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Türkei im Syrien-Krieg: Erdogan steckt in der Zwickmühle


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Von Putin in Syrien ausgespielt
Erdogan steckt in der Zwickmühle


22.08.2019Lesedauer: 5 Min.
Dem türkischen Präsidenten Erdogan droht in Syrien eine schwere Niederlage.Vergrößern des Bildes
Dem türkischen Präsidenten Erdogan droht in Syrien eine schwere Niederlage. (Quelle: imago-images-bilder)
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Assad auf dem Vormarsch, ein Militärkonvoi steht in Flammen. In Syrien droht der Türkei eine schwere Niederlage. Eine Eskalation des Krieges könnte nun die letzte Option für Erdogan sein.

Es gibt einen lauten Knall, riesige Rauchwolken sind noch aus weiter Entfernung zu sehen. Aus dem Dunst der Explosion rettet sich ein Sattelschlepper, beladen mit einem Panzer. Ein Kampfflugzeug des Regimes von Baschar al-Assad hatte zuvor in Idlib einen türkischen Militärkonvoi angegriffen. So ist es auf einem Video von Augenzeugen zu sehen. Es ist nicht der erste Beschuss von türkischen Truppen in der syrischen Provinz. Der Angriff von Assad auf die letzte Rebellenhochburg ist in vollem Gange. Dank der Unterstützung von Russland und dem Iran ist der syrische Machthaber siegesgewiss – und die Türkei findet sich plötzlich in einem anderen Syrien-Krieg.

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Mit bloßer militärischer Präsenz wollte die Türkei das syrische Regime davon abhalten, die Provinz Idlib anzugreifen. Die türkische Regierung verließ sich dabei vor allem auf Zusagen aus Moskau, die Rebellen im Nordwesten Syriens nicht angreifen zu wollen. Dieses Vertrauen war naiv, der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan ist nun in der Zwickmühle: Lässt er Assad gewähren, drohen neue Flüchtlingsströme und ein massiver außenpolitischer Macht- und Gesichtsverlust für die Türkei. Der Syrien-Feldzug der Türkei wäre im Rückblick ein Fiasko, zentrale strategische Ziele wurden nicht erreicht. Will Erdogan ein Scheitern vermeiden, muss er mehr Truppen nach Syrien schicken. Die Gefahr einer Eskalation wächst.

Erdogans Ziele in Syrien

Die türkische Außenpolitik unter Erdogan folgt einer neoosmanistischen Agenda. Ziel war es, in Anlehnung daran die Einflusssphäre des Landes auszuweiten und die vorherrschende Macht in der Region zu werden. Doch die Türkei verspekulierte sich oft. In Ägypten verbündete man sich mit den Muslimbrüdern, die in großer Anzahl von der Armee verhaftet und schließlich verboten wurden. In Syrien unterstützte die Türkei von Anfang an die Opposition gegen Assad. Der syrische Machthaber ist ein Gegner Erdogans und gehört einer schiitischen Strömung des Islam (Alevitismus) an, die Türkei ist dagegen sunnitisch dominiert. Im Kampf gegen Assad rüstete Ankara auch deshalb radikale sunnitische Islamisten mit Waffen.

Lange lief für Erdogan alles nach Plan, auch Nato-Partner lieferten Waffen im Kampf gegen die Terrormiliz "Islamischer Staat" an die syrischen Rebellen. Assad war geschwächt und kontrollierte nur noch einzelne Gebiete des Landes. Russland und der Iran verhinderten eine Niederlage Assads, indem sie 2015 in den Konflikt eingriffen. In knapp vier Jahren eroberte die Armee des syrischen Machthabers weite Teile des Landes zurück.

Die von der Türkei unterstützten Rebellen waren auf dem Rückzug. Und aus Sicht von Erdogan wurde die strategische Situation noch komplizierter: Direkt an der türkisch-syrischen Grenze gibt es nach dem Kampf gegen den IS ein großes, von Kurden kontrolliertes Gebiet. Ein Albtraum für Ankara, denn die türkische Regierung möchte ein Rückzugsgebiet für Kämpfer der verbotenen kurdischen Arbeiterpartei PKK unbedingt verhindern.

Deutsche Panzer in Afrin

Türkische Truppen griffen deshalb Afrin an und besetzten die syrische Provinz im Nordwesten mithilfe von teilweise islamistischen Rebellen. Auch in Deutschland hergestellte Panzer rollten nun auf syrischem Boden. Eigentlich wollte Ankara die Kurden auch im Norden und Nordwesten Syriens aus dem Grenzgebiet vertreiben, aber die dort stationierten Soldaten aus den USA, Großbritannien und Frankreich schützen die kurdischen Milizen, die im Kampf gegen den IS immens wichtig waren. Zum Ärger Erdogans.

Südlich von Afrin weitete die Türkei ihren Einfluss auf Idlib aus. Die Provinz wird von radikalen Islamisten kontrolliert. Ankara lieferte Waffen, errichtete Beobachtungsposten an den Provinzgrenzen und handelte mit dem Assad-Regime, Russland und dem Iran einen Waffenstillstand für Idlib aus. Die Türkei versprach im Gegenzug, gegen den Dschihadismus in der Region vorzugehen. Beide Seiten hielten ihre Versprechungen nicht, die Feuerpause währte nicht lang.

Für Russland ist der Kampf gegen den Terrorismus ein vorgeschobener Grund, anzugreifen. Assad machte nie ein Geheimnis daraus, auch diese Provinz zurückerobern zu wollen. Seit April 2019 tobten immer heftigere Kämpfe, diese Aufnahmen sollen russische Soldaten von nächtlichen Artilleriebeschüssen im südlichen Teil Idlibs gemacht haben:

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Assad und auch Russland scheinen die Kämpfe möglichst schnell beenden zu wollen. Und die am Krieg beteiligten Staaten nutzen, dass die Welt aktuell nicht mehr all zu sehr nach Syrien schaut. Die Luftangriffe sind intensiv, laut Angaben von Hilfsorganisationen werden auch gezielt Schulen und Krankenhäuser angegriffen. Die Zermürbungstaktik wirkt.

Die finale Katastrophe

Aber gerade deshalb steuert der Bürgerkrieg in Syrien auf seine vielleicht finale Katastrophe hin. Nach den Kämpfen in anderen Gebieten wurden besiegte Rebellen in Bussen zusammen mit ihren Familien nach Idlib gebracht. Zehntausende gut bewaffnete Kämpfer sind in der Provinz. Es ist die letzte Rebellenhochburg, eine Kapitulation ist deshalb unwahrscheinlich.


In der Region befinden sich aktuell geschätzt 2,5 Millionen Menschen, davon viele Flüchtlinge aus anderen Teilen des Landes. Unicef rechnet mit mindestens einer Million neuer Flüchtlinge, die keinen anderen Ausweg hätten, als sich in Richtung Türkei zu begeben.

Ein Problem für Erdogan: Die Türkei hat bereits mehr als 3,7 Millionen Flüchtlinge aufgenommen. Angesichts der Wirtschafts- und Lira-Krise stört sich die türkische Bevölkerung immer mehr daran. Deshalb bringt die türkische Regierung vermehrt Flüchtlinge zurück nach Syrien, vorzugsweise in Umsiedlungswellen nach Afrin, um einer kurdischen Bevölkerungsmehrheit an der türkischen Grenze entgegenzuwirken.

"Unsere Soldaten sind dort auf dem Boden"

Der Syrien-Krieg wird durch die neue Offensive für die Türkei endgültig zur Sackgasse, ein Ausweg ist nur schwer erkennbar. Will er eine Niederlage verhindern, hat Erdogan aktuell nur die Option, mehr Soldaten ins Nachbarland zu schicken. Aber ein Krieg ist besonders in Zeiten des massiven Lira-Verfalls teuer und die türkische Bevölkerung ist kriegsmüde.

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Eine neue türkische Offensive wäre außerdem gefährlich. Denn auch Russland operiert mit Bodentruppen in Idlib. Dies bestätigte zuletzt Außenminister Sergej Lawrow: "Natürlich verfolgen wir nicht einfach nur die Lage, unsere Soldaten sind dort auf dem Boden."

Der russische Präsident Wladimir Putin hat seinen türkischen Amtskollegen durch den Angriff auf Idlib ausgespielt. Ankara und Moskau haben ohnehin ein sehr ambivalentes Verhältnis. Als im Jahr 2015 ein russisches Kampfflugzeug von der Türkei abgeschossen wurde, brach fast ein Krieg aus. Nach einer Entschuldigung Erdogans näherten sich beide Länder wieder an, zuletzt kaufte die Türkei zum Ärger der Nato ein Luftabwehrsystem aus Russland. In Syrien verfolgen beide Länder dagegen unterschiedliche Ziele und Putin setzt auf Assad.

Türkei-Stützpunkt eingekesselt

Und nun stehen sich Soldaten des Nato-Mitgliedes und der Atommacht in Syrien direkt gegenüber. Besonders dramatisch ist die Situation in der Region Mork, an der Grenze zu Idlib. Hier steht ein türkischer Beobachtungsposten, der mittlerweile von Assad-Truppen eingekesselt wurde. Die Türkei will sich trotzdem nicht zurückziehen. "Wir haben nicht die Absicht, den Beobachtungsposten woanders aufzustellen", sagte der türkische Außenminister Mevlüt Cavusoglu. "Das syrische Regime sollte nicht mit dem Feuer spielen." Russland will, dass der Posten verlegt werde, was bedeuten würde, dass sich die Türkei aus dem Süden von Idlib völlig zurückziehe. "Wir stehen auf allen Ebenen mit Russland in Kontakt", meinte Cavusoglu.


Trotzdem wächst die Sorge vor einer weiteren Katastrophe in dem Bürgerkriegsland. Entscheidet Erdogan sich gegen den Rückzug aus Idlib, würde dies unmittelbar zu einem direkten Krieg zwischen Ankara und Damaskus führen. Nimmt er den Gesichtsverlust in Kauf, ist die Türkei vom Wohlwollen Putins abhängig, der in Syrien der taktgebende Akteur ist. Doch mit der Aufgabe ihrer Ziele in Syrien würde das Selbstverständnis der Türkei als Nachfolger des Osmanischen Reiches und als dominierendes Land in der Region einen schweren Schlag bekommen. Ein Dilemma, besonders für den Machtpolitiker Erdogan.

Verwendete Quellen
  • Mit Material der Nachrichtenagenturen afp und dpa
  • Twitter
  • Syrianwarmap (engl.)
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