Tod im Schatten Putins geheime russische Armee in Syrien
Sie kämpfen in Syrien, aber niemand in Moskau spricht über sie: Russische Söldner im Dienste einer privaten Firma. Und wenn sie ums Leben kommen, taucht das in keiner Statistik auf. Das hält die offiziellen Opferzahlen niedrig - zweckdienlich für Putin.
Iwan Slyschkin war 23 Jahre alt, als er bei einem Einsatz gegen die Terrormiliz Islamischer Staat in Syrien getötet wurde. Aber sein Name taucht auf der offiziellen Liste des Moskauer Verteidigungsministerium über gefallene Russen nirgendwo auf. Das liegt daran, dass der junge Mann aus der Stadt Osjorsk im Ural zu den Tausenden Russen zählt, die von einem dubiosen privaten Militärfirma namens Wagner nach Syrien geschickt worden sind. Und darüber spricht die russische Regierung nicht.
"Er war in der Wagner-Gruppe", bestätigte Slyschkins Freund Andrej Sotow. Demnach hatte er sich als Söldner verdingt, um Geld für seine geplante Hochzeit zu verdienen. Er kam ums Leben, als die privaten Sicherheitskräfte auf einem Ölfeld nördlich von Palmyra vorrückten. "Da drüben sind viele gute Leute im Einsatz. Er hat sich freiwillig dem Unternehmen angeschlossen", schildert Sotow. "Wie viele russische Kämpfer wollte er seine Geldprobleme lösen."
101 Todesopfer
Nach Angaben der Webseite Fontanka, die in St. Petersburg betrieben wird, sind seit 2015 ungefähr 3000 Russen unter Vertrag der Wagner-Gruppe in Syrien eingesetzt worden. Zu einem Zeitpunkt seien es 1500 auf einen Schlag gewesen, sagt Denis Korotkow, ein Fontanka-Reporter. Einige der privaten Sicherheitskräfte kämpften demnach dort schon Monate, bevor das russische Militär seine Kampagne in Syrien begann und damit eine Wende im Bürgerkrieg zugunsten von Präsident Baschar al-Assad bewirkte.
Das Verteidigungsministerium macht zwar keine konkreten Angaben über die Zahl der russischen Soldaten in Syrien, aber nach Schätzungen waren dort 2016 etwa 4300 stationiert. Jetzt könnten es noch mehr sein, da Russland Militärpolizisten zur Überwachung der sogenannten "Deeskalationszonen" entsandt hat. Bisher sind dem Ministerium zufolge 41 russische Soldaten in Syrien ums Leben gekommen.
Nach Angaben von Fontanka - wegen seiner unabhängigen Berichterstattung eine meist verlässliche Quelle - wurden außerdem 73 private Sicherheitskräfte getötet. Eine andere investigative Gruppe, das Conflict Intelligence Team oder kurz CIT, beziffert die Zahl der Todesopfer mit 101. Und das seien konservative Schätzungen, sagen beide Organisationen.
Gut für Putin
Der Kreml und das Verteidigungsministerium blocken Fragen zu den privaten Kämpfern ab. Solche sind zwar von Staaten wie den USA über Jahre hinweg im Irak und in Afghanistan eingesetzt worden, aber die russischen Gesetze verbieten es, Söldner anzuheuern oder als solche zu arbeiten. Doch Russland hat derartige Kräfte schon früher benutzt: seit 2014 etwa zur Unterstützung prorussischer Separatisten in der Ostukraine.
In Syrien sind die Söldner besonders nützlich, wie Mark Galeotti vom Institut für Internationale Beziehungen in Prag erklärt. Die russische Bevölkerung sei nicht sehr begeistert über das Moskauer Engagement in dem Land, "und mit Hilfe des Unternehmens Wagner können sie (die Moskauer Regierung) dort eine Streitmacht haben, die einsetzbar ist. Aber wenn einer von ihnen stirbt, dann muss es nicht bekannt gegeben werden." Das hält die offizielle Totenzahl niedrig - gut für Präsident Wladimir Putin, der im nächsten Jahr wiedergewählt werden will.
Sowohl Fontanka als auch CIT veröffentlichten Fotos von einem mutmaßlichen Wagner-Trainingsstützpunkt in der südrussischen Region Krasnodar. Einige der Einrichtungen sehen genauso aus wie jene, die auf offiziellen Bildern des Verteidigungsministeriums von einer Basis in Molkino in derselben Region gezeigt werden.
Schweigen wird belohnt
Geheimhaltungsvereinbarungen mit Wagner verbieten es den privaten Kräften und deren Familien, mit den Medien über die Aktivitäten zu sprechen. Das Stillschweigen wird finanziell reich belohnt. So blieben auch die meisten Versuche, Angehörige und Freunde von Getöteten zu kontaktieren, erfolglos.
Die Wagner-Gruppe wurde von einem pensionierten Oberstleutnant, Dmitri Utkin, gegründet. Das US-Finanzministerium hat ihn im Juni mit Sanktionen belegt: Ihm wird vorgeworfen, ehemalige Soldaten für den Kampf an der Seite der Separatisten in der Ukraine rekrutiert zu haben. Vor einem Jahr war Utkin bei einem Kreml-Bankett zu sehen, das Putin zu Ehren von Veteranen gab.
Wegen Verwicklungen im Ukraine-Konflikt sind auch US-Sanktionen gegen Jewgeni Prigoschin verhängt worden, einen Unternehmer aus St. Petersburg mit Putin-Verbindungen. Früher ausschließlich auf das Gastronomiegewerbe konzentriert, hat Prigoschin seine Geschäfte auf Dienstleistungen für das Militär ausgeweitet. Eine Stiftung gegen Korruption, die von Oppositionsführer Alexej Nawalny betrieben wird, enthüllte in diesem Jahr, wie stark Prigoschins Unternehmen bei Vertragsvergaben des Verteidigungsministeriums profitieren.
Öl-und Gasförderung
Und eine der Firmen mit Verbindungen zu diesem Mann ist Evro Polis, eine in Moskau registrierte Gesellschaft, die Fontanka zufolge eine Fassade für Wagners Operationen in Syrien geworden ist. Gab sie 2016 noch den Verkauf von Nahrungsmitteln als Hauptaktivitäten an, ist sie jetzt nach eigener Darstellung auf Bergbau sowie Öl-und Gasproduktion spezialisiert und hat ein Büro in Damaskus eröffnet.
AP liegt die Kopie eines Vertrages zwischen Evro Polis und Syriens staatseigener General Petroleum Corp. vor. Demnach erhält das russische Unternehmen 25 Prozent der Einnahmen aus der Öl-und Gasförderung auf Feldern, die seine Sicherheitskräfte von IS-Besetzern befreit haben.
So glauben denn auch Analysten, dass von Wagner angeheuerte Russen auf lange Sicht in Syrien bleiben werden, auch dann, wenn der Einsatz des russischen Militärs abgeschlossen ist. Das Unternehmen verfolge klar nicht nur militärische, sondern auch kommerzielle Ziele, sagt CIT-Gründer Ruslan Lewiew. "Jemand muss die Ölfelder bewachen."