen deuten darauf hin, dass tatsächliche große Teile des Camps vom Feuer betroffen waren.

Das Staatsfernsehen, das mit einer Sondererlaubnis aus dem Lager berichten durfte, zeigte Bilder von verkohlten Containerwohnungen und verbrannten Zelten rund um das Camp. Nach Angaben der örtlichen Nachrichtenseite Lesvospost wurden mehr als 3.000 Zelte, Tausende Container sowie Verwaltungsbüros und eine Klinik innerhalb des Lagers zerstört.

Da die Flüchtlinge im überfüllten Flüchtlingslager unter einfachsten Bedingungen und größtenteils nur in provisorischen Hütten leben, ist davon auszugehen, dass diese nach dem Brand nicht mehr bewohnt werden können.

Wer hat das Feuer gelegt?

In und um Moria kam es zuletzt immer wieder zu Bränden. Die Gründe dafür waren unterschiedlich: Teils sollen es Anschläge von rechten Gruppierungen auf der Insel gewesen sein, die die Flüchtlinge aus fremdenfeindlichen Motiven aus Griechenland vertreiben wollen. Der Brand zu Mittwoch ist offenbar von den Flüchtlingen selbst gelegt worden. Das berichtet die griechische Nachrichtenagentur ANA. Demnach soll das Feuer ein Protest einiger Camp-Bewohner gewesen sein, die nach einem positiven Corona-Test unter Quarantäne gestellt werden sollten.


Dazu passt: Nach Ausbruch des Feuers hätten Lagerbewohner die Feuerwehrleute mit Steinen beworfen und versucht, sie an den Löscharbeiten zu hindern, berichtete der Einsatzleiter im Fernsehen. Sondereinheiten der Bereitschaftspolizei waren im Einsatz. Videos in sozialen Netzwerken zeigten herumirrende, verängstigte Menschen, aber auch solche, die "Bye bye, Moria!" sangen.

Warum zünden die Flüchtlinge ihr eigenes Camp an?

Hilfsgruppen haben bereits häufig die widrigen Lebensbedingungen in Moria kritisiert. Dem Feuer vorangegangen waren Unruhen unter den Migranten, weil das Lager seit voriger Woche nach einem ersten Corona-Fall unter Quarantäne gestellt worden war. Am Dienstag wurde dann bekannt, dass die Zahl der Infizierten mittlerweile bei 35 liege. Manche Migranten hätten daraufhin das Lager verlassen wollen, um sich nicht mit dem Virus anzustecken, berichtete die Nachrichtenagentur ANA. Einige Infizierte und ihre Kontaktpersonen, die isoliert werden sollten, hätten sich hingegen geweigert, das Lager zu verlassen und in Isolation gebracht zu werden.

Was passiert nun mit den obdachlosen Flüchtlingen?

Viele der mehr als 12.000 Migranten und Flüchtlinge, die zuletzt im Lager lebten, flohen nach dem Feuer in die umliegenden Wälder und auf Hügel, andere machten sich auf den Weg zur Inselhauptstadt Mytilini, wie griechische Medien berichteten. Stellenweise sollen sich ihnen Inselbewohner entgegengestellt und ihnen den Weg versperrt haben. Hilfsorganisationen versuchen, den Menschen zu helfen. Doch die Lage auf Lesbos ist angespannt: Wegen der Corona-Problematik sei die Situation nun regelrecht explodiert, sagte Mytilinis Bürgermeister Stratos Kytelis dem griechischen Staatssender ERT. Man wisse nicht, wo die Menschen nun untergebracht werden sollten, Tausende seien obdachlos.

Die Vorsitzende des Menschenrechtsausschusses im Bundestag, die FDP-Politikerin Gyde Jensen, forderte sofortige Hilfe: Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) dürfe die Aufnahme weiterer Geflüchteter "nicht länger pauschal ausschließen", forderte die Abgeordnete am Mittwoch. CDU-Politiker sehen das anders: So sprach sich der innenpolitische Sprecher der Unionsfraktion, Mathias Middelberg, gegen eine nationale Hilfsaktion für die dort lebenden Menschen aus. "Die neueste Entwicklung auf Lesbos macht deutlich, wie dringend eine europäische Antwort auf die Flüchtlingsentwicklung ist", sagte der CDU-Politiker am Mittwoch der Deutschen Presse-Agentur.

Wie reagiert die EU?

Die EU-Kommission reagierte bereits. Sie habe die Finanzierung der sofortigen Verlegung und Unterbringung der 400 noch verbliebenen unbegleiteten Minderjährigen auf das griechische Festland genehmigt, teilte EU-Innenkommissarin Ylva Johansson am Mittwoch im Online-Dienst Twitter mit. Sie sei nach dem Brand in Kontakt mit den griechischen Behörden. "Die Sicherheit und Unterbringung aller Menschen in Moria hat Priorität."

Wie reagiert Deutschland?

Der nordrhein-westfälische Flüchtlingsminister Joachim Stamp (FDP) forderte eine rasche Reaktion von Bund und EU. "Es ist erbärmlich, dass die EU so lange zugeschaut hat, bis es in Moria zu dieser Eskalation gekommen ist", sagte Stamp am Mittwoch. Jetzt sei unmittelbares Handeln notwendig, um es nicht zur Katastrophe kommen zu lassen.

Die Bundesländer hätten bereits Hilfe angeboten, sagte Stamp. "Der Bund muss die Koordination übernehmen. Horst Seehofer und Heiko Maas sind bisher untätig geblieben. Das muss sich sofort ändern." Da Deutschland die EU-Ratspräsidentschaft inne habe, trage es eine besondere Verantwortung. "Wenn die EU nicht in der Lage ist, wenige Tausend Migranten menschenwürdig unterzubringen, ist das eine Bankrotterklärung der europäischen Werteordnung." NRW-Ministerpräsident Armin Laschet (CDU) kündigte am Mittwochnachmittag an, bis zu 1.000 Flüchtlinge aus dem zerstörten Lager aufzunehmen. Auch andere Bundesländer haben sich bereits dazu bereit erklärt.

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Was sagt die Regierung?

Ob Deutschland Flüchtlinge aus dem Lager aufnimmt, ist bislang noch nicht bekannt. Außenminister Heiko Maas (SPD) reagierte zunächst ausweichend: "Mit der EU-Kommission und anderen hilfsbereiten EU-Mitgliedstaaten müssen wir schnellstens klären, wie wir Griechenland unterstützen können. Dazu gehört auch die Verteilung von Geflüchteten unter Aufnahmewilligen in der EU", schrieb er auf Twitter.

Am frühen Nachmittag kündigte ein Sprecher von Innenminister Horst Seehofer Hilfe für Griechenland an: "Wir befinden uns seit gestern in intensiven Gesprächen mit der griechischen Regierung", schrieb der Sprecher des Bundesinnenministeriums, Steve Alter, bei Twitter. Er erklärte: "Wir haben Griechenland in der Vergangenheit geholfen und wir werden selbstverständlich auch jetzt helfen". Innenminister Horst Seehofer (CSU) habe dies bereits angeboten. Wie genau diese Hilfe aussehen könnte, teilte er nicht mit.

Im März hatte die Bundesregierung nach monatelangem Streit beschlossen, unbegleitete Kinder aus griechischen Flüchtlingslagern zu holen. Einige Hundert wurden dann nach Deutschland gebracht. Zu wenig, wie Flüchtlingsorganisationen und die Opposition kritisierten.

Verwendete Quellen
  • Mit Material der Nachrichtenagenturen dpa, AFP, Reuters
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