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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Statt Meeresrauschen Aus Muscheln in Spanien erklingen Flüchtlingsgeschichten
In Spanien können Touristen am Strand eine Überraschung erleben. Aus Muscheln erklingen Stimmen von Menschen, die von Angst und Schrecken bei ihrer Flucht übers Mittelmeer berichten.
Man soll das Meeresrauschen hören, wenn man sich eine Muschel ans Ohr hält. Diese "Muscheln" sind eigentlich Meeresschnecken-Gehäuse, die romantische Erklärung stimmt nicht – und an manchen Stränden in Spanien kommen auch andere Geräusche: Stimmen von Flüchtlingen. Präparierte Muscheln sollen den "anderen Klang des Meeres vermitteln". Dahinter stecken eine spanische Nichtregierungsorganisation, eine Werbeagentur – und Twitter.
300 Muscheln mit eingesetztem Chip samt Lautsprecher wurden von der Spanischen Kommission für Flüchtlingshilfe (CEAR) an spanischen Stränden ausgelegt. Diese Zahl hat Symbolkraft: Sie entsprach zwischenzeitlich der Zahl der Menschen, die in diesem Jahr zwischen Afrika und Spanien ertrunken sind. Inzwischen gibt es mindestens 309 Tote. Und die, die es geschafft haben, haben oft auch traumatische Erlebnisse gemacht.
Das Meer klinge anders, wenn man dort sein Leben aufs Spiel gesetzt habe, lässt CEAR den Flüchtling Abdou aus den Muscheln erzählen. Nach Schreien und Wehklagen, berichtet Mulai aus Gambia. Vor vier Jahren ist er nach Spanien gekommen, man müsse schon sehr verzweifelt sein, sich auf das Meer zu wagen.
Erzählungen auch auf Twitter zu hören
Wer eine Muschel mit der Stimme von Osmane erwischt, hört ihn erzählen, wie seinem Freund nach der Überfahrt ein Bein amputiert werden musste. Der junge Marokkaner Rashid spricht davon, dass der Schlepper ein Loch in das Schlauchboot mit Kindern an Bord gebohrt hat.
Erzählungen im harten Kontrast zum verklärten Meeresrauschen. Sie sollen das Bewusstsein schärfen dafür, dass Menschen auf der gefährlichen Reise nach Europa ihr Leben riskieren. Die Werbeagentur Ogilvy und Twitter sind Partner der Aktion der privaten Komission für Flüchtlingshilfe, unter dem spanischen Hashtag #ElOtroSonidoDelMar (Der andere Klang des Meeres) werden Tondokumente aus den Muscheln auch auf die Rechner und Smartphones von Nutzern gespült und bleiben dort auch noch, wenn die Muscheln am Strand zerstört oder verschwunden sind.
Bleibt noch die Frage: Was hört man wirklich, wenn man aus dem Gehäuse nicht einen Migranten sprechen hört? Es ist nicht das Pulsieren des eigenen Blutes, wie oft vermutet wird.
Stattdessen wirkt eine Muschel wie ein Resonanzkörper für Schallwellen aus der Umgebung, die dort hin- und hergeworfen werden und Schwingungen erzeugen. In einem schallisolierten Raum schweigt auch eine gewöhnliche Muschel, wie ein US-Professor in einem Experiment demonstrierte.
- Eigene Recherchen
- Pressemitteilung CEAR
- Twitter-Account CEAR
- Muschel-Experiment mit Sound-Dateien