Viele Tote und Verletzte Lage im Irak beruhigt sich – Anhänger von Al-Sadr beenden Protest
Seit zehn Monaten hat der Irak keine Regierung. Nun ist die Krise zwischen den politischen Gruppen in Gewalt umgeschwenkt.
Nach der Gewalteskalation im Irak hat sich die Lage in der Hauptstadt Bagdad wieder beruhigt. Anhänger des einflussreichen schiitischen Predigers Muktada al-Sadr folgten am Dienstag dessen Anordnung und beendeten ihr Protestlager am Parlament. Auf Fernsehbildern war zu sehen, wie sie ihre Zelte abbauten.
Der monatelange Machtkampf zwischen Al-Sadr und seinen politischen Kontrahenten war zuvor in Gewalt umgeschlagen. Videos zeigten die Miliz Saraja al-Salam des schiitschen Geistlichen Al-Sadr, die sich in der sogenannten Grünen Zone in Bagdad mit Iran-treuen Milizen schwere Kämpfe liefert. Dabei waren lange Feuersalven zu hören.
Al-Sadr hatte seine Anhänger daraufhin zum Rückzug aufgerufen. Sollten sie nicht innerhalb einer Stunde ihre Belagerung im Regierungsviertel beenden, werde er selbst von seiner eigenen Bewegung abrücken, erklärte Al-Sadr am Dienstag in einer Fernsehansprache. Es mache ihn traurig, was im Irak passiert sei. Er habe auf friedliche Proteste gehofft. "Ich entschuldige mich beim irakischen Volk", sagte der schiitische Geistliche weiter. Die Sicherheitskräfte hoben die Ausgangssperre in Bagdad wieder auf.
Mindestens elf Menschen getötet
Die UN-Mission im Irak begrüßte die "gemäßigte Erklärung" Al-Sadrs. "Zurückhaltung und Ruhe sind notwendig, damit die Vernunft siegt", schrieb sie auf Twitter. Der geschäftsführende irakische Regierungschef Mustafa al-Kasimi twitterte, Al-Sadrs Aufruf, die Gewalt zu beenden, sei der "Inbegriff des Patriotismus".
Mindestens elf Menschen seien bei den Kämpfen getötet und 160 weitere verletzt worden, hieß es aus medizinischen Kreisen. Medien berichteten von 15 Toten und 350 Verletzten. Die Kämpfe waren am Dienstagmorgen zunächst teils weitergeführt worden.
Berichte über Raketen
In der rund zehn Quadratkilometer großen und eigentlich hoch gesicherten Grünen Zone im Zentrum Bagdads befinden sich zahlreiche Regierungseinrichtungen, das irakische Parlament sowie mehrere Botschaften, darunter auch die diplomatische Vertretung der USA.
Berichten zufolge gingen in der Nacht auch mehrere Raketen in der Grünen Zone nieder. Videos in sozialen Netzwerken sollen zeigen, dass daraufhin auch das Raketenabwehrsystem (C-Ram) zum Schutz der US-Botschaft aktiviert wurde.
Der niederländische Außenminister Wopke Hoekstra hatte mitgeteilt, in der Gegend um seine Botschaft werde gekämpft. Die Mitarbeiter seien evakuiert worden und würden vorübergehend aus der deutschen Botschaft arbeiten. Die Lage im Irak sei "sehr angespannt" und ändere sich rasch, schrieb Hoekstra bei Twitter.
Iran schließt Grenzen zum Irak
Der Iran stellte alle Flüge in Richtung Bagdad ein und schloss nach Angaben des Innenministeriums auch die Grenzen zum Nachbarland Irak. "Die Grenzen bleibe bis auf weiteres geschlossen, bis die politische Lage in Irak sich beruhigt", sagte ein Ministeriumssprecher laut iranischen Medien am Dienstag.
Der Irak steckt seit Monaten in einer politischen Krise. Seit der Parlamentswahl im Oktober konnte noch keine neue Regierung gebildet werden – unter anderem, weil sich Sadrs Block mit der rivalisierenden Schiiten-Gruppe darüber streitet, wer den nächsten Ministerpräsidenten stellt.
Am Montag kündigte Sadr dann seinen politischen Rückzug an. "Ich habe beschlossen, mich nicht in politische Angelegenheiten einzumischen, deshalb kündige ich jetzt meinen endgültigen Rückzug an", erklärte Sadr im Onlinedienst Twitter. Mit wenigen Ausnahmen werde er alle mit seinem und dem Namen seiner Familie verbundenen Institutionen schließen.
Palast der Republik am Montag gestürmt
Wütende Sadr-Sympathisanten stürmten in der Folge den Palast der Republik in der Grünen Zone, in dem üblicherweise das Kabinett tagt. Sie schwenkten irakische Flaggen, machten Selfies, ließen sich in den Armsesseln eines Sitzungsraums nieder oder kühlten sich bei einem Bad im Pool im Garten des Gebäudes ab.
Nach den Protesten unterstützt Iraks Präsident Barham Saleh vorgezogene Neuwahlen. Eine erneute Stimmabgabe "in Übereinstimmung mit einem nationalen Konsens stellt einen Ausweg aus dieser erdrückenden Krise dar", erklärte Saleh in einer im Fernsehen übertragenen Rede. Das Präsidentenamt im Irak, das für eine Dauer von vier Jahren vergeben wird, ist weitgehend repräsentativ. Nach der Verfassung des Landes kann das Parlament nur durch einen Mehrheitsbeschluss aufgelöst werden. Eine Abstimmung darüber kann auf Antrag eines Drittels der Abgeordneten oder des Regierungschefs mit Zustimmung des Präsidenten erfolgen.
Seit fast einem Monat halten Sadrs Anhänger zudem die Umgebung des irakischen Parlaments in Bagdad besetzt. In der vergangenen Woche blockierten sie kurzzeitig den Zugang zum höchsten Gericht des Landes. Auf Plakaten forderten sie die Auflösung des Parlaments, Neuwahlen sowie den Kampf gegen Korruption.
Seit der US-geführten Invasion im Jahr 2003 wird der Irak nach einem konfessionellen Proporzsystem regiert, nach dem das Amt des Ministerpräsidenten den Schiiten vorbehalten ist. Die Sadr-Bewegung war bei der Parlamentswahl im Oktober zwar stärkste Kraft geworden, konnte aber keine Mehrheit bilden. Im Juni dann waren Sadrs Abgeordnete geschlossen zurückgetreten.
- Nachrichtenagenturen AFP und dpa