Atom-Abrüstungsvertrag vor dem Aus So will die Nato auf Russlands neue Rakete reagieren
Russland hat mit einem neuen Waffensystem das Aus für einen der weltweit wichtigsten Abrüstungsverträge eingeleitet. Die Nato will reagieren – und nennt mögliche Schritte.
Die Nato will mit mehreren Maßnahmen auf das drohende Aus des INF-Vertrags über das Verbot landgestützter atomarer Mittelstreckenwaffen reagieren. Das kündigte Generalsekretär Jens Stoltenberg bei einem Treffen der Nato-Verteidigungsminister an.
"Die Minister haben heute darin übereingestimmt, dass die Nato reagieren wird, falls Russland nicht dazu zurückkehrt, die Vorgaben zu erfüllen", sagte Stoltenberg. Dazu habe Moskau noch bis zum 2. August Zeit. Es gehe darum, eine glaubwürdige Abschreckung und Verteidigung sicherzustellen.
Neues russisches Mittelstreckenssystem SSC-8
Dabei geht es vor allem um den Umgang mit den Bedrohungen, die von dem russischen Mittelstreckensystem SSC-8 (Russisch: 9M729) ausgehen. Zugleich stellte Stoltenberg klar: "Wir werden nicht spiegeln, was Russland tut. Wir wollen kein Wettrüsten."
Als mögliche Schritte für die Zeit nach dem INF-Vertrag nannte Stoltenberg Militärübungen sowie "Beobachtung, Überwachung und Aufklärung". "Wir werden uns auch unsere Luft- und Raketenabwehr und unsere konventionellen Fähigkeiten genauer ansehen."
Konkret ist denkbar, dass die Nato-Staaten ihre Präsenz im östlichen Bündnisgebiet und in der Ostsee verstärken und den Schutz kritischer Infrastruktur durch Raketen- und Luftabwehrsysteme ausbauen. Zudem könnten neue wirkungsvolle konventionelle Waffensysteme entwickelt und stationiert werden, um Russland abzuschrecken.
Eine Welt ohne INF-Vertrag
"Die Nato bereitet sich auf eine Welt ohne INF-Vertrag vor", betonte Stoltenberg. Gleichzeitig appellierte er noch einmal an Russland, den Erhalt des INF-Vertrags zu gewährleisten. Ähnlich äußerte sich Bundesverteidigungsministerin Ursula von der Leyen (CDU). Entscheidend sei zunächst einmal "die Aufforderung und die Bitte an Russland, sich an den Vertrag zu halten und im Vertrag zu bleiben".
Am Rande des Treffens kam von der Leyen auch zum Gespräch mit ihrem neuen amerikanischen Kollegen Mark Esper zusammen. Esper ist seit Anfang der Woche kommissarischer US-Verteidigungsminister. Es gehe um ein "Kennenlerntreffen", bei dem alle Themen besprochen werden sollten, "die wir gemeinsam auf der Agenda haben", sagte von der Leyen zuvor.
Die USA hatten den INF-Vertrag Anfang Februar mit Rückendeckung der Nato-Partner gekündigt und diesen Schritt damit begründet, dass Russland das Abkommen seit Jahren mit dem Mittelstreckensystem SSC-8 verletze. Dieses soll in der Lage sein, Marschflugkörper abzufeuern, die sich mit Atomsprengköpfen bestücken lassen und mehr als 2.000 Kilometer weit fliegen können. Russland gibt die maximale Reichweite der SSC-8 hingegen mit 480 Kilometer an.
Russland gibt Nato die Schuld am INF-Ende
Moskau betonte am Mittwoch, die Nato hätte einen Abbruch des Vertrags "bewusst herbeigeführt". Die USA und die Verbündeten seien für die komplizierte Situation verantwortlich, sagte Vize-Außenminister Sergej Rjabkow der Agentur Tass zufolge.
Eine Entscheidung über die Nato-Reaktion auf die mutmaßliche Vertragsverletzung durch Russland soll erst fallen, wenn am 2. August die sechsmonatige Kündigungsfrist ausläuft. Zuvor sollen noch einmal alle Möglichkeiten genutzt werden, um Russland zum Einlenken zu bewegen. Für Anfang Juli wird derzeit ein Treffen des Nato-Russland-Rates vorbereitet. Zudem soll es am Freitag am Rande des G20-Gipfels ein Treffen zwischen US-Präsident Donald Trump und Russlands Präsidenten Wladimir Putin geben.
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In Europa sind Militärexperten allerdings skeptisch, ob die USA überhaupt ein Interesse am Erhalt des Vertrages in seiner derzeitigen Form haben. Als Grund gilt die Tatsache, dass der aus der Zeit des Kalten Krieges stammende Deal nur Amerikaner und Russen bindet, nicht aber aufstrebende Militärmächte wie China. China soll mittlerweile über knapp 2.000 ballistische Raketen und Marschflugkörper verfügen, die unter dieses Abkommen fallen würden.
- Nachrichtenagentur dpa