"Offene Einfallstore" Wie stark mischt Putin bei der Bundestagswahl 2017 mit?
Seit den Unruhen nach der Lüge um die Vergewaltigung der jungen Russlanddeutschen Lisa durch Flüchtlinge sind deutsche Politiker gewarnt: Moskau versucht offenbar auf alle erdenklichen Arten und Weisen, Deutschland und die EU zu destabilisieren.
"Denkbare Überraschungen" heißt eine Reihe von Studien der renommierten Berliner Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP), die die Bundesregierung berät (hier geht's zur Studie). Darin beschäftigen sich zahlreiche Experten mit den außenpolitischen Einflussversuchen Russlands. Eine von ihnen ist die Russland-Expertin Susan Stewart. In einem erdachten Szenario – die SWP nennt es "wissenschaftlich angeleitete Vorausschau" - beschreibt sie, wie Moskau versuchen könnte, auf die Bundestagswahl 2017 Einfluss zu nehmen.
Ihr Ergebnis: Über die "Einfallstore" der Flüchtlingsfrage, Parteien wie der AfD aber auch andere, sowie durch die Aufstachelung der Russlanddeutschen, könnte Moskau Stimmung machen, um die Wiederwahl der Kanzlerin zu verhindern. t-online.de sprach mit Stewart darüber, welche "Überraschungen" zu erwarten sind.
In Ihrem Szenario für 2017 beschreiben Sie, wie Moskau sich bei der Bundestagswahl im kommenden Jahr einmischen könnte. Eine realistische Vorstellung?
Es ging nicht allein um eine Einmischung, um die Bundestagswahl zu beeinflussen. Es ging darum, aufzuzeigen, welche Einfallstore Russland nutzen kann, um Einfluss in Deutschland auszuüben. Dieses Szenario ist keine sichere Voraussage. Ich denke aber schon, dass Russland einige dieser Einfallstore je nach Entwicklung in Deutschland nutzen wird - und bereits jetzt versucht, zu nutzen.
Welche "Einfallstore" sind das?
Das sind zum Beispiel Versuche, die Arbeit bestimmter politischer Parteien in Deutschland zu nutzen – aller möglichen Parteien, von ganz kleinen, bis hin zu den ganz großen Mainstream-Parteien.
Ja. Wenn Moskau die Möglichkeit sieht und es Leute gibt, die die russische Position unterstützen, dann versucht es, das für seine Zwecke zu instrumentalisieren. Wie wir im Fall Lisa gesehen haben, gibt es Möglichkeiten, die Russlanddeutschen zu benutzen, wobei es unklar ist, wie groß diese speziellen Möglichkeiten sind (hier ein Interview mit dem Bundesgeschäftsführer der russlanddeutschen Landsmannschaft). Wir hatten ja bisher nur diesen einzigen Fall.
Besonders oft wird in diesem Zusammenhang die AfD genannt.
Die ist mit ihrer neuen Popularität für Russland natürlich als Partner besonders attraktiv. Es gibt aber die Bereitschaft, mit allen möglichen Kräften zusammenzuarbeiten. Es gibt so vielfältige Möglichkeiten. Auch auf der wirtschaftlichen Ebene, die teilweise mit der politischen verflochten ist.
Beispielsweise, wenn CSU-Chef Horst Seehofer im Auftrag der bayerischen Wirtschaft zu Putin fliegt und die Aufhebung der Sanktionen ohne Gegenleistung fordert?
Seehofer ist vor allem ein politischer Akteur. Es gibt aber in der Wirtschaft Unternehmen und Verbände, die sehr gute Kontakte haben. Beispielsweise beim "Ost-Ausschuss der deutschen Wirtschaft". Oder auch bei denen, die am Pipeline-Projekt "Nord Stream 2" beteiligt sind. Die sind durchaus Ansprechpartner für Russland, wenn es darum geht, die Lage in Deutschland zu beeinflussen.
In Ihrem Szenario versucht Russland, Einfluss darauf zu nehmen, wer bei uns Bundeskanzler wird und wer nicht. Namentlich soll Angela Merkel diskreditiert werden.
Ich denke nicht, dass es schon eine ausgearbeitete Strategie Russlands gibt, Deutschland zu diskreditieren. Aber es gibt Anzeichen dafür. Je nach Entwicklung wird Russland versuchen, von bestimmten Möglichkeiten zu profitieren. Wir hatten in der offiziellen russischen Presse, die die Einstellung des Regimes widerspiegelt, wiederholt Aussagen, Merkels Stuhl würde wackeln und sie bleibe womöglich nicht mehr lange Bundeskanzlerin. Solche Entwicklungen werden übertrieben dargestellt, um davon zu profitieren.
Ist es nicht sogar so, dass Medien wie Sputnik oder Russia Today versuchen, Deutschland als ein von Kriminalität verseuchtes Land am Rande der Anarchie darzustellen – mit der Behauptung, die Flüchtlingspolitik sei dafür verantwortlich?
Vielleicht nicht am Rande der Anarchie. Aber es ist sicher so, dass – nicht nur im Fall Deutschlands – die staatlichen russischen Medien Deutschland und andere Länder so darstellen, als herrsche dort das Chaos und als kämen sie mit ihren Problemen nicht zurecht. Das soll auch dem russischen Publikum vermitteln, dass man es in Russland wesentlich besser hat, dass dort Stabilität herrscht, während in Europa das Chaos droht.
Was könnte 2017 passieren?
Ich rechne damit, dass Russland grundsätzlich versucht, den Westen und natürlich auch die EU und Deutschland negativ darzustellen und die Lage zugunsten Russlands zu beeinflussen. Das würde heißen, dass die Sanktionen gegen Russland verschwinden. Aber auch dass man spontan reagiert, wie im Fall Lisa.
Sie schreiben aber auch von längerfristigen Zielen Russlands: Eines davon sei die Schwächung der EU. Ein anderes, einen Keil zwischen Europa und die USA zu treiben.
Ja. Die außenpolitische Elite Russlands spricht schon lange von der so genannten „Multipolarität“ in den internationalen Beziehungen. Das bedeutet vor allem. Die USA sollen weltweit eine kleinere Rolle spielen, Russland eine größere. Dafür sollen andere Akteure geschwächt werden.
Sind sich die Deutschen dessen bewusst?
Ich denke, jetzt mehr als früher. Aber es gibt auch eine gewisse Polarisierung. Die einen nehmen Russland sehr negativ wahr. Bei anderen weckt es das Bedürfnis, Russland zu verteidigen.
Woher kommt dieses Bedürfnis? In Frankreich beispielsweise wird Russlands Einfluss von 72 Prozent negativ gesehen.
Das ist sehr unterschiedlich: Teilweise stecken historische Schuldgefühle gegenüber Russland wegen des Zweiten Weltkriegs dahinter. Teilweise ist es Dankbarkeit wegen der Wiedervereinigung. Auch Anti-Amerikanismus spielt eine größere Rolle.
Viele sehen ja heute die USA als den schlimmeren Übeltäter an. Wenden sich die Deutschen von den USA ab und Moskau zu?
Nein, das ich glaube nicht. Es gibt immer wieder Phasen, wo dieser Anti-Amerikanismus stärker zum Vorschein kommt. Aber Russlandfreunde sehen wohl gerade die Gefahr, dass Deutschland zu stark in die westliche Richtung rutscht und die guten Beziehungen zu Russland verliert.
Kann das denn für Deutschland gefährlich sein?
Man muss einfach schauen, wie die verschiedenen Länder agieren: Ich möchte die Handlungen der USA in den vergangenen Jahren gar nicht verharmlosen. In Russland ist aber nicht nur die Außenpolitik sehr beunruhigend. Auch das, was im Innern passiert, ist verheerend: Der russischen Führung ist die Bevölkerung egal, solange sie dem Regime nicht gefährlich wird. Wie man mit der Entwicklung des Landes umgegangen ist, ist einfach eine Schande. Ich glaube, das wurde teilweise übersehen, weil viele sich nur mit dem außenpolitischen Verhältnis beschäftigen.
Viele glauben, Putin wolle die liberale Demokratie des Westens aus der Welt schaffen und durch autokratische Systeme ersetzen. Haben sie Recht?
Ich glaube nicht, dass Putin es vor allem auf die liberale Demokratie abgesehen hat. Er würde nichts dagegen haben, wenn andere Staaten Demokratien pflegen. Nur er selber hält zum Beispiel nichts von der Rolle der Zivilgesellschaft. Er sieht Staaten und Eliten als die steuernden Kräfte. Der Rest ist ihm relativ egal, solange er nicht stört.
Wie würde die Welt wohl in zehn Jahren aussehen, wenn Putin seine Pläne wahrmachen könnte?
Russland will seine so genannte Einflusssphäre verwirklichen. Dann würde es zu einem bedeutenden Pol werden, der die post-sowjetischen Länder kontrollieren und dominieren würde. Die Eurasische Union – das Gegenstück zur EU – würde sich zu einer bedeutenden Organisation entwickeln. Es käme zu einem "Konzert der Mächte". Das gab es in schon in früheren Phasen der Geschichte, wo Russland zusammen mit anderen Akteuren - jetzt vor allem den USA und China, die EU würde als Anhängsel der USA gesehen – ausmachen würde, wie sich die internationalen Beziehungen zu entwickeln haben.
Die Fragen stellte Christian Kreutzer