Berlin – Osaka – Berlin – Brüssel Mutet sich Merkel nach den Zitteranfällen zu viel zu?
Erst zitterte Merkel in der Hitze, dann noch einmal, als es kühler war. Und jetzt reiht sich ein Gipfel an den nächsten. Versuchen die anderen, ihre Schwäche zu nutzen?
Donald Trump lässt sich nichts anmerken, als er Angela Merkel begrüßt. Eine große Freundin sei die Kanzlerin. Ein großartiges Verhältnis habe man, sagt der US-Präsident, als er die Kanzlerin am Freitag im kargen Besprechungsraum L-6 am Rand des G20-Gipfels der mächtigsten Industrienationen im japanischen Osaka begrüßt. Kein Lächeln geht bei dem Treffen am Freitag über sein Gesicht. Auch die Kanzlerin verzieht den Mund beim kurzen Händedruck nur ganz rasch zu einem Lächeln.
Zu tief sind wohl die Gräben zwischen den beiden, als dass es auch nur den Hauch von Herzlichkeit zwischen ihnen geben könnte.
Auch Trump dürften die Fernsehbilder nicht entgangen sein, die seit Donnerstagvormittag in Deutschland und auch international für Aufsehen sorgen. Nur Stunden vor ihrem Abflug nach Japan konnten Millionen Menschen sehen, wie die Kanzlerin, deren Konstitution eigentlich legendär ist, während der Ernennung der neuen Justizministerin ihren von einem Zitteranfall geschüttelten Körper nur schwer unter Kontrolle brachte.
Beim zweiten Mal war es kühl, nicht heiß
Schon am Dienstag vergangener Woche hatte Merkel einen krampfartigen Zitteranfall erlitten. Doch damals stand sie mit dem neuen ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj bei großer Hitze in gleißender Sonne. Die Kanzlerin erklärte ihre gesundheitlichen Probleme damit, dass sie zu wenig getrunken habe. Das kann beim jüngsten Vorfall im Schloss Bellevue, dem Amtssitz des Bundespräsidenten, kaum gelten: In Berlin war es da recht kühl.
Was ist also los mit Merkel? "Stuttgarter Zeitung" und "Stuttgarter Nachrichten" zitieren Regierungskreise, nach denen Merkels neuerliches Zittern psychologisch bedingt gewesen sei. Es sei kein gesundheitliches Problem, sondern Kopfsache. Die Erinnerung an den Vorfall in der vergangenen Woche habe zu der Situation geführt. Es sei also "ein psychologisch-verarbeitender Prozess", zitierten die Zeitungen Regierungskreise. So ähnlich berichtet es auch die "Bild"-Zeitung unter Berufung auf Merkels Umfeld.
Ein psychologisches Problem?
Möglich, dass es tatsächlich ein psychologisches Problem war. Auf dem Flug nach Osaka erleben Mitreisende eine Kanzlerin, die sich nicht anders als sonst bei solchen Gelegenheiten gibt – inklusive kleiner Scherze mit ihrem mitreisenden Vizekanzler und Finanzminister Olaf Scholz (SPD). Äußerlich ist Merkel nichts anzumerken.
Nicht ganz unwahrscheinlich aber, dass ihr die Erinnerung an die Zitterattacke an der Seite von Selenskyj immer noch in den Knochen steckt. Solch ein Erlebnis schüttelt wohl auch die Kanzlerin nicht so schnell ab. Zumal sie als öffentliche Person weiß, dass die Kameras immer auf sie gerichtet sind und dass jedes Zeichen von Schwäche von ihren politischen Gegnern ausgenutzt wird.
Umso größer dürfte der Druck auf Merkel in Japan sein. Der US-Präsident ist dafür bekannt, dass er Zeichen von Schwäche beim Gegner gerne ziemlich gnadenlos ausnutzt. Der russische Präsident Putin auch.
Extrem dichter Terminplan
Und Merkel selbst? Mutet sie sich zu viel zu? Es ist ein kräftezehrendes Programm, das sie gerade absolviert. Zwei Gipfeltage mit vier Arbeitssitzungen stehen in Osaka auf ihrem Programm. Daneben bilaterale Gespräche nicht nur mit Trump, sondern auch mit anderen Mächtigen der Welt. Gleich zehn solcher Termine hat sich Merkel organisieren lassen – darunter auch mit Wladimir Putin und Xi Jinping. Dazu kommen Fototermine, Arbeitsessen, Kulturprogramm. Der Kalender ist teilweise im 15-Minuten-Takt gefüllt.
Am Samstag geht es für die Kanzlerin zurück nach Berlin, am Sonntag dann gleich weiter zur nächsten Nachtsitzung: Mit den Staats- und Regierungschefs stehen ihr schwierigste Verhandlungen über die wichtigsten Spitzenposten in Europa bevor. Bis Montagmorgen will die Kanzlerin die vertrackte Personaldebatte über die Besetzung des EU-Kommissionspräsidenten gelöst haben. Ob das gelingt? Erfahrungsgemäß werden solche Personalien oft in langen Nächsten geklärt. Merkel steht im Ruf, in solchen Situationen zäher, wacher und widerstandsfähiger zu sein als die meisten anderen Regierungschefs. Aber diesmal? Setzen die anderen darauf, dass sie nicht so gut durchhält wie sonst?
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Beim Familienfoto zu Beginn des Gipfels in Osaka – zuhause ist es kurz nach 5.00 Uhr – zeigt Merkel wieder die übliche Selbstdisziplin. Sie steht ganz außen und scherzt ein wenig mit dem südafrikanischen Präsidenten Cyril Ramaphosa rechts neben ihr. Ein Zittern ist diesmal nicht zu sehen. Irgendwie wirkt Merkel dann aber doch ein wenig gelöst, als sie nach der Fotosession wieder gehen kann.
- Nachrichtenagentur dpa
- Eigene Recherchen