Schwere Vorwürfe gegen Türkei Angriffsdrohung? Paris bricht Nato-Operation ab
Bei der Nato geht es um Vertrauen. Doch was sich im Mittelmeer zwischen türkischen und französischen Kriegsschiffen abspielte, klingt eher nach Kaltem Krieg. Paris zieht nun Konsequenzen.
Eine aufsehenerregende Konfrontation zwischen den Nato-Mitgliedern Türkei und Frankreich sorgt für Beunruhigung. Bei dem Zwischenfall soll nach französischer Darstellung ein türkisches Kriegsschiff mehrfach sein Feuerleitradar auf eine französische Fregatte gerichtet haben. Paris nannte das Vorgehen "extrem aggressiv" und zog sich nun aus einer Nato-Operation zurück.
Bundeskanzlerin Angela Merkel bezeichnete den Vorfall, der bereits Anfang Juni geschah, am Mittwoch im Bundestag als "sehr ernst". Es gehe nun darum, alles daran zu setzen, dass sich unter Nato-Mitgliedsstaaten solche Vorfälle nicht wiederholten. Die Deutsche Presse-Agentur hatte zuvor berichtet, dass Nato-Militärexperten einen ersten Bericht zu der Konfrontation fertiggestellt haben. Er soll nun zeitnah diskutiert werden.
Generalsekretär Jens Stoltenberg hatte bereits angekündigt, dass der Vorfall von den Nato-Militärbehörden untersucht werde – auch weil die französische Fregatte zum Zeitpunkt des Zwischenfalls im Rahmen des Nato-Seeüberwachungseinsatzes Sea Guardian unterwegs war. Aus eben dieser Mission zog sich Paris am Mittwoch zurück.
Anschuldigungen "vollkommen realitätsfern"
Von der Türkei wurden die Vorwürfe Frankreichs bislang vehement zurückgewiesen. Die staatliche Nachrichtenagentur Anadolu zitierte einen ranghohen Militär, der die Anschuldigungen als "vollkommen realitätsfern" zurückwies. Demnach soll die französische Fregatte "Courbet" in unmittelbarer Entfernung des türkischen Schiffs gefährlich schnell unterwegs gewesen sein und keinen Funkkontakt aufgenommen haben. Zur Überwachung dieses Manövers habe das türkische Schiff aus Sicherheitsgründen die integrierte Kamera des Radars benutzt, es sei aber keine Zielerfassung durchgeführt worden.
Der Militär verwies zudem darauf, dass die türkische Marine das französische Schiff wenige Tage vor dem Vorfall sogar noch auf hoher See mit Treibstoff versorgt habe.
Ging es um eine Kontrolle illegaler Waffen?
Aus Nato-Kreisen hieß es, dass das türkische Verhalten vermutlich durchaus als Provokation gewertet werden könne und vermutlich zum Ziel gehabt haben dürfte, die französische Fregatte von der Kontrolle eines verdächtigen Frachtschiffes abzuhalten. Gleichzeitig wurde betont, dass die Besatzung der französischen Fregatte dank ihrer Aufklärungstechnik genau gewusst haben dürfte, dass sie von einem Bündnispartner und nicht von einem potenziellen Gegner verfolgt wird. Damit dürfte zumindest das Risiko einer durch ein Missverständnis ausgelösten militärischen Konfrontation gering gewesen sein.
Als Hintergrund des Vorfalls gilt, dass die französische Fregatte ein Frachtschiff kontrollieren wollte, das unter dem Verdacht steht, für türkische Waffenlieferungen in Richtung Libyen genutzt zu werden. Das unter der Flagge Tansanias fahrende Schiff "Cirkin" soll bereits im Mai für solche Transporte genutzt worden sein.
Streit zwischen Frankreich und Türkei um Libyen
Frankreich wirft der Türkei seit langem vor, mit Waffenlieferungen an die Truppen der libyschen Einheitsregierung gegen das geltende EU-Waffenembargo zu verstoßen. Die Türkei wiederum vertritt die Auffassung, dass Länder wie Ägypten und Saudi-Arabien mit der Lieferung von Waffen für den Regierungsgegner General Chalifa Haftar ebenfalls gegen das Waffenembargo verstießen. Auch Frankreich wird nachgesagt, mit Haftar zu sympathisieren.
Unklar ist bislang, ob die Besatzung der französischen Fregatte zum Zeitpunkt des Zwischenfalls wusste, dass kurz zuvor bereits eine griechische Fregatte der EU-Operation Irini erfolglos versucht hatte, die nach Libyen fahrende "Cirkin" zu kontrollieren. Die Türken machten den griechischen Einsatzkräften damals per Funk deutlich, dass das Schiff unter ihrem Schutz stehe und nicht kontrolliert werden könne. In der Folge zog der Kommandeur seinen Einsatzbefehl zurück.
Streitschlichtung wird einige Wochen andauern
Ob der Streit um den Zwischenfall beigelegt werden kann, wird sich nach Angaben aus Bündniskreisen in den kommenden Wochen zeigen. Der als geheim eingestufte Bericht der Bündnisexperten enthalte keine Schlussfolgerungen und Bewertungen, sondern trage nur Daten und Informationen der beiden Seiten zusammen, hieß es. Er soll nun im Militärausschuss diskutiert werden und dann möglichst die Basis für eine Beilegung des Streits werden.
Hinweise auf eine Entspannung gibt es bislang allerdings nicht. Es wird deswegen nicht ausgeschlossen, dass Frankreich den Nato-Generalsekretär drängen wird, das Thema sogar im Nordatlantikrat – dem wichtigsten politischen Entscheidungsgremium der Nato –zu behandeln.
Macron: Nato ist "hirntot"
Für die Bündniszentrale kommt der Zwischenfall höchst ungelegen. Sie hatte sich zuletzt eigentlich vorgenommen zu zeigen, dass der französische Präsident Emmanuel Macron unrecht hat, wenn er das Bündnis wegen interner Konflikte und unzureichender Absprachen als hirntot bezeichnet.
Macron kam nun in der vergangenen Woche sogar noch einmal auf seine weltweit beachteten Äußerungen aus dem vergangenen Jahr zurück. Was zuletzt passiert sei, sei inakzeptabel und eine der schönsten Demonstrationen für den "Hirntod der Nato", sagte er bei einer Pressekonferenz.
- Nachrichtenagentur dpa