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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Ungewöhnliches Lebewesen Diese Nominierung ist ein Meilenstein

Das Great Barrier Reef ist mehr als ein Touristenmagnet. Jetzt ist es für einen UN-Ehrenpreis nominiert – und könnte unsere Sicht auf die Natur verändern.
Aus Queensland, Australien, berichtet Anna-Lena Janzen
Zwei, drei kräftige Schläge mit den Flossen, und die Schnorchler tauchen in eine andere Welt ein. Schon beim ersten Abtauchen gleitet eine Unechte Karettschildkröte vorbei. Zwischen den Korallen tanzen kunterbunte Fische – unbeeindruckt von den Maskengesichtern und Selfiesticks, die mancher Tourist mit ins Wasser nimmt. Master Reef Guide Ben weist der Gruppe den Weg. Er schwimmt entlang der Korallenstöcke, die teils in tiefem Blau oder Lila schimmern, vorbei an Anemonen mit schwenkenden Armen, Papageienfischen und einem kleinen Riffhai, der seine Kreise zieht. Dann zeigt Ben auf eine Koralle, knapp unter der Oberfläche. "Die hat kürzlich ein Bleaching erlebt", ruft er den Schnorchlern im Wasser zu: "Aber schaut – sie erholt sich schon!"
Für viele Besucher des tropischen Nordens im australischen Queensland beginnt das Riff-Abenteuer mit einer Bootsfahrt: Täglich starten Touren ab Cairns oder dem nördlich gelegenen Port Douglas. Rund zwei Stunden dauert die Überfahrt zum Outer Reef – eine Strecke, die je nach Jahreszeit bei starkem Wind selbst den stabilsten Magen ins Wanken bringen kann. Das üppige Frühstück im Hotel sollte man sich vorher besser sparen, damit das Abenteuer nicht mit einer Tüte in der Hand endet.
Ben Taylor arbeitet an Bord der "Passions of Paradise", für einen der vielen Tourenanbieter in Cairns. Er bietet den Passagieren ein spannendes Erlebnis an: Sie können sich an seiner Seite ein Bild von der Arbeit machen, die Meeresbiologen am Riff leisten, darunter: Fische zählen und dokumentieren. "Je mehr man über etwas lernt, desto mehr verliebt man sich und fühlt sich verpflichtet, es zu schützen", erzählt er mit sichtlicher Begeisterung.
Bevor es ins Wasser geht, gibt Ben seiner Gruppe einen Überblick über die Lebewesen im Ozean. Schon bald kommen erste kritische Fragen zum Zustand des Riffs. Sind viele der Korallen schon abgestorben? "Das Riff ist nicht tot, aber Teile der Korallen bleichen aus", erklärt Ben. Der menschengemachte Klimawandel belastet das Riff enorm. Auch durch andere Faktoren wie Fischerei und Entwicklung der Küstengebiete ist es bedroht. Dennoch seien die Korallen und ihre Bewohner unfassbar widerstandsfähig und wunderschön, sagt Ben.
An der ausgewählten Stelle des Riffs angekommen, schaltet der Bootsführer den Motor aus. Der Ozean ist plötzlich ganz ruhig. Taucher und Schnorchler haben sich bereits ihre Stinger-Suits gegen Quallen angestreift. Bewaffnet mit GoPros, Maske und Flippern wanken sie zum Heck des Bootes und warten auf das Signal, dass es losgehen kann. Schließlich springt auch Ben mit seiner Gruppe ins 28 Grad warme Meer.

Wissenswertes über Korallen
Korallen gehören zur Familie der Nesseltiere. Sie gibt es in zwei Haupttypen: Steinkorallen mit einem harten Kalkskelett und Weichkorallen ohne festes Skelett. Riffe entstehen über Jahrtausende durch die Ansammlung der Kalkskelette abgestorbener Steinkorallen. Diese bilden massive Strukturen, auf denen sich neue Kolonien ansiedeln und das Riff weiterwachsen lassen. Korallen leben in Symbiose mit Algen, die ihnen Energie liefern. Nicht alle gesunden Korallen sind daher bunt, in flacherem Wasser erscheinen sie oft braun oder grün. Steigende Meerestemperaturen können die Symbiose zwischen Korallen und Algen stören, was zu einem Phänomen führt, das als Korallenbleiche bekannt ist. Dabei werden die Algen abgestoßen und die Korallen verlieren ihre Farbe, sie werden weiß. Dies kann über längere Zeit zum Absterben der Korallen führen. Das Great Barrier Reef beherbergt über 9.000 Meereslebewesen – mehr als 1.600 Fischarten, 400 Korallenarten, sechs Schildkrötenarten, Seekühe, 133 Hai- und Rochenarten und 30 Wal- und Delfinarten. Sie machen das Riff zu einem der artenreichsten Ökosysteme der Erde.
Das Riff – ein eigenständiges Lebewesen
Das Riff ist nicht nur ein Lebensraum für unzählige Meeresbewohner, sondern spielt schon seit Urzeiten eine Rolle für das ökologische Gleichgewicht der Region. "Das Great Barrier Reef ist nicht nur ein Naturwunder – es ist ein Lebewesen, das seit Jahrtausenden still und leise Leben hervorbringt", sagt Jeff Baines, Vorsitzender des Reef Guardian Councils, einer Umweltinitiative lokaler Regierungen in Queensland, die durch nachhaltige Maßnahmen zum Schutz des Great Barrier Reefs beiträgt. "Wir müssen aufhören, das Riff wie eine Kulisse zu behandeln", so Baines.
Auch deshalb soll dem Great Barrier Reef dieses Jahr eine besondere Ehre zuteilwerden: Es ist für einen Preis der Vereinten Nationen nominiert, den bislang nur Menschen erhalten haben. Zu den Preisträgern des "Lifetime Achievement Awards" zählen renommierte Umweltschützer, wie Sir David Attenborough. Schon die Nominierung des Riffs in der ungewöhnlichen Kategorie gilt als ein Meilenstein, mit der dazugehörenden Kampagne "Lifetime of Greatness" soll das Riff eine starke Lobby erhalten. Meeresbiologen, Schüler, First Nations- und Tourismus-Vertreter der Region feiern das Great Barrier Reef als eigenständige Persönlichkeit, dessen Stellenwert für das Weltklima und für die Menschen es zum perfekten Anwärter auf den Preis machen: ein schillerndes, unverzichtbares Lebewesen.
- "Ein lebendes Wesen": Great Barrier Reef für UN-Ehrenpreis vorgeschlagen
Für einige der indigenen Bewohner der Region ist die Nominierung ein Schritt hin zur Anerkennung ihrer Weltanschauung – einer Sichtweise, in der Mensch und Natur untrennbar miteinander verbunden sind. "Das Riff ist ein Schöpfer, einer unserer Ältesten, es ist schon seit sehr langer Zeit hier", sagt Victor Bulmer, der zum Volk der Mandingalbay Yidinji im Norden Queensland gehört. "Ohne ein gesundes Riff gibt es auch keine gesunden Menschen." Vielleicht liegt genau darin die größere Botschaft: Wenn ein Ökosystem als Lebewesen verstanden wird, verdient es auch denselben Schutz.
Vor etwa 9.000 Jahren begann das Great Barrier Reef, wie wir es heute kennen, Gestalt anzunehmen. Wie viele große Entstehungsgeschichten beginnt auch die des Riffs mit einer dramatischen Verwandlung. Vor Jahrtausenden, als das Meer sich noch weit zurückgezogen hatte, lag der nordöstliche Rand Australiens als weites Land da. Dort wuchsen grüne Ebenen und Regenwälder, die sich bis tief ins Hinterland erstreckten.
Dann kam das Wasser zurück: Mit dem Ende der letzten Eiszeit vor etwa 11.700 Jahren schmolzen die Gletscher weltweit, der Meeresspiegel stieg – das Land und der Regenwald wurden vom Ozean verschluckt. Australien war zu diesem Zeitpunkt längst ein Kontinent auf Wanderschaft: Vor rund 45 Millionen Jahren löste es sich vom Urkontinent Gondwana und driftete langsam nach Norden – in tropischere Breitengrade mit günstigen Bedingungen für Korallen. Mit dem steigenden Meeresspiegel entstanden vor der neu entstehenden Küste ausgedehnte Flachwasserzonen – der ideale Lebensraum für das Riff, das heute zu den größten Naturwundern der Erde zählt.
Ein lebendiges Mosaik, das sich über 2.300 Kilometer entlang der Nordostküste Australiens erstreckt – von der Torres-Straße nahe Papua-Neuguinea bis hinunter zur Lady-Elliot-Insel in Queensland. Es bedeckt rund 350.000 Quadratkilometer Meeresboden, das entspricht rund 70 Millionen Fußballfeldern oder etwa der Fläche Deutschlands.
"Ständiger Kreislauf zwischen zwei Weltnaturerben"
Das Riff steht auch heute noch in enger Verbindung zu einem weiteren Weltnaturerbe in der Region – den Überresten eines uralten Regenwalds, der noch immer stellenweise fast bis ans Meer reicht. Der Daintree-Regenwald im tropischen Norden Queenslands gilt als der älteste der Welt, seine Geschichte ist mit der des Riffs untrennbar verbunden. Seit rund 130 Millionen Jahren existiert er – älter sogar als der Amazonasregenwald.
"Es gibt einen ständigen Kreislauf von Wasser und Nährstoffen zwischen unseren beiden Weltnaturerbe-Gebieten, dem Regenwald und dem Great Barrier Reef", erläutert Ranger Jared bei einem Spaziergang durch das grüne Dickicht unweit von Cairns. Während der Regenzeit gelangen nährstoffreiche Stoffe aus dem Regenwald über Flüsse ins Meer und fördern dort das Wachstum von Phytoplankton – die Basis der Nahrungskette. Das Riff trägt durch die Fotosynthese seiner Algen zur Sauerstoffproduktion bei. Über dem warmen Wasser des Riffs steigt feuchte Luft auf, sammelt sich am Himmel zu Wolken – und kehrt schließlich als Regen zurück auf den Regenwald. Der Kreislauf schließt sich.
In einer Gondel schweben Besucher hoch über dem Dschungel. Auf dem etwa 7,5 Kilometer langen Weg von Cairns bis nach Kuranda bietet die Fahrt mit Skyrail Cableway atemberaubende Ausblicke – auf den Regenwald und auf üppige Wasserfälle. Der Regen, der gegen die Gondel peitscht, lässt den grünen Tropenwald noch intensiver leuchten.
An einer der Gondelstationen wartet Ranger Jared stilecht in Akubra-Hut und Chelsea-Boots – der Inbegriff eines australischen Outdoor-Profis. Jared führt die Touristen über Wege auf Holzstegen durch den Regenwald hin zu Aussichtsplattformen. Vor dem schimmernden Netz einer Seidenspinne – das Krabbeltier ist größer als eine Hand, macht Jared Halt – und erklärt, dass es sich hier um eine der ältesten noch existierenden Spinnengattungen handelt.
Wer den tropischen Norden Queenslands bereist, muss sich an Superlative gewöhnen – hier scheint alles eine Spur größer, älter, wilder. Mit etwas Glück trifft man im Daintree und Umgebung sogar auf einen lebenden Dinosaurier, der seit etwa 65 Millionen Jahren durch den Regenwald streift – den Helm-Kasuar. "Wenn man einen in freier Wildbahn sieht, ist das ein ziemliches Erlebnis", erzählt der Ranger. "Viele der Pflanzen und Tiere hier sehen immer noch genauso aus wie ihre versteinerten Vorfahren".
Eine "lebende Korallenarche"
Auch andere Initiativen in der Region setzen sich für den Erhalt des Riffs ein. Am Hafen von Port Douglas präsentiert das Projekt "Forever Reef" Besuchern einen innovativen Ansatz. Die Non-Profit-Organisation Great Barrier Reef Legacy betreibt mit dem Projekt die einzige lebende Korallen-Biobank Australiens. Gründer und Projektleiter Dean Miller bezeichnet sie als "Korallenarche".
"Ich stelle mir Korallenriffe gerne als Türme vor – wie ein Jenga-Spiel. Wenn du Steine herausziehst, wird es wackelig. Am Great Barrier Reef sind wir in dieser Phase. In anderen Teilen der Welt ist der Turm bereits umgestürzt. Und wenn das passiert, ist es fast unmöglich, ihn wieder aufzubauen", so Miller. 15 Korallenarten am Great Barrier Reef sind bereits ausgestorben. Auch deshalb gilt es, die Artenvielfalt des Riffs zu bewahren. Miller und sein Team wollen die einzigartigen Korallenarten für zukünftige Generationen sichern.
Das Projekt sammelt dafür Korallenfragmente und dokumentiert alle Daten – den Ort, die Wassertiefe oder die chemische Zusammensetzung der Nesseltiere. Das Ergebnis können Besucher unter Neonlicht in Hightech-Aquarien begutachten. In den Tanks leuchten bis zu 179 von den rund 400 bekannten Korallenarten des Great Barrier Reefs. "Wir halten bis zu 12.500 Fragmente, das ist wie eine lebende Backup-Datei", erklärt Miller. Bis 2026 soll jede Art mindestens einmal vertreten sein – "bevor es zu spät ist".

Reisetipps und Informationen
Anreise: Singapore Airlines fliegt von Deutschland mit Zwischenstopp in Singapur nach Cairns.
Klima und Reisezeit: Tropisch. Die Trockenzeit ist von April bis Oktober.
Einreise: Deutsche benötigen ein Touristenvisum für Australien – erhältlich unter www.border.gov.au.
Riff: Startpunkte sind unter anderem Port Douglas oder Cairns. Anbieter wie Quicksilver (Schnelle Boote von Port Douglas) und Passions of Paradise (Katamaran von Cairns) bieten halbtägige Tauch- und Schnorchelausflüge für Anfänger und Erfahrene ans Outer Reef.
Das "Forever Reef"-Projekt können Besucher am Hafen von Port Douglas bestaunen.
Unterkunft: In Port Douglas, etwa eine Stunde nördlich von Cairns finden Urlauber unter anderem luxuriöse Unterkünfte entlang des beliebten Four Mile Beach, wie das "Pullmann Temple Resort". In Cairns steht Reisenden eine große Auswahl an Unterkünften zur Verfügung. Modern und zentral gelegen ist etwa das Hotel "Crsytalbrook Flynn", das direkt an der Strandpromenade liegt.
Regenwald: Mit einer Gondel von Skyrail Rainforest Cableway gibt es täglich Fahrten von Cairns nach Kuranda.
Weitere Informationen zu Aktivitäten und Unterkünften finden Sie auf der offiziellen Tourismus-Website der Region.
Transparenzhinweis: Dieser Bericht wurde von Tourism Tropical North Queensland unterstützt.
- Eigene Beobachtung und Interviews
- "Lifetime of Greatness"-Kampagne (englisch)
- skyrail.com.au: The Southern Cassowary (englisch)
- gbrbiology.com: Great Barrier Reef Timeline (englisch)
- unep.org: Champions of the Earth Award
- foreverreef.org: The world's first publicly accessible living coral biobank (englisch)
- gbrmpa.gov.au: Animals found on the Great Barrier Reef (englisch)