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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Nordkorea-Annäherung Wie aus "Rocket Man" der "ehrenhafte" Kim wurde
Wer hätte das für möglich gehalten? Mit ihrem hastig anberaumten Gipfeltreffen riskieren Donald Trump und Kim Jong Un viel. Hier lesen Sie, wie es dazu kam.
Wenn Donald Trump Kim Jong Un die Hand schüttelt, dürften sich zahlreiche Beobachter kurz kneifen: Passiert das hier wirklich gerade? Noch vor einem halben Jahr haben nur die wenigsten ein solches Treffen für möglich gehalten, vor einem Jahr wohl gar niemand. Und vor drei Wochen war der Gipfel kurz nach der Anberaumung plötzlich auch schon wieder abgesagt.
Jetzt aber findet er wirklich statt.
Auch wenn die Ergebnisse nicht abzusehen sind, besteht an einem kein Zweifel: Es ist ein historisches Treffen. Schließlich gab es noch nie eines zwischen einem amtierenden amerikanischen Präsidenten und einem nordkoreanischen Staatschef, schließlich unterhalten die Länder nicht einmal diplomatische Beziehungen.
Um miteinander zu sprechen und sich schließlich zu treffen, haben Trump und Kim beide persönlich viel riskiert und zahlreiche Konventionen missachtet. Das ist die Geschichte ihrer Anbahnung.
1. Das Halbjahr der Drohungen
"Little Rocket Man" hier, "geistig gestört und senil" dort – so klingt das Verhältnis noch vor einem Jahr. Seit Sommer 2017 überziehen sich Kim und Trump mit Beschimpfungen und Drohungen. Der Hintergrund: Unter Kim macht Nordkorea rasche Fortschritte beim Atomprogramm: Er lässt eine Wasserstoffbombe und sechs Langstreckenraketen erfolgreich testen, die potenziell die US-Westküste treffen könnten.
In einer Kabinettssitzung an seinem Urlaubsort droht Trump Nordkorea am 9. August mit "Feuer und Zorn, wie sie die Welt noch nie gesehen hat". Der Ausspruch wird später Titel eines Buches, das ein Sittengemälde des Weißen Hauses unter einem unkontrollierbaren Trump malt. Trumps Äußerungen lassen die Angst vor einer Eskalation steigen, gar vor einem Atomkrieg. Parallel verschärft Trumps Regierung geschickt über die Uno sowie im Alleingang die Sanktionen gegen Nordkorea und gegen jene, die mit dem Land handeln. Trump erreicht, dass China den Handel mit Nordkorea eindämmt, das tut Kim weh.
2. Der Vermittler
Kim leitet den Wandel in seiner Neujahrsansprache ein. Als er darin den Wunsch äußert, an den Olympischen Spielen im südkoreanischen Pyeongchang teilzunehmen, geht die Offerte im Westen fast unter. Trump springt stattdessen auf die Drohgebärden in Kims Botschaft an und versendet seinen berühmten Tweet, in dem er betont, sein Atomknopf sei größer als jener Kims.
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Es ist stattdessen Südkoreas Präsident Moon Jae In, der sich auf Kims Angebot stürzt. Moon fürchtet um Olympia und sieht dem Säbelrassen zwischen Trump und Kim mit wachsendem Entsetzen zu. Schon eine Woche später treffen sich auf seine Initiative hin Vertreter von Norden und Süden in der Demilitarisierten Zone (DMZ). Es wird beschlossen, dass bei den Winterspielen ein Team aus Sportlern beider Staaten aufläuft. Moon, der auch später in weiteren kritischen Phasen vermitteln wird, will, dass der Norden auch die Hand nach Amerika ausstreckt.
3. Die Spione übernehmen
Als CIA-Direktor Mike Pompeo an einem Januarmorgen bei der konservativen Denkfabrik "American Enterprise Institute" über Nordkorea spricht, klingt er etwas anders als sein Präsident. Kim sei ein rationaler Akteur, und man werde auf "kreative Weise" den Druck auf ihn erhöhen. Pompeo wird in den kommenden Wochen die zentrale Figur. Die Annäherung verläuft nicht über Diplomaten, sondern Spione. Pompeo nutzt einen Gesprächskanal zwischen CIA und dem nordkoreanischen Geheimdienst RGB.
Im ohnehin dezimierten Außenministerium ist man entsetzt. Im Februar tritt der dortige Nordkorea-Beauftragte Joseph Yun ab – er fühlt sich missachtet. Da auch weitere Stellen wie der Botschafterposten in Seoul unbesetzt sind, geschieht die Annäherung im engen Kreise um Trump und Pompeo, ganz ohne Diplomaten.
4. Die große Ankündigung
Die Treffen zwischen Nord- und Südkoreanern gehen auf Arbeitsebene weiter. Am 8. März überbringt eine Delegation aus Südkorea Trump im Weißen Haus eine Nachricht: Kim sei bereit zu einem Treffen. Mehr als diese mündliche Einladung bekommt der US-Präsident nicht. Doch nach einer Stunde springt er darauf an: Er will das Treffen.
Trump steckt zur großen Überraschung der Journalisten seinen Kopf in das Pressezimmer im Weißen Haus und sagt: "Um 19 Uhr gibt es eine große Ankündigung Südkoreas." Es ist der Sicherheitsberater aus Seoul, Chung Eui-Yong, der den Journalisten in der Dunkelheit dann ein Statement vorliest: Trump habe die Einladung angenommen und werde Kim "noch im Mai treffen, um eine permanente Denuklearisierung zu erreichen".
5. Charmeoffensive
In den folgenden Wochen geht es Schlag auf Schlag, in öffentlichen Ankündigungen und hinter den Kulissen. CIA-Chef Pompeo fliegt über Ostern in geheimer Mission nach Pjöngjang, um Kim zu treffen. Erst zwei Wochen später wird das bekannt. Sein Besuch ist das ranghöchste Treffen seit dem Jahr 2000, damals traf US-Außenministerin Madeleine Albright Kims Vater Kim Jong Il. Anfang Mai, als Pompeo zum Außenminister befördert worden ist, fliegt er gleich noch einmal zu Kim.
Vollmundig sprechen Trump und Pompeo jetzt von vollständiger und rascher Denuklearisierung der Halbinsel, zu der sich Kim bereit erklärt habe. Fachleute schütteln den Kopf. Auch eine geheime CIA-Einschätzung, über die der Sender NBC berichtet, widerspricht Trump und Pompeo. Darin heißt es, Kim werde niemals seine Atomwaffen aufgeben, aber vielleicht die Eröffnung eines US-Burgerrestaurants in Pjöngjang zulassen. Trump nennt Diktator Kim "sehr offen" und "sehr ehrenhaft".
In Korea geht es in großen Schritten voran: Moon und Kim treffen sich Ende April in Panmunjom: Beide gehen erst auf die südkoreanische Seite, dann lädt Kim den südkoreanischen Präsidenten ein paar Schritte auf die Nordseite ein. Später: ein Spaziergang im Wald. Das symbolisiert Vertrauen. Kim kündigt ein Moratorium auf Atom- und Raketentests an, lässt eine Testanlage zerstören, ohne dass das unabhängig überprüft werden kann. Dann lässt Kim drei inhaftierte Amerikaner frei – und bietet Trump damit etwas, mit dem dieser daheim glänzen kann. Alle Zeichen deuten auf ein Treffen. Am 10. Mai gibt Trump Ort und Zeit bekannt: Singapur, 12. Juni.
6. Widerstand
Während sich Trump berauscht und von seinen Fans schon als kommender Friedensnobelpreisträger gefeiert wird, formiert sich in Washington sowie in Pjöngjang auch Widerstand gegen die Dynamik. Als Trump ein Vorabkommando nach Singapur schickt, wird dieses von der nordkoreanischen Delegation versetzt. Trumps Leute berichteten auch, dass in Pjöngjang mehrfach das Telefon nicht abgenommen wird. Die Störmanöver irritieren Trump, der Prozess bleibt sehr zerbrechlich.
Zugleich poltert sein eigener Sicherheitsberater John Bolton derart aggressiv gegen Nordkorea, dass ihn die Propagandamaschine Pjöngjangs ins Visier nimmt. Bolton, der vor seiner Berufung über einen Erstschlag gegen Kim fabuliert hat, nennt als Vorbild für einen Nordkorea-Deal immer wieder ein Abkommen mit Libyen von 2003. Für Nordkorea aus mehreren Gründen ein Affront, unter anderem weil man das Schicksal des libyschen Diktators Muammar al-Gaddafi kennt. Aus Pjöngjang kommen Statements, die Bolton als "abscheulich" und Vizepräsident Mike Pence, der ebenfalls das Wort Libyen in den Mund nahm, als "politischen Dummkopf" bezeichnen.
7. Absage
Nach den Kommentaren gegen Bolton und Pence sagt Trump das Treffen am 24. Mai ab. Er schreibt einen Brief an Kim, in dem er jedes Wort selbst diktiert und darlegt, dass der "Zorn und die offene Feindseligkeit" der Verlautbarungen aus Pjöngjang einem Treffen entgegenstünden. Trumps unkonventionelle Nordkorea-Offensive steht vor dem Aus. Südkorea wird von dem Brief kalt erwischt.
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Doch in vielen Kommentaren zur Absage wird übersehen, wie weit Trump die Tür in seinem Brief offen lässt. Auch Pjöngjang reagiert entspannt: Man sei jederzeit gesprächsbereit. Am Folgetag sagt Trump bereits, der Gipfel könne nach wie vor wie geplant stattfinden.
8. Zusage
Auch die internen Planungen im Weißen Haus gehen weiter vom 12. Juni aus – auch die Journalisten werden zu diesem Termin eingeladen. Dann kommt es zu einer weiteren spektakulären Mission: Kim Yong Chol, Nordkoreas Nummer zwei und früherer Geheimdienstchef, reist in einer chinesischen Linienmaschine nach New York. Er sitzt am 30. Mai bei Steak mit Pompeo zusammen. Sie sollen das Treffen im Auftrag ihrer Staatschefs retten – und es sieht gut aus.
Am 1. Juni wird Kim Yong Chol im Weißen Haus empfangen, ja gar hofiert. Anderthalb Stunden sitzt der eigentlich mit US-Sanktionen belegte Nordkoreaner im Oval Office mit Trump zusammen. Er überreicht ihm einen übergroßen Brief Kims.
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Als Trump vor die Presse tritt, sagt er wieder zu: "Wir werden uns am 12. Juni in Singapur treffen." Den Brief bezeichnet Trump als "sehr nett" und "sehr interessant", sagt jedoch zehn Minuten später, er habe ihn noch gar nicht gelesen. Bis heute ist der Brief nicht veröffentlicht. Trump würde das gerne tun, offenbar haben die Dienste ihr Veto eingelegt.
9. Erwartungsmanagement
Jetzt gibt es Verhandlungen über die Logistik in Singapur, über die Inhalte in Südkorea und der DMZ. Auch erfahrene Nordkorea-Experten reden auf amerikanischer Seite auf den letzten Metern wieder mit. Im Juni dämpft Trump die Erwartungen: Denuklearisierung könne nur langfristig erfolgen, es seien wahrscheinlich mehrere Treffen nötig, lautet die neue Linie.
Damit kommt er allen Fachleuten entgegen, die wochenlang davor gewarnt haben, Trump könne Kim zu große Zugeständnisse machen. Schon ein Treffen mit dem US-Präsidenten wertet Kims Regime extrem auf, Ex-Außenministerin Condoleezza Rice rät Trump gar, die schönen Bilder einzuheimsen, aber dann bitte schön an die Fachleute zu übergeben. "Erklären Sie Frieden", so Rice, "und lassen Sie den dann jemand anderen verhandeln."
10. Der Weg nach Singapur
Trumps Vorfreude ist nicht zu übersehen, er wittert die Chance, Geschichte zu schreiben. Er sagt in ein und demselben Satz, dass er gut vorbereitet sei und dass er keine Vorbereitung brauche. Eher lästig ist ihm der G7-Gipfel in Kanada am Wochenende. Das Treffen endet im Streit, von Bord der Air Force One zieht Trump seine Zustimmung zur mühsam verhandelten Abschlusserklärung zurück. Die Absage solle auch verhindern, dass Trump als schwach nach Singapur reise, gibt Wirtschaftsberater Larry Kudlow zu Protokoll. Trump landet am Sonntagabend in Singapur.
Kim ist bereits vor dem US-Präsidenten angekommen. Singapur ist als Treffpunkt auch deshalb gewählt worden, weil Kims altes Sowjetflugzeug die Strecke bewältigen könne. Der Diktator reist dann aber doch mit einer von Air China gestellten Maschine an. Gleich nach Ankunft trifft er Singapurs Präsidenten und sagt: "Wenn der Gipfel ein Erfolg wird, werden die Bemühungen Singapurs in die Geschichte eingehen."
Trumps letzte Äußerung vor der Abreise lautet: Er werde schon nach einer Minute wissen, ob das Treffen mit Kim ein Erfolg werde oder nicht. Er werde das "spüren".
Am Dienstag um 9 Uhr Ortszeit treffen sie im Hotel Capella auf der Ferieninsel Sentosa dann wirklich aufeinander.
- eigene Recherchen
- "New York Times" über den Imagewandel Kim Jong Uns (engl.)