Rede zur Mobilmachung Putins drei große Lügen
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Zum journalistischen Leitbild von t-online.In seiner Rede reihte Russlands Diktator Falschbehauptung an Falschbehauptung. Drei Propagandalügen stechen besonders heraus.
In einer Fernsehansprache hat der russische Machthaber Wladimir Putin am Mittwochmorgen die Teilmobilmachung seiner Armee angekündigt
– und damit die nächste Eskalationsstufe im Krieg gegen die Ukraine erreicht. Es war eine Ansprache voller falscher Behauptungen und Unterstellungen. Ob diese Propaganda bei der russischen Bevölkerung verfängt, ist fraglich. In der Regel genießen Verlautbarungen der Regierung dort keinen großen Vertrauensvorschuss.
Besonders drei Lügen stechen heraus:
1) Der Westen als Gegner
Von Beginn an hat der russische Staat keinen Zweifel daran gelassen, dass seine eigentlichen Kriegsgegner die Demokratien des Westens sind. Nun behauptet Putin fälschlich, die russische Armee stehe in der Ukraine nicht nur der ukrainischen Armee gegenüber – die er getreu der eigenen Propaganda "Neonazis" nennt –, sondern auch "der ganzen Militärmaschinerie des kollektiven Westens". Er geht so weit zu behaupten, die ukrainische Armee werde von Nato-Militärs befehligt.
Das ist falsch: Die Nato ist in der Ukraine nicht im Einsatz. Im Gegenteil hat das Militärbündnis vor und nach der russischen Invasion sehr genau darauf geachtet, nicht zur aktiven Kriegspartei zu werden – Waffenlieferungen ändern daran nichts. Der konventionellen Übermacht des westlichen Verteidigungsbündnisses hätte die russische Armee auch mit weiteren Reservisten vermutlich wenig entgegenzusetzen.
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Die Behauptung dient wohl maßgeblich dazu, den Gegner zu überhöhen, um die schweren Niederlagen und enormen Verluste im Kampf gegen die vermeintlich unterlegenen ukrainischen Truppen zu kaschieren.
2) Die eigenen Verluste
Verteidigungsminister Sergej Shoigu war es deswegen beschieden, die zweite zentrale Lüge des Putin-Regimes zu verbreiten: Bislang seien 5.937 Soldaten bei der sogenannten "Spezialoperation", die ein Angriffskrieg Russlands ist, gefallen. Tatsächlich sind die Verluste deutlich höher, selbst kremlnahe Medienkanäle gehen von mindestens 15.000 russischen Gefallenen aus. Westliche Schätzungen belaufen sich eher auf 25.000 bis 50.000 Tote, je nach Quelle. Hinzu kommt ein Vielfaches an Verletzten und Vermissten.
Shoigus Kleinrechnerei der eigenen Verluste ist schon in der eigenen Logik absurd – denn dann müssten nicht 300.000 Reservisten mobilisiert werden. Diese Maßnahme wird übrigens als Vorschlag des Verteidigungsministers präsentiert. So trifft bei Misserfolg vermutlich ihn die Hauptschuld.
3) Die nukleare Bedrohung
Seit Beginn der Invasion provoziert der Kreml mit Manövern, Andeutungen und offenen Drohungen: Der Einsatz von Nuklearwaffen wurde so immer wieder ins Spiel gebracht. Im russischen Fernsehen wurde ganz Europa explizit mit einem Atomkrieg gedroht – was vermutlich dazu dienen sollte, westliche Waffenlieferungen zu verhindern.
Nun beschuldigt Putin seinerseits ungenannte, angeblich "verantwortungslose" westliche Politiker, den Einsatz von Atomwaffen gegen Russland zu befürworten. Das folgt einer langen Traditionslinie russischer Öffentlichkeitsarbeit seit der Sowjetunion: Dem Gegenüber genau das vorzuwerfen, was einem selbst zur Last gelegt werden kann.
Tatsächlich geht das Kalkül offenbar weiter, denn Putin droht seinerseits mit dem Einsatz von Atomwaffen, sollte die "territoriale Integrität" Russlands bedroht sein. Währenddessen werden hastig Schein-Referenden in den besetzten Gebieten inszeniert, um die Annexion zu rechtfertigen. So wäre jede weitere Gegenoffensive der Ukraine ein Angriff "auf Russland", der nach russischer Darstellung einen atomaren "Gegenschlag" rechtfertigen würde. Ob Putin es damit tatsächlich ernst meint, darf bezweifelt werden. Er selbst drohte in der Ansprache: "Ich bluffe nicht."
- Putins Ansprache zur Mobilmachung