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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Tod von iranischem General "Der Iran wird eine rote Linie überschreiten"
Am Freitag starb der iranische General Soleimani bei einem US-amerikanischen Raketenangriff. Im Interview erklärt Iran-Experte Adnan Tabatabai, wie wichtig Soleimani für den Iran war und welche Folgen sein Tod haben könnte.
Bei einem US-Raketenangriff nahe dem Flughafen Bagdad starben mehrere Menschen, darunter der iranische General Ghassem Soleimani. Soleimani galt im Iran als bedeutende Persönlichkeit.
Für die Tötung übernahm das Pentagon in Washington die Verantwortung: US-Präsident Donald Trump soll den Angriff befohlen haben. Welche Folgen die Attacke haben wird, ist noch unklar. Der iranische oberste Führer Ali Chamenei drohte aber mit "schwerer Vergeltung". Im Interview erklärt Iran-Experte Adnan Tabatabai, warum Soleimani im Iran so beliebt war, welche Rolle er für die iranische Politik spielte und welche Folgen sein Tod haben könnte.
t-online.de: Herr Tabatabai, Ghassem Soleimani war ein ranghoher General und für den Iran eine sehr wichtige Persönlichkeit. Welche Rolle hatte er in der Region?
Adnan Tabatabai: Hier ist es zunächst wichtig zu wissen, dass der Iran ein duales Militärsystem hat: Es gibt eine reguläre Armee und daneben die Revolutionsgarden – eine Eliteeinheit, die zu Beginn der Revolution 1979 gegründet wurde, um die Revolution und die Islamische Republik zu schützen. Diese Truppe hat noch eine Auslandseinheit, die Al-Kuds-Brigaden.
Deren Kommandeur Soleimani war …
Genau. Als solcher war er dafür zuständig, die iranische Sicherheitspolitik in der Nachbarschaft strategisch zu entwickeln. Das hat ihn im Iran zu einer bedeutenden Person gemacht – nicht nur für die politische Elite, sondern auch für die Bevölkerung. So gab es eine Vielzahl von Umfragen – auch von ausländischen Institutionen – laut denen er zu den beliebtesten staatlichen Personen im Iran zählte. Natürlich würde ich bei den genauen Zahlen im Kontext des Iran vorsichtig sein. Aber bei Reisen in den Iran bekommt man es selbst mit, dass er durchaus beliebt war.
Was machte ihn im Iran so beliebt?
Er ist generell für seine und die Rolle der Al-Kuds-Brigaden in Syrien als Unterstützung für Assad bekannt. In dieser wurde Soleimani öffentlich viel häufiger erwähnt und nach und nach glorifiziert. Und bei aller Kritik, die es auch im Iran gegen seine regionale Strategie gibt, wurde er dafür gefeiert, den IS im Irak entschieden zurückgedrängt zu haben.
Welche Rolle hat er im Konflikt gegen die USA?
Einer der Hauptlinien Soleimanis war der Widerstand gegen die US-Präsenz. Darum war er schon immer eine Art Nemesis für die Amerikaner.
Was bedeutet sein Tod für die Al-Kuds-Brigaden in der Region? Werden sie sich nun zurückziehen?
Wie Soleimani die Widerstandspolitik des Iran verkörpert hat, ist einzigartig auf seine Person zugeschnitten. An der politischen Linie der Al-Kuds-Brigaden wird sich jedoch nichts ändern. Aber die Figur Soleimanis hatte auch fraktionsübergreifend in Irans politischer Landschaft viele Leute erreicht. Hier ist jemand verloren, der so nicht zu ersetzen ist.
Wird sein Tod also auch innenpolitische Konsequenzen im Iran haben?
Zumindest war er jemand, der ein hohes Ansehen genoss. Wenn er beispielsweise bestimmte Operationen in Syrien oder Irak für nötig hielt, konnte er politische Figuren – von Reformern bis hin zu Ultrakonservativen – überzeugen. Auch hat er gewissermaßen die moderaten Kräfte im Iran mitgedacht und erreicht.
Adnan Tabatabai ist Mitgründer und Geschäftsführer der Denkfabrik CARPO in Bonn. Als Analyst und Iran-Experte berät er Bundesministerien, Bundestag und politische Stiftungen. Tabatabai ist Lehrbeauftragter an der Universität Düsseldorf und Autor des Buches "Morgen in Iran".
Soleimani wird gern als "zweitmächtigster Mann" im Iran bezeichnet – wie schätzen Sie das ein?
Das halte ich für übertrieben. Er ist als Sicherheitsmann und General extrem einflussreich gewesen, wenn es um Irans Politik im Irak, Syrien oder anderen Nachbarländern des Iran ging. Und er wusste auch noch mehr um die strategischen Grenzen und Schwächen des Iran und hat dementsprechend die Politik definiert. Innenpolitisch hatte er aber keinerlei Entscheidungsbefugnis. Man muss aber auch bedenken: Seine Tötung wird im Iran eine Radikalisierung mit sich bringen und vor allem Rachegelüste und Rufe nach Vergeltung stärken.
Der Oberste Führer Khameini hat ja bereits mit einer "schweren Vergeltung" gedroht. Was könnte passieren?
Hier kann man nur spekulieren: Ich fürchte, dass es Angriffe gegen US-amerikanische Truppen geben könnte – sowohl in iranischer Nachbarschaft als auch in der persischen Golfregion. Da die US-amerikanischen Militärbasen um den Iran herum verteilt sind, wäre es für den Iran ein Leichtes, amerikanische Truppen zu attackieren.
So mancher befürchtet auch einen Krieg in der Region. Wie sehen Sie die Lage?
Ein Flächenbrand ist immer denkbar. Den gibt es aber quasi schon und die Konfrontation in der Region wird als Folge nur noch blutiger sein. Wir leben aber in einer Zeit, in der Kriege nicht mehr nur militärisch geführt werden: Es gibt Wirtschaftskriege, Cyberangriffe und Medienkampagnen, die gefahren werden können.
Wenn der Iran Vergeltungsangriffe gegen die USA führt, könnten die USA als Antwort auch Ziele direkt im Iran attackieren?
Der Iran wird sich natürlich genau überlegen, wie er reagiert, und welche amerikanischen Antworten sie provozieren könnten. Ich glaube eher, dass wir eine Vielzahl von kleineren Operationen der Iraner sehen werden, als einen massiven großen Schlag. Aber auch das ist momentan Spekulation.
Könnten auch Israel oder Saudi-Arabien von Vergeltung betroffen sein?
Wenn sich die politischen Führungen dieser Länder über den Tod Soleimanis glücklich zeigen, dürften die auch mit Vergeltung rechnen müssen. Darum werden sich auch diese Länder gut überlegen, wie sie darauf reagieren.
Wie ist der Angriff der USA gegen Ghassem Soleimani generell zu werten?
Wenn eine solche Militäroperation am Bagdader Flughafen durchgeführt wird, ist es ein Bruch der irakischen Souveränität. Und es wurde ja nicht nur Soleimani getötet, sondern auch Abu Mahdi Al-Muhandis, ein irakischer Militärmann und Bürger, sowie weitere Menschen. Damit wurde auch der Irak getroffen.
Kann die Attacke den Einfluss des Iran auf den Irak also stärken?
Das Potential besteht. Gerade in einer Zeit, als sich Unmut über den Einfluss des Iran im Irak geäußert hat, ist jetzt ein völliger Game Changer da. Denn so könnten die antiamerikanischen Gefühle der Iraker gegen die Amerikaner erneut ausgelöst werden.
Muktada al-Sadr, Iraks Milizenführer, möchte als Folge des Angriffs seine "Anti-US-Miliz" ja wieder reaktivieren.
Das ist eine unmittelbare Reaktion von Iran-freundlichen Politikern im Irak. Das kann dazu führen, dass das Leben der US-Amerikaner im Irak stark gefährdet ist. Es heißt zwar immer, dass solche Milizen irangesteuert sind, aber das sind sie letztlich nicht, die können auch ihre eigenen Maßnahmen ergreifen. Jetzt ist mit dem Tod Soleimani auch für kurze Zeit ein Kommandovakuum entstanden. Das ist eine andere Dimension, mit der man rechnen muss – eine irakische Vergeltung.
Es ist ja aber nicht das erste Mal, dass der Iran und die USA in der Region aufeinanderstoßen. Vor allem nach den Tankervorfällen 2019 wurde ja gemutmaßt, dass entweder der Iran oder die USA direkte Attacken starten werden. Was ist denn jetzt anders?
Ghassem Soleimani war natürlich eine rote Linie. Insofern wird jetzt der Iran dazu entschlossen sein, eine amerikanische rote Linie zu überschreiten – und das wird das Leben von Amerikanern betreffen. Ich bin mir sicher, dass der Iran Vergeltung verüben wird. Die Frage ist eben, in welchem Ausmaß und in welcher Form. Der Iran wird aber nicht zu einer Vergeltung hetzen. Und wenn eine Maßnahme kommt, ist es noch lange nicht die letzte.
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