Weltrechtsprinzip Wird Lukaschenko ein Fall für die deutsche Justiz?
Der deutschen Justiz liegen mehr als hundert Fälle staatlicher Folter in Belarus vor. Der Generalbundesanwalt prüft Ermittlungen gegen Machthaber Lukaschenko und mehrere Beamte.
Der belarussische Präsident Alexander Lukaschenko geht mit aller Härte gegen seine Gegner vor. Bei der Niederschlagung der Massenproteste nach der Präsidentschaftswahl im August wurden mehrere Menschen getötet und hunderte weitere zu teils langen Haftstrafen verurteilt.
Die Aufarbeitung mutmaßlicher Völkerrechtsverbrechen in Belarus könnte auch ein Fall für die deutsche Justiz werden. Grundlage dafür ist das sogenannte Weltrechtsprinzip.
Strafanzeige gegen Lukaschenko
Vier deutsche Anwälte hatten Anfang Mai im Namen von zehn Menschen aus Belarus beim Generalbundesanwalt in Karlsruhe Strafanzeige gegen den autoritär regierenden Lukaschenko und belarussische Sicherheitsbeamte erstattet. Sie werfen ihnen Verbrechen gegen die Menschlichkeit vor.
Den Anwälten sind nach eigenen Angaben mehr als hundert Fälle dokumentierter staatlicher Folter in Belarus bekannt. Ihre Mandanten berichteten von Festnahmen aus nichtigen Anlässen, Folter und Misshandlungen für die Tage ihrer Inhaftierung, teilten die Anwälte nach der Erstattung der Strafanzeigen mit. Sie seien in engen Zellen oder Transportern eingesperrt und "über mehrere Tage körperlich misshandelt, gedemütigt, bedroht, beleidigt und auf andere Weise entwürdigt" worden.
Einstufung als "Beobachtungsfall"
Nach Informationen des "Tagesspiegel" wurde beim Generalbundesanwalt inzwischen ein "Beobachtungsvorgang" zu den Gewaltexzessen in Belarus angelegt. Dieser gelte als Vorstufe eines formalen Verfahrens und könnte Ermittlungen gegen Minsker Beamte vorbereiten, berichtete die Zeitung. Zudem werde der Generalbundesanwalt dann schneller gegen Lukaschenko ermitteln können, wenn dieser nicht mehr im Amt sei. Amtierende Staatsoberhäupter genießen weitgehend Immunität.
Er erwarte, dass die Bundesanwaltschaft formale Ermittlungen einleite, sagte der Anwalt Onur Özata, der zusammen mit drei Kollegen die Strafanzeige in Karlsruhe eingereicht hatte, dem "Tagesspiegel". "Der Angriff auf die zivile Luftfahrt vor einigen Tagen zeigt einmal mehr, dass Lukaschenko ein kriminelles Regime führt", fügte er mit Blick auf die Festnahme des Regierungskritikers Roman Protassewitsch nach der Umleitung seines Flugzeugs nach Minsk hinzu.
Vorbild Syrien-Prozess?
Die Anwälte berufen sich auf das Weltrechtsprinzip, nach dem Völkerrechtsverbrechen auch hier verfolgt werden können, wenn sie im Ausland begangen wurden und weder Täter noch Opfer Deutsche sind. Das Weltrechtsprinzip ist in Deutschland im Völkerstrafgesetzbuch verankert.
Es war Grundlage für den weltweit ersten Prozess wegen mutmaßlicher Staatsfolter in Syrien. In dem Verfahren in Koblenz fiel im Februar ein erstes Urteil. Ein früherer Mitarbeiter des syrischen Geheimdienstes wurde wegen Beihilfe zu Verbrechen gegen die Menschlichkeit zu viereinhalb Jahren Haft verurteilt. Gegen den Hauptangeklagten Anwar R. wird voraussichtlich bis zum Herbst weiter verhandelt.
Sind keine Deutschen beteiligt, kommt das Weltrechtsprinzip nur bei Völkermord, Kriegsverbrechen oder Verbrechen gegen die Menschlichkeit zum Tragen. Zuständig für die Verfolgung ist dann automatisch der Generalbundesanwalt.
- Nachrichtenagentur AFP