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Wie sehr steuert Moskau die Russlanddeutschen?


Angebliche Vergewaltigung
Wie sehr steuert Moskau die Russlanddeutschen?

Von t-online
Aktualisiert am 29.01.2016Lesedauer: 4 Min.
Protest gegen eine angebliche Vergewaltigung: Demonstration von Russlanddeutschen vor dem Kanzleramt in Berlin.Vergrößern des Bildes
Protest gegen eine angebliche Vergewaltigung: Demonstration von Russlanddeutschen vor dem Kanzleramt in Berlin. (Quelle: dpa-bilder)

Die Affäre um die angebliche Vergewaltigung einer 13-Jährigen in Berlin treibt die vier Millionen Russlanddeutschen um: Aufgehetzt durch russische Medien bezichtigen einige von ihnen Presse und Behörden der Vertuschung. t-online.de sprach mit Ernst Strohmaier, Bundesgeschäftsführer der russlanddeutschen Landsmannschaft LMDR.

Herr Strohmaier, seit der Affäre um die angebliche Vergewaltigung einer 13-Jährigen erscheinen Russlanddeutsche wie die Handlanger Moskaus - die berühmte 5. Kolonne. Sind sie das?

Strohmaier: Nein, die Russlanddeutschen sind keine fünfte Kolonne. Es gibt unterschiedliche Leute. Die Mehrheit ist aber empört über die Demonstrationen.

Woher wissen Sie das?

Wir haben viele Rückmeldungen auch in Form von Mails. Natürlich gibt es dabei unterschiedliche Standpunkte. Aber: “Fünfte Kolonne“ bedeutet ja, dass jemand willens ist, gegen den Staat vorzugehen. Zweitens gibt es von "außen" bestimmte Bewegungen. Ich will nicht ausschließen, dass da ein asymmetrischer Krieg geführt wird.

Versucht Russland, Einfluss auf Russlanddeutsche zu erlangen?

Es gab während der Zeit der großen Übersiedlungswelle in den 90er Jahren von russischer Seite aus das Projekt "Vaterlandstreue". Da war vorgesehen, hier in Deutschland bewusst in unterschiedliche Gruppen zu investieren. Das waren Tanzgruppen, Musikgruppen, Chöre und so weiter. Damit wollte man Einfluss gewinnen. Ob man das als 5. Kolonne bezeichnen kann, weiß ich nicht. Dieses Programm ist aber in die Brüche gegangen, weil wir sehr stark dagegen gehalten haben. Wir haben ständig darauf aufmerksam gemacht. Das, was wir jetzt erleben, ist nur eine Neuauflage, und es wird nicht die letzte gewesen sein.

In der Stellungnahme Ihrer Landsmannschaft sprechen Sie von "Kräften, die ein Interesse an der Destabilisierung Deutschlands haben". Welche Kräfte sind das?

Es gibt unterschiedliche Gruppen, die sich nicht integrieren und die das auch nicht wollen. Das sind nicht nur Russlanddeutsche. Auf den Demonstrationen waren ja nicht allein Russlanddeutsche, sondern auch Russen und Eingeheiratete. Es gibt da aber objektive und subjektive Gründe - eine Mischung von Ursachen.

Sie meinen die Vergewaltigungsgerüchte?

Die Geschichte mit dem Mädchen war nur der Anlass. Aber das ist eine separate Geschichte. Die große Unzufriedenheit ist einmal hausgemacht - hier bei uns in Deutschland: Da geht es um den Verlust des Sicherheitsgefühls, wie es auch in den Medien verbreitet wird. Außerdem gibt es den Streit darum, ob der Informationsfluss gut oder schlecht funktioniert. Bei bestimmten Gruppen von Russlanddeutschen hat das richtig eingeschlagen. In diesem Fall fühlen sie sich mehr betroffen als Einheimische.

Wie kann es sein, dass bei der angeblichen Vergewaltigung viele der Moskauer Propaganda mehr vertrauen, als der deutschen Justiz?

"Asymmetrischer Krieg" - LMDR-Geschäftsführer Ernst Strohmaier.
"Asymmetrischer Krieg" - LMDR-Geschäftsführer Ernst Strohmaier. (Quelle: Ernst Strohmaier)

Aber die Polizei hat doch gesagt - und es haben auch alle Medien darüber berichtet -, dass es ganz offenbar keine Vergewaltigung und keine Entführung gegeben hat.

Das war ähnlich wie bei der Kölner Geschichte von Silvester. Nur hat es sich beim Berliner Fall für uns verstärkt dargestellt - durch die Arbeit der russischen Medien. Ob wir das wollen oder nicht: Es gibt einen starken Einfluss durch die russischen Medien. Nicht, weil die Russlanddeutschen ihnen so sehr glauben.

Sondern?

Erstens, weil es viele Leute gibt, die der deutschen Sprache nicht ganz mächtig sind. Zweitens, weil die russischen Medien die Russlanddeutschen seit einiger Zeit ganz intensiv ansprechen. Von der deutschen Seite gibt es diesbezüglich nichts. Die Russlanddeutschen sind eine vergessene Gruppe. Da kann man sich auch vorstellen, dass es für manche interessanter ist, sich ihre Meinung dort abzuholen, wo ihre Angelegenheiten auch angesprochen werden.

Ein gutes Beispiel für das, was Sie sagen ist die Facebook-Gruppe "Russentreff". Die hat 13.400 Mitglieder und im Fall der angeblichen Vergewaltigung eine Menge Hetze und Demonstrationsaufrufe verbreitet. Haben Sie Kontakt zu diesen Leuten?

Das lohnt sich für uns nicht wirklich. Ich glaube, wenn wir direkt bei diesen Medien einsteigen würden, würden wir das Gegenteil erreichen. Wir nehmen aber gerade Kontakt zu unterschiedlichen Strukturen auf. Wir haben zwar kein Geld, um gegen das mächtige Russland aufzutreten. Aber im kleinen Villingen-Schwenningen gab es beispielsweise eine Demonstration mit 1500 Leuten. Da haben wir jetzt Kontakt mit den beiden Organisatorinnen aufgenommen, um uns mit den Leuten zu treffen. Mit machen Leuten kann man aber nicht reden.

Wenn man sich die Adminstratoren von „Russentreff“ anschaut: Die bekennen sich ganz offen zur "Russisch deutschen Bruderschaft". Ihre Embleme erinnern an Nazi-Kameradschaften. Als "Bruderschaften" bezeichnen sich normalerweise russische Mafia-Gruppen. Solche Gruppen scheinen bei den Russlanddeutschen eine starke Rolle zu spielen.

Sie sprechen da Themen an, von denen nicht vor allem Russlanddeutsche, sondern echte Russen betroffen sind, die sich oft auch gar nicht zur russlanddeutschen Gemeinschaft bekennen. Die "Bruderschaft" ist eine chauvinistische Organisation. Sie ist gegen Homosexuelle, gegen westliche Regierungen, gegen Islamisierung, Amerikanisierung und so weiter. Also auch gegen alle Werte, die sonst für unsere freiheitlich-demokratische Grundordnung stehen. Ihre Positionen sind aber linksradikal.

Ihre Aufmachung spricht da aber eine ganz klare Sprache.

Es ist eine Abart, die aus dem kommunistischen Chauvinismus hervorgeht.

Russlanddeutsche galten immer als relativ gut integriert. Haben wir da etwas verpasst?

Diese Frage trifft den Nerv. Es gibt ja unterschiedliche Formen der Integration: Die soziale Integration, die wirtschaftliche Integration oder die berufliche Integration. Bei den Deutschen aus Russland kann man da von einer Erfolgsgeschichte sprechen. Allerdings gibt es Versäumnisse bei der "nachholenden Integration" derer, die schon länger hier sind. Integration ist ja nie ganz abgeschlossen.

Zum Thema Russlanddeutsche gehört leider auch die Tatsache, dass sie in den Kriminalitätsstatistiken mancher Regionen eine besondere Rolle spielen. Gerade auch im Bereich Organisierte Kriminalität. Was muss der deutsche Staat da tun?

Das ist momentan kein Thema mehr. Das hatten wir in den 90er Jahren. Damals gab es sogar viele Integrationsprojekte und gute Jugendarbeit. Jetzt hat man vier Millionen Russlanddeutsche einfach vergessen, weil es andere Themen gibt. Es gibt nur noch wenige Integrationsprojekte. Unser Anliegen: Wir brauchen mehr nachholende Integration. Das kann sonst sehr schnell dazu führen, dass eine Parallelgesellschaft entsteht. Meiner Meinung nach gibt es die schon, wie wir jetzt gesehen haben. Und wir als Landsmannschaft wollen die Leute aus dieser Parallelgesellschaft herausholen. Aber wir haben dafür keine direkte Unterstützung aus der Gesellschaft.

Die Fragen stellte Christian Kreutzer

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